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Programmieren ist das Chemielabor der Informatik

31 July 2017 | Beat Döbeli Honegger | Informatik
Die Aufnahme von Informatik in Lehrpläne von immer mehr Ländern bleibt nicht ohne kritische Stimmen. Meist wird dabei die Frage diskutiert, ob Programmieren tatsächlich in die Schule gehöre (Biblionetz:f114). Programmieren sei eine Tätigkeit für Spezialisten, die vielleicht sogar bald überflüssig werde und somit sicher kein Bestandteil der Allgemeinbildung.

Ich studiere seit längerem darüber nach, wie ich meine Überzeugung verständlich machen kann, dass Programmieren ein relevantes Thema für die Schule, letztendlich aber nur ein Werkzeug der Informatik darstellt. Derzeit experimentiere ich mit der Metapher Programmieren ist das Chemielabor der Informatik. Metaphern sind immer schwierig und Vergleiche hinken, aber bildungspolitische Entscheide sind immer historisch gewachsen und daher hilft es auch, Informatik in Bezug zu anderen, bestehenden und weitgehend unbestrittenen Fächern zu stellen.

Diese Woche ist nun mein Beitrag Programmieren ist das Chemielabor der Informatik (Biblionetz:t11900) im Bote der Urschweiz erschienen.

t11900.jpg

Letzten Herbst war es so weit: Die ersten 85 angehenden Primarlehrerinnen und Primarlehrer haben im ersten Semester ihres Studiums an der Pädagogischen Hochschule die neue Lehrveranstaltung «Grundlagen der Informatik» besucht und dort unter anderem auch eine Einführung ins Programmieren erhalten. Diesen Sommer werden die ersten Lehrpersonen für die 5. und 6. Klasse entsprechende Weiterbildungen besuchen. Programmieren? Ist es wirklich notwendig, dass Primarlehrerinnen und Primarlehrer programmieren lernen, um dies wiederum ihren Schülerinnen und Schülern beizubringen?

Aus meiner Sicht gehört Informatik zur heutigen Allgemeinbildung genauso wie Physik, Chemie und Biologie. Die Bereiche stehen auf dem Stundenplan, nicht weil wir primär entsprechende Berufsleute gewinnen wollen, sondern weil unsere Gesellschaft der Meinung ist, dass ein grundlegendes Wissen über Physik, Chemie und Biologie wesentlich für das Verständnis unserer Welt ist und darum Teil der Allgemeinbildung sein sollte.

Ich kann Auto fahren, kochen und Kinder bekommen, ohne viel über Physik, Chemie oder Biologie zu wissen. «Überlebenswichtig» sind diese Fachgebiete somit nicht - wenn ich nicht lesen, schreiben und rechnen kann, habe ich deutlich grössere Probleme im Alltag. Die Naturwissenschaften eröffnen mir jedoch Sichtweisen auf die Welt: Die Physik erklärt mir die Welt aus physikalischer Perspektive, Chemie und Biologie machen dasselbe aus ihrem Blickwinkel. Wenn ich mehrere dieser Perspektiven kenne, erkenne ich auch, dass es nicht eine alles erklärende Sichtweise auf die Welt gibt. Die physikalische, die chemische und die biologische - aber auch alle anderen in der Schule vermittelten Perspektiven - erlauben mir zu vergleichen, zu hinterfragen und mündig zu handeln.

Um die chemische Perspektive zu verstehen, reicht es jedoch nicht, Atommodelle und Versuche theoretisch im Lehrbuch anzuschauen. Eigene Experimente sind für das Verständnis von Chemie wichtig. Im Chemielabor wird die chemische Theorie mit allen theoretischen und praktischen Facetten zum Leben erweckt. Im Labor lernen Schülerinnen und Schüler zu denken wie Chemikerinnen und Chemiker. Sie erkennen, dass theoretisches Wissen notwendig ist, bevor man im Labor etwas ausprobiert. Und sie erleben auch, dass trotz theoretisch bester Vorbereitung nicht immer alles so herauskommt wie geplant.

Derzeit ist die Digitalisierung daran, unsere Welt zu verändern. Unser berufliches, privates und gesellschaftliches Leben wird immer stärker durch digitale Technologien geprägt und ist ohne Verständnis ihrer Funktionsweise nicht mehr durchschaubar. Zu einer zeitgemässen Allgemeinbildung gehört somit neben einer physikalischen, chemischen und biologischen auch eine informatische Perspektive. Schülerinnen und Schüler sollten in Grundzügen die Gesetze des Digitalen verstehen. Tun sie das nicht, so fehlt ihnen eine wichtige Sichtweise auf die heutige Welt.

