Dies ist der private Weblog von Beat Döbeli Honegger

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Nein, die USA hat nicht die Handschrift abgeschafft

06 November 2015 | Beat Döbeli Honegger
Vor einem Jahr sorgte die Nachricht für Empörung, dass Finnland die Handschrift zugunsten des Tastaturschreibens abgeschafft haben soll, jetzt tingelt Manfred Spitzer (Biblionetz:p01290) erfolgreich durch die Vortragssääle Deutschlands und verkündet, die USA habe 2013 in 46 Bundesstaaten die Handschrift abgeschafft (z.B. hier).

Zitat aus Spitzers Buch Cyberkrank! (Biblionetz:b05989)

In den USA wurde im Frühjahr 2013 in 46 Bundesstaaten die Handschrift aus dem Curriculum der Grundschule gestrichen. Klassenziel für das Ende von Klasse 4 ist jetzt, mit zehn Fingern tippen zu können. Wir wissen jedoch aus entsprechenden Studien, dass die Handschrift die Gehirnentwicklung fördert, dass umgekehrt das Tippen in seiner Komplexität dieser Entwicklung keineswegs entspricht und dass Handgeschriebenes im Gedächtnis besser hängenbleibt als auf der Tastatur Getipptes.[396] Wenn also Schulkinder nicht mehr das Schreiben mit der Hand lernen, kommt dies der Beraubung junger Menschen eines wichtigen Werkzeugs zur Steigerung ihrer Merkfähigkeit gleich. Man schadet damit ihrem Bildungsprozess.

Nur - Weder in Finnland noch in den USA wird das Schreiben von Hand abgeschafft:

  • In Finnland wurde - wie im Kanton Schwyz - nicht die Handschrift abgeschafft, sondern das Tastaturschreiben dem Schreiben mit der Hand gleichgesetzt ( Details).
  • In den USA wurde nicht die Handschrift abgeschafft, sondern das Obligatorium zur Vermittlung der (verbundenen) Schreibschrift aufgehoben. Druckschrift gehört weiterhin zum Schulstoff.

Beim Schreiben von Hand lassen sich Druckschrift und Schreibschrift (Schweizerdeutsch: Schnüerlischrift ) unterscheiden. (Englisch: block letters und cursive ).

Vergleich_zwischen_Druckschrift_und_Schreibschrift.jpg
(Quelle: Wikipedia, Renate Tost)

Die 2012 in den USA verabschiedeten Common Core Standards enthalten nun kein Obligatorium mehr zur Vermittlung der Schreibschrift. Es steht aber nirgends, dass Kinder nur noch mit der Tastatur schreiben sollen.

Diskussionen zur Bedeutung der Handschrift sind wichtig und kompliziert. In diesem Beitrag ging es mir nur darum festzuhalten, dass die derzeit von Manfred Spitzer verbreitete Aussage, das Schreiben von Hand sei in den USA komplett abgeschafft worden, in dieser Form nicht zutrifft.

Einmal mehr sind wir beim Grundproblem von Manfred Spitzers Aussagen: Sie betreffen wichtige Fragen, die man ernst nehmen und diskutieren sollte. Spitzers polemische und tendenziöse Aussagen sind dabei jedoch nicht hilfreich.

Slack - was mir fehlt

09 October 2015 | Beat Döbeli Honegger
Seit einiger Zeit schwärmt ja auch die edublogger-Szene von Slack, dem neuen Dienst, der angetreten ist, um die interne Unternehmenskommunikation zu revolutionieren und z.B. das unsinnige Hin- und Hergemaile in einem Unternehmen einzudämmen.

Die Grundidee von Slack ist spannend: Eine Art organisationsinterner Chat mit offenen Kanälen und geschlossenen Teilgruppen sowie privaten 1:1-Diskussionen. Abgelegte Files können entweder in der Timeline des Kanals gefunden oder in einer Kanalübersicht gefunden werden, alle Inhalte in Slack sind volltextdurchsuchbar. Klingt doch praktisch auch für Schulen und Pädagogische Hochschulen - oder? Für jede Fachschaft eine Gruppe zum internen Austausch, offene Kanäle für interdisziplinäre Themen.

Nach ersten Slack-Erfahrungen fehlen mir zwei Features, die dazu führen, dass ich weiterhin mit Mail, Dropbox und Skype arbeiten werde:
  • Slack ist bisher nicht offline nutzbar: Ich habe mir den Windows-Client von Slack heruntergeladen und wollte auf meinem Arbeitsweg im Zug in Slack stöbern. Fehlanzeige: Ohne Internetzugang ist der Windows-Slack-Client unbrauchbar: Weder habe ich Zugang zu vergangenen Konverationen und Dateien, noch kann ich etwas Neues in Slack stellen, dass dann verteilt wird, wenn ich wieder Internetzugang habe. Mail, Dropbox und Skype bieten mir diese für mich wichtige Funktionalität. Ohne Offline-Zugriff ist für mich Slack ein No-Go.
    slack-offline.png
  • Slack ist auf interne Kommunikation ausgerichtet: Im Webclient und im iOS-Client kann ich gleichzeitg nur in einem Slack-Team eingeloggt sein. Mit Organisationsexternen kann ich nur kommunizieren, wenn ich dafür ein eigenes Team einrichte oder wenn ich sie als Externe in die Organisation einbinde. Diese Organisationszentrierung funktioniert aber bei meinen Tätigkeiten oft nicht. Meine Communiities, mit denen ich kommuniziere, beschränken sich nicht auf meine Pädagogische Hochschule. Da gibt es Gremien, Vereine, Arbeitsgruppen etc. die aus lauter Leuten aus unterschiedlichen Organisationen zusammengesetzt sind. Bei Mail, Skype und Dropbox muss ich auch nicht den Kontext wechseln, wenn ich mit jemandem ausserhalb der eigenen Organisation Daten austauschen will.
Attraktiv bei Slack ist seine Offenheit: Es lassen sich sowohl zahlreiche andere Dienste einbinden als auch dank Slack-API eigene Erweiterungen schreiben.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Slack die Teamarbeit in einem Unternehmen effizienter macht. Für meine eigene Arbeit bin ich da noch skeptisch.

