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Wieder einmal möchte ich einen noch nicht ausgegorenen Gedanken, den ich die letzten Tage mit mir herumtrage hier zur Diskussion stellen.

Ich beschäftige mich ja schon länger mit der Frage, welche Bedeutung die Wissenschaft Informatik (Biblionetz:w00458) für die Allgemeinbildung (Biblionetz:w00463) hat und wie sich entsprechende Inhalte gegebenenfalls in die bereits überfrachtete obligatorische Schulzeit packen liessen. Will man heutzutage etwas Neues in die Schule packen, bedeutet dies fast zwangsläufig, dass man etwas anderes streicht. Neue Themen und Inhalte haben es damit schwer, sie haben traditionelle Themen und Inhalte als natürliche Opponenten. Zu diesem Verdrängungskampf kommt dann noch das Drängeln der zahlreichen neuen Themen und Inhalte: Ist jetzt interkultureller Dialog wichtiger als Gesundheitsförderung oder Berufsorientierung ?

In der Vergangenheit habe ich die Themenbereiche Informatik und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) (Biblionetz:w01620) als sich nicht sehr grün seiend erlebt. Gegenseitige Skepsis scheint mir für das Verhältnis noch höflich formuliert.

In den letzten Tagen hatte ich mehrfach an verschiedenen Orten mit dem Thema Systemdenken (Biblionetz:w00104) zu tun und derzeit fasziniert mich der Gedanke, dass Systemdenken ein verbindendes Element von BNE und Informatik sein könnte:

Es geht um das modellierende, vernetzte Denken, um Systeme der Wirklichkeit zu beschreiben, zu simulieren und zu verstehen.

Diese Aussage könnte doch sowohl als Teilziel der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung als auch als Teilziel der Informatik durchgehen, oder?

w01562.png

Spielt es letztlich eine Rolle, unter welchem Fächerdach Themen wie Rückkoppelung, Wirkungsdiagramme (Biblionetz:w01121) oder Systemarchetypen (Biblionetz:w01562) vermittelt werden? Aber in unserer stark vernetzten, interdependenten Welt sollten diese solche Konzepte doch Bestandteil der Allgemeinbildung sein, oder?

P.S.: Die Diplomarbeit Vermittlung systemwissenschaftlicher Grundkonzepte von Reinhard Wagner (2002) (Biblionetz:b01645) liefert meiner Ansicht nach eine gute (und kostenlos im Netz verfügbare) Einführung ins Thema.

Lieber Beat, im Hamburger Rahmenplan der Oberstufe ist "Modellbildung und Simulation" zum Pflichtthema geworden, gerade unter dem Aspekt. http://www.mint-hamburg.de Viele Grüße, Torsten

-- Main.TorstenOtto - 20 May 2010 Lieber Torsten, danke für den Hinweis! Welche Klassenstufen sind in Hamburg "Oberstufe"?

-- Main.BeatDoebeli - 27 May 2010 Die Oberstufe in Deutschland ist die gymnasiale Stufe 11-13 (resp. 12, wo gekappt wurde). Zumindest war das in Nordrheinwestfalen vor 10 Jahren so...

-- Main.MelanieBolz - 31 May 2010

Medienführerschein im Lehrplan 21?

28 May 2010 | Beat Döbeli Honegger | Medienbildung
In einer Motion (Biblionetz:t11664) im Ständerat fordert Rolf Schweiger (FDP) die Verankerung eines Medienführerscheins im Lehrplan 21 (Biblionetz:w02172)
(siehe auch den entsprechenden Tages-Anzeiger-Artikel (Biblionetz:t11663)):

Die Grundkenntnisse und die Fertigkeit rund um digitale Medien (Spiele, Internet und Fernsehen) sollen dabei altersgerecht angepasst und aufbauend unterrichtet werden. Die Kinder und Jugendlichen sollen auf jeder Stufe separat und lernfachunabhängig einen Leistungsnachweis erhalten. Dieser ist an ein Zertifikat gebunden. In einem Baukastensystem werden zunehmend Kenntnisse über verschiedene Teilbereiche der Medienkompetenz vermittelt.

In seiner Antwort (Biblionetz:t11665) bekräftigt der Bundesrat zwar die Bedeutung von Medienkompetenz (Biblionetz:w00542) in der heutigen Informationsgesellschaft, sieht jedoch keinen zusätzlichen Handlungsbedarf, da
  • die Volksschule bereits seit längerem Medienkompetenz vermittle,
  • das Thema im Bereich "überfachliche Kompetenzen und überfachliche Themen" des Lehrplans 21 bereits vorgesehen sei,
  • ein solcher Medienführerschein weder Konfrontation noch Konsumation gefährlicher Internetinhalte verhindern würde,
  • das Aufstellen und Durchsetzen entsprechender Regeln "Teil der elterlichen Erziehungsverantwortung" sei.
  • der Bund im Volksschulbereich keine gesamtschweizerischen Kompetenzen habe
  • jedoch mit der Finanzierung des Schweizerischen Bildungsservers educa.ch seine diesbezügliche Verantwortung bereits wahrnehme.

Ich persönlich begrüsse die Stossrichtung der Motion sehr. Es scheint mir dabei vor allem der Aspekt der Verbindlichkeit von Medienkompetenz relevant zu sein. Im Lehrplan 21 ist "ICT und Medien" bisher als "überfachliche Kompetenzen und überfachliche Themen" ohne eigenes Zeitgefäss verankert (Biblionetz:t11540). Die bisherige Erfahrung im Bereich Medienpädagogik zeigt jedoch deutlich, dass überfachliche Themen ohne Zeitgefäss und Verbindlichkeit gerne vergessen gehen. Ein Medienführerschein ist nun eine Möglichkeit, die notwendige Verbindlichkeit zu schaffen.

P.S: Zur allgemeinen Frage, ob die Vermittlung von Medienkompetenz Aufgabe der Eltern oder der Schule sei: Bei der Vorbereitung eines Elternabends in der iPhone-Klasse bin ich gestern übrigens über eine erstaunliche Auffassung gestossen, warum Mobiltelefone in der Schule (Biblionetz:w01971) nichts zu suchen hätten: Im Buch Kids im Netz (Biblionetz:b03138) meint Nina Scheu:

Ein anderer, nicht minder gewichtiger Grund für das Handyverbot an den Schulen ist aber, dass in vielen Familien der Umgang mit den modernen Kommunikationsmitteln - über die technischen Aspekte hinaus - noch kaum thematisiert und geübt wird.

Tja, ich würde das genau umgekehrt sehen: Gerade weil in vielen Familien das Thema Medienkompetenz zu wenig beachtet wird, muss die Schule hier einen Ausgleich schaffen.

Slatemania

19 May 2010 | Beat Döbeli Honegger | Tablet-PC

Derzeit sind sowohl Mass- als auch Social Media voller iPad-Berichten und Analysen. hier nur als Erinnerung: Das iPad ist weder das erste noch das einzige Gerät im Slate-Format. Hier ein Vergleich dreier aktuell (angekündigter) Slate-Computer von iPhoneHeat, unter anderem des auch schon hier erwähnten HpSlate:

slate-vergleich.jpg

Vom im Januar 2010 angekündigten HpSlate gibt es unterdessen weitere Werbevideos, die aber nicht viel über die technischen Daten des Geräts aussagen:

http://www.hp.com/slate

Und für diejenigen, die bereits derart dem iPad-Fieber verfallen sind, dass sie nicht mehr klar sehen. Das war kein iPad, sondern mein sechsjähriger TC 1100 wink

… und dabei hast Du das WePad noch nicht einmal erwähnt, Beat. Das ist zwar auch nur angekündigt, aber vielleicht materialisiert es sich ja doch... Schön aber, dass man den TC1100 jetzt auch so einfach bedienen kann wink

-- Main.TorstenOtto - 07 Apr 2010 Aus meiner Sicht ist wesentlich, ob auf dem Pad ein freies Betriebssystem läuft oder wenigstens laufen kann und wie weit das Gerät offen für die Entwicklung freier Software ist. Das ist schon deshalb im Bildungsbereich notwendig, weil nicht zu den Kosten der hardware auch noch die Kosten der software hinzu kommen dürfen, da hierdurch soziale Schranken errichtet werden.

-- Main.RomeyW - 09 Apr 2010 Soeben gefunden: Worum es bei dem iPad wirklich geht: http://www.golem.de/1004/74346.html ("Axel-Springer-Chef: Das iPad rettet die Verlagsbranche") Mit Bildung hat das wenig zu tun.