In der Informatik hat das Programmieren einen ähnlichen Stellenwert wie das Experiment und das Labor in der Chemie. Viele - nicht alle - Aspekte der Informatik lassen sich mithilfe des Programmierens illustrieren, und viele Probleme der Informatik werden mit Programmieren gelöst. Beim Programmieren kommen Theorie und Praxis zusammen. Wie im Chemielabor zeigt es sich letztendlich, ob eine Herangehensweise auch in der Praxis funktioniert. So wie das Fach Chemie jedoch mehr als nur das Chemielabor umfasst, sollte auch Informatik nicht mit Programmieren verwechselt werden. Informatik umfasst auch ein Verständnis von Datenbanken oder der Funktionsweise des Internets - Themen, die wenig mit Programmieren zu tun haben.

Bereits in der Primarschule wird Physik, Chemie und Biologie gemacht, meist ohne es so zu bezeichnen. In unseren Lehrveranstaltungen an der Pädagogischen Hochschule Schwyz zeigen wir Wege auf, wie sich in der Primarschule altersgerecht und motivierend Informatik vermitteln und programmieren lässt, ohne dass diese Begriffe im Vordergrund stehen müssen.

Ich habe versucht, in diesen 4000 Zeichen folgende Aussagen unterzubringen:
  • Biblionetz:a1157 Informatik muss Teil der Allgemeinbildung sein
  • Biblionetz:f0114 Progtrammieren gehört als wichtiges Werkzeug der Informatik in die Schule
  • Biblionetz:a1151 Informatik ist mehr als nur Programmieren
  • Biblionetz:a1285 Informatikunterricht ist so wichtig wie Physik-, Chemie- oder Biologieunterricht
  • Biblionetz:a1284 Informatikunterricht ist nicht so wichtig wie Mathematik- und Deutschunterricht

Programmieren mit dem Chemielabor gleichzusetzen ist nicht ungefährtlich: Chemielabor klingt nach Hardware, nach kostenintensiv. Es wäre somit inhaltlich richiger gewesen, Programmieren mit dem Chemieexperiment gleichzusetzen. Habe ich mir überlegt, aber die Metapher klingt in meiner Wahrnehmung schlechter. Ich habe mich darum für den besser klingenden, wenn auch inhaltlich etwas weniger zutreffenden Vergleich entschieden.


Der Lehrplan 21 verlangt, dass wir den Lernenden Einblicke ins Programmieren geben.

Das muss anschaulich sein, d.h. man muss sofort sehen, was man entwickelt hat. Es muss aber auch echt sein, d.h. nicht nur eine Spielerei, sondern eine Programmiersprache die auch Zukunft hat. Es kann ja durchaus sein, dass es einzelne Lernende packt und die können dann das 1x1 bis ins Berufsleben gebrauchen. Die Anleitungen und Anweisungen müssen in Deutsch sein.

Diese Bedingungen erfüllt Playgrounds. Diese Programmiersprache bietet genau das, was wir brauchen um den Lehrplan 21 umzusetzen. Mehr: https://www.lernklick.ch/ipad-kurse/programmieren-lp-21/

-- Main.AndresStreiffGlarus - 18 Jul 2017 Lieber Andreas,
du kennst vermutlich GedankenZuProgrammierumgebungenFuerMedienUndInformatik. Bei deinem Vorschlag habe ich Bedenken bezüglich den Punkten "technische Verfügbarkeit" und "längerfristig verfügbar".

-- Main.BeatDoebeli - 30 Jul 2017

Scratch Conference 2017

16 July 2017 | Beat Döbeli Honegger
scratch2017.jpg

Kommende Woche findet in Bordeaux vom 18. bis 21. Juli 2017 die jährliche Scratch-Konferenz statt. Nach der Konferenz 2015 in Amsterdam (wo ich die grosse Ehre hatte, die Konferenz zusammen mit Mitch Resnick zu eröffnen (Folien, Video)) und der Konferenz 2016 am MIT Media Lab in Boston ist dies nun meine dritte Scratch-Konferenz, auf die ich mich sehr freue.

Dieses Posting ist derzeit weniger ein Bericht, sondern eher ein öffentlicher Notizzettel von mir mit Hinweisen für Teilnehmende und nicht Teilnehmende an der Konferenz wink

Was mich technisch interessiert

  • Preview von Scratch 3.0 (in HTML5, Tablet- und Smartphonetauglich)
  • Öffentliche Präsentation der Programmiersprache GP (steht für General Purpose )

Coole Ideen

BlogKommentar

16 July 2017 | Beat Döbeli Honegger


 
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Korelation stat Kausalität

08 July 2017 | Beat Döbeli Honegger
UPDATE 08.07.2017: Die in diesem Blogposting kritisierte Präsentation der BLIKK-Studie wurde von der Website entfernt ("Die Ergebnis-Präsentation wird aktuell überarbeitet.") Da die Studie aber unterdessen mehrfach zitiert wird (ohne dass mehr als eine Präsentation und eine Pressemitteilung verfügbar sind), habe ich in Ermangelung einer Publikation die Studie als Begriff aufgenommen: Biblionetz:w2940.