Digitaler Burnout - Differenzierte Bedenken

02 October 2015 | Beat Döbeli Honegger | Schul-ICT

Dieser Tage ist das Buch Digitaler Burnout (Biblionetz:b06041) des deutschen Informatik-Professors Alexander Markowetz erschienen.

b06041.jpg

Ich bin noch nicht dazu gekommen, das Buch wirklich zu lesen. Aber meine Aufmerksamkeit hat es auf jeden Fall erregt, denn auf den ersten Blick klingt der Titel sehr nach Spitzer-Polemik. Tatsächlich wird Manfred Spitzer (Biblionetz:p01290) im Kapitel Smart Kids (Biblionetz:t18221) auch zitiert - aber nicht so, wie vielleicht zu erwarten wäre:

Medien und Informatik ist kein Thema

26 September 2015 | Beat Döbeli Honegger | Informatik, Medienbildung

Es ist keine neue Erkennntnis, aber wieder mal ein aktueller Beleg für die Tatsache, dass der Teillehrplan Medien und Informatik (Biblionetz:t17600) kein Thema in der öffentlichen Wahrnehmung des Lehrplans 21 (Biblionetz:w2172) ist.

t18208.jpg

Im aktuellen Interview der Coop-Zeitung mit Urs Moser Die neue Schule - Das will der Lehrplan 21 (Biblionetz:t18208) kommen die Begriffe ICT, Medien und Informatik nicht vor. Zur Frage, was sich denn gegenüber früheren Lehrplänen geändert habe, meint Urs Moser:

Mein gestriges Referat am 3. nationalen Fachforum Jugendmedienschutz war ein Auftakt zu einer Podiumsdiskussion zur Rolle der Schule bei der Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz. Um eine etwas lebhaftere Diskussion zu initiieren, habe ich unter dem Titel Digitale Medien im Lehrplan 21: Hoffnung oder Hydra? betont pessimistische Töne angeschlagen:

Ging es beim Lehrplan 21 (Biblionetz:w02172) noch darum, einen Drachen zu erlegen bzw. zu zähmen, so kommt mir die aktuelle Situation eher wie der Kampf gegen eine 21-köpfige Hydra vor. Die Umsetzung des Lehrplans 21 erfolgt in der Schweiz brav föderalistisch kantonal, im Bereich Medien und Informatik hat sich die D-EDK explizit gegen eine koordinierende Arbeitsgruppe ausgesprochen. Somit sind jetzt in 21 Kantonen die gleichen Probleme, Vorbehalte und Herausforderungen zu lösen und es muss 21fach Aufklärungsarbeit geleistet werden. Ich sehe die Herausforderung in drei Bereichen:

  • Stundentafel: Jeder Kanton setzt die Vorschläge des Lehrplans 21 bezüglich Stundentafel anders um. Gewisse Kantone machen wie vorgeschlagen bereits ab der 5. Klasse ein Fach "Medien und Informatik", andere integrieren das Thema in Mathematik und Deutsch.
  • Aus- und Weiterbildung: Alle Bildungsdirektionen kämpfen mit Sparprogrammen und haben darum wenig Freude an Forderungen nach umfangreicher Weiterbildung der Lehrpersonen im Bereich "Medien und Informatik". Wie aber Lehrpersonen der Sekundarstufe I in 4 Nachmittag befähigt werden sollen, Informatik zu unterrichten, ist mir ein Rätsel.
    Im Ausbildungsbereich sehen sich die Pädagogischen Hochschulen mit dem Problem konfrontiert, in einen vollen Studienplan ein weiteres Fach "Medien und Informatik" zu integrieren.
  • Einführungszeitpunkt: Gewisse Kantone haben bereits mit der Einführung begonnen, andere wollen erst 2021 (wie passend...) starten. Dies erschwert kantonsübergreifende Kooperationen.
  • Lehrmittel: Für den Themenbereich "Medien und Informatik" fehlen bisher zum Lehrplan passende Lehrmittel. Auf der Website http://www.lehrplan.ch wird dieses Fehlen in der FAQ bei der Frage nach den Lehrmitteln nicht einmal erwähnt...

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Natürlich gibt es vierlorts lobenswerte Einzelinitiativen. Aber im Schnitt ist die Arbeit seit der Verabschiedung des Lehrplans 21 anstrengeder geworden.

Als mögliche Unterstützung für Interessenvertreter in den Kantonen zwei Dokumente: