Dies ist der private Weblog von Beat Döbeli Honegger

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DigitaleBildungImNeuenDeutschenKoalitionsvertrag

27 November 2013 | Beat Döbeli Honegger
Neue Kurznachricht aus der Bildungspolitik. Heute Mittag der Koaltitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode veröffentlicht worden. Seite 30 des 185-seitigen Dokuments ist der digitalen Bildung gewidmet:

Digitale Bildung

Wir werden mit den Ländern und Akteuren aus allen Bildungsbereichen eine gemeinsame Strategie „Digitales Lernen“, die die Chancen der neuen Medien für gute Bildung entschlossen nutzt, entwickeln und umsetzen.

Die digitale Lehrmittelfreiheit muss gemeinsam mit den Ländern gestärkt werden. Grundlage hierfür ist ein bildungs- und forschungsfreundliches Urheberrecht und eine umfassende Open-Access-Politik. Schulbücher und Lehrmaterial auch an Hochschulen sollen, soweit möglich, frei zugänglich sein, die Verwendung freier Lizenzen und Formate ausgebaut werden.

Nicht nur in Schulen und Kitas möchten wir die IT-Fertigkeiten und den Umgang mit den Medien vermitteln. Eine starke digitale Wirtschaft braucht starke Fachkräfte, deshalb werden wir in einem kooperativen Miteinander von Bund und Ländern die Bildung und Ausbildung in den Bereichen IT und Technologie praxisorientiert stärken.

Wir unterstützen die Förderung von Wissenschaftskompetenz von der Grundschule bis zur Hochschule. Dabei fördern wir Programme und Wettbewerbe in den MINT-Fächern und einen zeitgemäßen Informatikunterricht ab der Grundschule. Damit das Wissen entsprechend vermittelt werden kann, sind Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrerinnen und Lehrer zur Medienkompetenz dringend notwendig. Wir streben außerdem die Verfügbarkeit ausreichender Master-Studienplätze im Bereich IT an. Zielgerichtet sollen vor allem Mädchen und junge Frauen für diese Berufsfelder begeistert werden. Der Aufbau eines Mentorinnen-Netzwerks in der digitalen Wirtschaft ist dabei eine geeignete Maßnahme. Der Anteil von Studentinnen zum Beispiel bei Informatik und Elektrotechnik soll erhöht werden. Auch in den MINT-Fächern legen wir den Fokus verstärkt auf die jungen Schülerinnen und Studentinnen.

Nach dem Vorbild der Eliteschulen des Sports werden wir mit den Ländern Gespräche aufnehmen, um die Einführung von Profilschulen IT/Digital mit dem Schwerpunktprofil Informatik anzuregen. Dabei ist die Kooperation mit Hochschulen oder Forschungseinrichtungen sowie gegebenenfalls privaten Partnern obligatorisch.

Ich bin gespannt, was aus diesen Absichterklärungen wie umgesetzt werden wird... IsaBildungsPolitik

Was machen wir mit den Automatisierungsgewinnen?

27 November 2013 | Beat Döbeli Honegger

%STARTBLOG% Auslöser meiner Spielereinen zum ikonischen Denken war inhaltlich meine (erneute) Beschäftigung mit der Frage, welche Folgen die Digitalisierung für den Arbeitmarkt haben wird. Ich wollte mir die These, die durch die Digitalisierung mögliche Automatisierung führt zu Arbeitslosigkeit wieder einmal durchdenken. Dafür gab es verschiedene Gründe: Einerseits werde ich am kommenden Samstag am BeltzFORUM in Wolfsburg wieder einmal etwas über den Leitmedienwechsel und die Bildung erzählen und habe das Gefühl, meine Folien bzw. meine Gedanken müssten mal etwas upgedatet werden, damit es (mir) beim Vortragen nicht langweilig wird. Dann hat mich Marc Pilloud (Biblionetz:p00336) auf den Telepolis-Artikel Opfer der Automatisierung (Biblionetz:t15792) hingewiesen, der die Studie The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation? PDF-Dokument zusammenfasst. Diese wiederum zitiert unter anderem den berühmten Artikel Economic Possibilities for our Grandchildren (Biblionetz:t15783) von John Maynard Keynes, der sich bereits 1930 mit der Frage auseinandersetzte, welche Folgen die zunehmende Automatisierung für Abeitsmarkt, Gesellschaft und Wohlstand haben werde. Und schliesslich lag noch der Artikel Bullshit-Jobs auf dem Vormarsch von Philipp Löpfe auf meinem Pult, der die These von David Graeber aus dem Buch The democracy project (Biblionetz:b05377) zusammenfasst, vonach der Produktivitätsgewinn der aktuellen Automatisierungswelle nicht für mehr Freizeit (oder Arbeitslosigkeit), sondern zur Entstehung von überflüssigen Arbeiten (eben den bullshit jobs (Biblionetz:w02432)) führe. Erklärt sich damit, warum ich Icons brauchte, um die Zusammenhänge für mich zu ordnen?

Im Laufe des Wochenendes kam dann eines zum Andern: Als erstes habe ich mir am Freitag das neue Buch Arbeitsfrei (Biblionetz:b05378) von Constanze Kurz und Frank Rieger gekauft. Und weil die Buchhandlung grad 20%-Aktion hatte, landete auch das Buch Digitale Aufklärung (Biblionetz:b05355) von Ossi Urchs und Tim Cole noch in meinem Warenkorb. Dass diese beiden die Begriffe Digitalisierung (Biblionetz:w01513) und Vernetzung (Biblionetz:w00975) als treibende Kräfte einer grossen Veränderung (sie reden nicht von Leitmedienwechsel ) sehen, hat mir angesichts meiner ikonischen Spielereien natürlich gefallen und dazu geführt, dass ich erst dieses Buch angefangen zu lesen habe.

automatisierung-01.jpg

Passenderweise auf dem Bauernhof kam ich dann am Wochenende dazu, das Buch Arbeitsfrei (Biblionetz:b05378) von Constanze Kurz und Frank Rieger zu lesen. Die beiden beschreiben anhand des Beispiels Brot die massiven Veränderungen im Arbeitsmarkt der letzten 100 Jahre aufgrund der zunehmenden Automatisierung. Die einzelnen Kapitel beleuchten verschiedene Stationen des Brotes vom Bauern, den Landmaschinenherstellern, über die Mühle und die Bäckerei bis zur Presse, die für Brote Werbung macht und die Zukunft von fahrerlosen Autos, die künftig Brote und anderes an die gewünschten Orte bringen werden. Eindrückliche Schilderungen, die im ersten Teil des Buches (so weit bin ich bisher gekommen...) vor allem zeigen, wie auch in der Vergangenheit technische Innovation grosse Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zur Folge hatten.

Am Sonntag habe ich dann den Artikel von David Iselin im Magazin des Tages Anzeigers entdeckt (Biblionetz:t15791, nicht online verfügbar), der das Buch Race against the machine (Biblionetz:b04724) von von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee als roten Faden nimmt, um ebenfalls über die Zukunft der Arbeit nachzudenken und sich auch zu fragen, wie gesellschaftspolitisch darauf reagiert werden soll:

Nichtsdestotrotz verlangen die grundlegenden Verschiebungen in Richtung Automatisierung auch nach grundlegenden Politikantworten. In der Schweiz findet bald eine Abstimmung statt, die angesichts der eben diskutierten Fragen nicht uninteressant erscheint. Lässt sich die Gesellschaft so gestalten, dass die Erwerbsgesellschaft nicht nur auf täglicher Arbeit basiert? Die Rede ist von der eidgenössischen Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen».

Iselin schliesst dann mit offenen Fragen:

Die Fragen sind daher diese: Lässt sich technologische Arbeitslosigkeit verhindern? Reicht es, mehr in die Ausbildung zu investieren? Dies ist gemäss Brynjolfsson und McAfee ein zentraler Punkt einer Agenda für das Zeitalter der dritten Industrialisierungswelle. Sollten die Anreize für technische Berufe verbessert werden? Müssen wir alle lernen zu programmieren? Oder sollten im Gegenteil die Geisteswissenschaften wieder mehr Gewicht kriegen, die es uns erlauben (sollten), all dies kritisch zu hinterfragen.

Womit auch mein Wochenende vorbei ist und ich wieder bei den Fragen bin, die mich beruflich auch kommende Woche beschäftigen werden: "Müssen wir alle lernen zu programmieren? Oder sollten im Gegenteil die Geisteswissenschaften wieder mehr Gewicht kriegen, die es uns erlauben (sollten), all dies kritisch zu hinterfragen." Und ich werde wieder argumentieren, dass wir programmieren lernen müssen, damit wir alles dies kritisch hinterfragen können....

Und am Samstag sollte dann das alles schön ikonisert in verständlichen Folien gegliedert sein. Uff.

automatisierung-02.jpg

Heute schrieb ich gerade einen Blog Post zum Thema Konsum, Produktivitätsgewinn und so weiter und suchte nach einem Link mit weiterführender Literatur. Der erste Hit führte mich hier her. Super Sache, habe die Seite verlinkt. Heute Abend frage ich mich: Was ist das für ein Typ, der einen Blog/Wiki betreibt (wie ich auch). Viele von uns gibt es ja nicht. Also fix nach unseren beiden Namen gegoogelt. Ich war allerdings schon sehr überrascht, als ich ein Foto von Eugene fand, auf dem wir beide gemeinsam drauf sind.

-- Main.AlexSchroeder - 23 Nov 2013 Huhn oder Ei? Programmieren oder philosophisch hinterfragen können? Damit Politiker, Chefs, Lehrer und Mütter heute intelligente Entscheidungen treffen können, müssen sie eine grundlegende Medienkompetenz, aber auch Geschichte, Soziologie, Philosophie und Psychologie haben, um deren Auswirkungen im Gesamtkontext überhaupt einordnen zu können. Aktuell sehen wir sehr viele Akteure auf der Weltbühne, die mit Kanonen auf Spatzen schiessen und gegen Windmühlen kämpfen, da sie ihrerseits nur von Beratern mit Infohäppchen gefüttert werden und selbst keine Kompetenz im Bereich der Informationstechnologien haben. Am Ende ist das Einzige was vom Menschen übrig bleibt, das Maschinen nicht besser können, wohl die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind.

-- Main.MalaMukherjee - 25 Nov 2013 Als Vater kann ich den letzten Satz des letzten Kommentars so nicht akzeptieren wink

-- Main.BeatDoebeli - 27 Nov 2013

Das schulische Content-Filter-Dilemma

25 November 2013 | Beat Döbeli Honegger | Schul-ICT
Im August 2013 habe ich mir hier im Blog Gedanken zum schulischen Cloud-Dilemma gemacht. Aktuell macht ein weiteres Schul-ICT-Dilemma die Runde: Das schulische Content-Filter-Dilemma.

Worum geht es?

Die Swisscom stellt in der Schweiz seit 2003 (dem Beginn der damaligen PPP-SiN-Initiative "Schule im Netz") den Schweizer Schulen unter dem Label Schulen ans Internet - SAI kostenlos einen Internetanschluss zur Verfügung, den derzeit etwa 6800 Schulen - 100'000 Lehrpersonen und 1 Million Schülerinnen und Schülern nutzen. Swisscom bietet für diese Internetanschlüsse auch einen Contentfilter an, bei dem die Kantone pro Schulstufe entscheiden dürfen, welche der ca. 30 vorgegebenen Themenbereiche blockiert werden dürfen (siehe Liste der Kategorien (Stand 2006) PDF-Dokument und gesperrte Kategorien Volksschule Kanton Bern PDF-Dokument / gesperrte Kategorien Sekundarstufe II Kanton Bern PDF-Dokument).

Der Einsatz von Internetfilterprogrammen zu Jugendschutzzwecken ist seit langem umstritten (siehe z.B. die Bemerkungen unter Biblionetz:w00935), doch hat sich der Einsatz von Filterprogrammen im unverschlüsselten Internet in den letzten Jahren etabliert - so würden sich nur noch wenige Nutzer darüber beklagen, dass ihr Internetprovider alle Mails automatisiert liest und Spammails auszufiltern versucht.

Es liesse sich an diesem Punkt auch diskutieren, ob mit der Verwendung einer US-amerikanischen Contentfilterlösung nicht auch US-amerikanische Wertvorstellungen in Schweizer Schulen zur Anwendungen kommen, was durch die Möglichkeit, einzelne Kategorien ein- bzw. auszuschalten nur teilweise verhindert werden kann. Doch dies soll hier nicht im Zentrum stehen.

Was ist denn nun passiert?

Eine scheinbar kleine Änderung der Firma Google hat nun jedoch zu einer neuen Stufe des schulischen Content-Filter-Dilemmas geführt: Seit kurzem werden Daten an und vom Suchdienst von Google nicht mehr unverschlüsselt per http , sondern verschlüsselt per https übermittelt. Damit lassen sich aber weder Suchanfragen noch Antworten der Suchmaschine auf dem Transportweg mitlesen oder eben filtern: Contentfiltering ist bei einer https-Verbindung nicht mehr einfach so möglich.

Hier beginnt nun das Dilemma: Der Content-Filter von SAI ist bei Google-Anfragen nicht mehr wirksam. Swisscom hat deshalb als Sofortmassnahme eine Filterung des https-Verkehrs in Angriff genommen. Swisscom-Server geben sich als der gesuchte Webserver aus (z.B. als den Suchdienst von Google) und versuchen so den Datenverkehr mitzulesen. In der Fachsprache wird dies als "Man in the middle-Attack (MITMA)"" bezeichnet (siehe z.B. Wikipedia).

Bei https klappt das aber eben nicht problemlos: Webbrowser reklamieren bei einem solchen Versuch, dass der angebliche Server am anderen Ende kein gültiges Zertifikat für die vorgegaukelte Identität vorweisen kann:

contentfilterdilemma-01.jpg

Auf eine solche Warnmeldung kann ein User auf verschiedene Arten reagieren:

  • Er nimmt die Warnung ernst und bricht den Verbindungsversuch ab. Es werden keine Daten ausgetauscht. (Im angesprochenen Google-Bespiel sind dann aber auch keine Suchanfragen mehr möglich).
  • Er gestattet dem Browser ausnahmsweise, trotz der Warnung eine Verbindung vorzunehmen. Es werden für die Dauer einer Session Daten ausgetauscht. Beim nächsten Mal kommt die Warnung wieder.
  • Er weist den Browser an, für die aktuelle Adresse die Warnmeldung zukünftig zu unterdrücken. Es werden Daten ausgestauscht, bei der nächsten Session wird die Warnmeldung nicht mehr erscheinen.
  • Er installiert ein Zertifikat, das dem Browser mitteilt, der Server in der Mitte sei vertrauenswürdig. Es werden Daten ausgetauscht, der Browser wird bei keiner gefälschten https-Verbindung mehr reklamieren.

Genau die vierte Variante schlägt nun Swisscom den Schulen bzw. Kantonen vor. Swisscom bietet zwei Zertifikate zum Download und Installieren auf Schulcomputern an, welche die Man-in-the-middle-Attacke ohne Warnmeldungen und damit auch das Filtern von https-Verbindungen ermöglichen.