-- Main.RomeyW - 09 Apr 2010 Es scheint mir eine relativ enge Sichtweise zu sein, wenn nur Werkzeuge und Medien schultauglich sind, die spezifisch für die Schule entwickelt worden sind. iPad und Konsorten können durchaus für Bildungszwecke nützlich sein, auch wenn sie ursprünglich nicht dafür konzipiert worden sind. Selbstverständlich ist es optimal, wenn spezifische Bildungswerkzeuge und -medien verfügbar sind. Alle anderen aber zum Vornherein auszuschliessen scheint mir falsch zu sein.

-- Main.BeatDoebeli - 09 Apr 2010 Ich schließe Werkzeuge, die unnötige Kosten verursachen, in erster Linie aus sozialen Gründen aus. Es dürfen im Bildungsbereich keine sozialen Barrieren errichtet werden Bei Hartz IV sind 10,-€ pro Kind schon viel.

-- Main.RomeyW - 09 Apr 2010 Da bin ich einverstanden, wenn die Schüler/-innen bzw. die Eltern das bezahlen müssen. Wenn es die Schule bezahlt, dann sind TCO und nicht Beschaffungskosten relevant. Wenn mir der Betrieb von proprietären Systemen günstiger kommt als der Betrieb von offenen Systemen, dann ist die Sache für mich zumindest ökonomisch klar.

-- Main.BeatDoebeli - 14 Apr 2010 Ich habe schon seit vielen Jahren so ein Slate, auf dem jede Linux-Distribution läuft (Paceblade Slimbook). Allerdings hatte sich der Hersteller (Tulip Computers) nicht genügend um die Qualitätskontrolle sowohl der Hardware als auch der Konfiguration des gelieferten Systems gekümmert, so dass das damals 2000-fränkige Gerät nie ein Renner wurde, auch bei mir nicht. Im Schulbetrieb wäre solche Hardware zu heikel, wie eigentlich die meisten Laptops und Notebooks: in kurzer Zeit sind sie Sondermüll.

-- Main.TheoSchmidt - 19 May 2010

Open Access plötzlich konkret

19 May 2010 | Beat Döbeli Honegger | PHSZ, Wissenschaft
Seit längerem interessiere ich mich für das Thema Open Access (Biblionetz:w01889), den entsprechenden Biblionetz-Eintrag gibt es seit März 2006. Bis vor kurzem war mein Interesse eher akademisch und gesellschaftspolitisch. Die Veröffentlichung der Ergebnisse der Nationalfondsstudie zu Lernplattformen an Schulen (Biblionetz:b03672) bei uns am Institut hat die Open-Access-Diskussion nun plötzlich konkret werden lassen. Mein entsprechender Publikationshinweis hier im Blog hat zahlreiche Leserinnen und Leser auf die entsprechende Biblionetzseite geführt. Dort wieder sind dann einige auf den Abschnitt Fulltext dieses Dokuments gestossen und haben vergeblich versucht, die entsprechenden PDF-Dokumente herunterzuladen:

openaccessploetzlichkonkret.jpg

Dies ist jedoch nicht möglich, die entsprechenden PDF-Dateien stehen nur mir selbst zur Verfügung, da es mir aus urheberrechtlichen nicht erlaubt ist, diese Daten zum Download anzubieten. Dies habe ich auch denjenigen geantwortet, die eine technische Ursache hinter den Downloadproblemen vermutet haben. In der Folge wurde ich dann mehrfach gefragt, warum denn die Ergebnisse einer Nationalsfondsstudie nicht kostenlos im Internet abrufbar sind, schliesslich seien diese Ergebnisse ja mit Steuergeldern finanziert worden. Jemand mailte mir, dass sein Arbeitgeber selbstverständlich die Beschaffung des Buches unterstütze und finanziere, aber der administrative Aufwand zur Bestellung und Abrechnung doch mühsam sei im Vergleich zum Download eines PDFs.

Hoppla! Ja, warum eigentlich nicht? Die Ergebnisse sind vor allem in den nächsten fünf Jahren relevant, somit wäre eine rasche und problemlose Verbreitung wünschenswert. Warum werden diese Ergebnisse nicht kostenlos online verfügbar gemacht (z.B. längerfristig auf dem Webserver des Nationalfonds)? Geld verdient man ja nicht mit solchen Publikationen, im Gegenteil. Zudem belegen bereits zahlreiche Untersuchungen, dass Open Access den Impact von Publikationen erhöhen kann, diese also häufiger zitiert werden als non-OA-Publikationen. Somit müssen wir uns tatsächlich fragen, warum diese Ergebnisse in Buchform und nicht digital und frei verfügbar veröffentlicht worden sind.