Diese Woche hat die deutsche Drogenbeauftragte Marlene Mortler die Ergebnisse der BLIKK Studie 2017 vorgestellt. Die Zusammenfassung der Medienmitteilung lautet:

Die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung stehen außer Frage. Doch die Digitalisierung ist nicht ohne Risiko, zumindest dann, wenn der Medienkonsum außer Kontrolle gerät: Die Zahlen internetabhängiger Jugendlicher und junger Erwachsener steigen rasant - mittlerweile gehen Experten von etwa 600 000 Internetabhängigen und 2,5 Millionen problematischen Nutzern in Deutschland aus. Mit der heute vorgestellten BLIKK-Medienstudie werden nun auch die gesundheitlichen Risiken übermäßigen Medienkonsums für Kinder immer deutlicher. Sie reichen von Fütter- und Einschlafstörungen bei Babys über Sprachentwicklungsstörungen bei Kleinkindern bis zu Konzentrationsstörungen im Grundschulalter. Wenn der Medienkonsum bei Kind oder Eltern auffallend hoch ist, stellen Kinder- und Jugendärzte weit überdurchschnittlich entsprechende Auffälligkeiten fest.

und

Die wesentlichen Ergebnisse im Überblick:

  • 70 % der Kinder im Kita-Alter benutzen das Smartphone ihrer Eltern mehr als eine halbe Stunde täglich.
  • Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer intensiven Mediennutzung und Entwicklungsstörungen der Kinder
  • Bei Kindern bis zum 6. Lebensjahr finden sich vermehrt Sprachentwicklungsstörungen sowie motorische Hyperaktivität bei denjenigen, die intensiv Medien nutzen
  • Wird eine digitale Medienkompetenz nicht frühzeitig erlernt, besteht ein erhöhtes Risiko, den Umgang mit den digitalen Medien nicht kontrollieren zu können

Weder in der Medienmitteilung noch im Factsheet PDF-Dokument oder in der Präsentation PDF-Dokument wird erwähnt, dass es sich dabei um Korrelationen und nicht zwingend um Kausalitäten handelt.

Massenmedien haben jedoch bereits angefangen, verkürzend über die Ergebnisse der Studie zu berichten. Hier stellvertretend aus dem Tages Anzeiger vom 30.05.2017:

blikk2017-01.jpg

Smartphones schaden Kindern

Das Smartphone steigert bei Kindern und Jugendlichen das Risiko von Konzentrationsschwäche und Hyperaktivität. So führt die tägliche Smartphon-Nutzung von mehr als einer halben Stunde bei 8- bis 13-Jährigen zu einem sechsmal höheren Risiko von Konzentrationsstörungen als üblich. Das geht aus einer deutschen Studie hervor, für die 5500 Kinder und Eltern befragt wurden. Motorische Hyperaktivität ist demnach bei 2- bis 5-Jährigen bei einer Smartphone-Nutzung von mehr als einer halben Stunde pro Tag 3,5-mal häufiger als normalerweise. Das Smartphone kann aber schon früher zum Problem werden: Wenn die Mutter etwa parallel zum Stillen des Säuglings digitale Medien nutze, gebe es messbare Hinweise auf Bindungsstörungen. «Kinder trinken nicht richtig, sie schlafen schlecht», sagte die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler bei der Vorstellung der Studie des Instituts für Medizinökonomie und medizinische Versorgungsforschung Köln. (SDA).

schwupp und aus den Korrelationen der Studie sind Kausalitäten geworden.

Man würde ja gerne einen Blick in die Studie werfen. Die ist jedoch bis heute (31.05.2017) nicht auf der Website der deutschen Drogenbeauftragtenabrufbar. Stattdessen muss man sich mit den Präsentationsfolien PDF-Dokument der Pressekonferenz begnügen.

blikk2017-02.jpg

Beim Betrachten dieser Folien bin ich allerdings selbst in Versuchung, aus Korrelationen Kausalitäten zu machen: Sowohl die unprofessionell wirkende Foliengestaltung, die naiven Bilder eines medienfreien Familienfrühstücks ("Wie schön!!!.... miteinander Essen, Sprechen, Lachen....") als auch mehrere Schreibfehler auf einer einzigen Folie ("BICKEN statt Liken" und "PADDELN statt Datteln") sagen kausal nichts über die Qualität der Studie aus. Sie lassen mich jedoch trotzdem ins Grübeln kommen....

blikk2017-03.jpg

P.S.: Ja, die Tippfehler im Titel dieses Beitrags sind beabsichtigt.

P.S.II: Oh, die Autoren der Präsentation sagen, dass auch ihre Schreibfehler Absicht gewesen wären. Eine ganz neue Strategie der Wissenschaftskommunikation in Zeiten des Informationsüberflusses...

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