Mir ist schon bewusst, dass ich damit tradierte wissenschaftliche Verhaltensweisen in Frage stelle. Aber sind wir nicht in einem Themengebiet tätig, wo wir aufgrund der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung auch gewisse tradierte Verhaltensweisen in Frage stellen? wink

Ich bin gespannt auf die Diskussion!

Update (30.04.2010): Dominik Petko (Herausgeber des Buches) hat geantwortet.

Update II (14.05.2010): Teile des Buches sind unterdessen bei Google Books abrufbar.

Auch ich habe immer wieder mit dieser Thematik zu tun. Ich bin voll Beat's Meinung, auch wenn ich Dominik Petko verstehe. Früher war "Selbstpublikation" etwas anrüchiges. Heute muss sich der Autor oder die Autorin aber fragen: will man von vielen gelesen oder beachtet werden, oder nur von denen, die sich die Publikation kaufen? Will man seine Online-Versionen selber kontrollieren oder es Akteuren wie Google Books überlassen? Interessant, dass beim hier vorliegenden Fall ausgerechnet Beat's Text nicht auf Google Books erhältlich ist, dafür aber die meisten von Dominik Petko! Wird sich der Leser von einem solchen Google Book nicht gegängelt vorkommen, da immer wieder Seiten fehlen, und Textstellen zu kopieren nur als Bildschirmphoto geht? Wird er dann in den nächsten Buchladen rennen oder eher denken "Ihr könnt mich mal!"? Ich kann sagen, was ich als Leser will. Das Google Book Modell wäre gut, wenn die Seiten nicht fehlen würden. Dazu sollte es aber möglich sein ein PDF oder eBuch zu kaufen, aber zu einem günstigen Preis und elektronisch einfach abrechenbar. Ich weiss, dass das für die traditionellen Verlage nicht aufgeht, aber zur Zeit wiederholen sie die Fehler der Musikindustrie. Als Autor möchte ich einerseits die Rechte behalten, meine eigenen Texte zu verbreiten, und anderseits wissen, dass der Verlag sich fortschritllich verhält und weder das Buch in kürzester Zeit einstampfen lässt noch versucht es zu überhöhten Preisen in einem DRM-gegängelten proprietären Format zu verkaufen. Dann noch lieber bei Google.

-- Main.TheoSchmidt - 19 May 2010

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In einer Medienmitteilung von heute, 14.05.2010 verweist die Zürcher Bildungsdirektion auf einen Beschluss des Bildungsrats PDF-Dokument nach welchem mit verschiedenen Massnahmen die Naturwissenschafts- und Technikbildung gefördert werden soll.

Dieser Beschluss basiert zum Teil auf den Empfehlungen einer Expertise zu Naturwissenschaft und Technik in der Allgemeinbildung im Kanton Zürich PDF-Dokument (Biblionetz:b03995) des Zürcher Hochschulinstituts für Schulpädagogik und Fachdidaktik.

Sowohl die Expertise als auch der Bildungsratsbeschluss veranlasst mich zu einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits freut es mich, dass die Bedeutung von Naturwissenschaften und Technik für die Allgemeinbildung pointiert herausgestellt wird:

Obwohl unser Leben von unzähligen technischen Erfindungen geprägt ist, hat es die Technik dennoch bis heute kaum geschafft, als echter Bestandteil der Allgemeinbildung akzeptiert zu werden. Häufig wird technisches Unwissen sogar noch als Beweis echter Bildung betrachtet. Entsprechend kommen technische Themen im Schulsystem der Schweiz, wie in fast allen anderen westlichen Ländern auch, zu kurz.
Ralf Schumacher, Seite 28 der Expertise

Andererseits ist es frustrierend, dass Informatik komplett unberücksichtigt bleibt. In der Expertise kommt der Begriff auf den 124 Seiten ganze drei Mal vor, im Beschluss des Bildungsrats fehlt er ganz. Man scheint die Bedeutung der Wissenschaftsdisziplinen, die zur Industriegesellschaft geführt haben, fördern zu wollen und ignoriert dabei die Wissenschaft, die massgeblich zum Entstehen der Informationsgesellschaft geführt hat.

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