Verschiedene Kantone empfehlen dies nun auch so ihren Schulen, so zum Beispiel Solothurn oder Zürich. Bern hingegen empfiehlt, auf das Installieren der Zertifikate zu verzichten und nur die Ausnahmen zu speichern.

Weitere technische Informationen und Hintergrundinfos zum Ablauf finden sich z.B. bei http://sai.edu-ict.zh.ch/.

Wo ist nun das Problem?

Es scheint mir gerade im Jahr der Snowden-Enthüllungen eher problematisch zu sein, wenn die Swisscom zur Sicherstellung des Contentfilterings zur Methode der Man-in-the-Middle-Attacke greift und sämtliche https-Verbindungen kompromittiert. Swisscom stellt sich auf den Standpunkt, es sei Aufgabe der Kantone bzw. Schulen, die User darüber zu informieren, dass nach Installation der Zertifikate https-Verbindungen abgehört werden können. Realistischerweise wird diese Information aber die wenigsten schulischen User erreichen.

Mit dieser Massnahme wird das Vertrauen in verschlüsselte Internetverbindungen untergraben zugunsten der Aussage, man könne weiterhin allen Webtraffic filtern.

Und wo ist das Dilemma?

Um die Frage zu klären, warum dies ein Dilemma darstellt, müssen wir uns fragen, wozu denn überhaupt schulische Contentfilter dienen. Schulische Contentfilter versuchen drei Dinge:

  1. Schülerinnen bzw. vor allem Schüler vor dem bewussten Konsum von unerwünschten Inhalten via Schulnetz abhalten. Bei der heutigen Verbreitung von Smartphones mit entsprechenden Flatrates muss man sich bewusst sein, dass man damit allenfalls unerwünsche Daten vom Schulnetz, nicht jedoch vor den Augen von Kindern und Jugendlichen ab einem gewissen Alter fernhalten kann. Wer solche Dinge sucht, findet sie, trotz aller Verbote und technischer Massnahmen.
  2. Schülerinnen und Schüler vor der unabsichtlichen Konftrontation mit unerwünschten Inhalten via Schulenetz schützen. Tatsächlich kann man sich fragen, ob es sinnvoll ist, wenn bei Kindern die nach ihrem Lieblingstier suchen, auch solche Suchtreffer erscheinen sollen: contentfilterdilemma-02.jpg
  3. Schulbehörden, Schulen und Lehrpersonen vor möglichen Schuldzuweisungen schützen, denn mit der Verwendung von Contentfiltern wurde ja "etwas getan" gegen die unerwünschten Inhalte aus dem Internet. Martin Seeger formulierte dies in einer aktuellen Google+-Diskussion relativ prägnant: "Jugendschutz-Software muss für eine Schule nicht wirklich funktionieren. Die müssen eine Rechnung haben mit "Wir haben das gekauft", damit sie nachweisen, dass sie ihre "Pflicht" getan haben. Jegliche tatsächliche Filterung ist ein Kollateralerfolg."

Es ist doch aus meiner Sicht absolut hirnverbrannt nicht sehr sinnvoll, wenn mit grossem finanziellem und personellem Aufwand Filterlösungen im Bildungssystem aufrecht erhalten werden, nur damit man den verantwortlichen Stellen und Personen nicht vorwerfen kann, sie hätten notwendige Massnahmen zur Verhinderung von Unbill nicht ergriffen. Diese Strategie des defensiven Entscheidens (Gerd Gigerenzer, Risiko (2013) (Biblionetz:b05221)) erlebt man seit 9/11 bei jeder Sicherheitskontrolle am Flughafen (obwohl man weiss, dass sich auch mit Plastikmessern ein Flugzeug entführen lässt, werden Flüssigkeiten etc. minutiös kontrolliert bzw. verboten) oder spiegelt sich im Artikel Weil etwas passieren könnte (Biblionetz:t15759, nicht online verfügbar) von Denise Bucher im letzten Tages Anzeiger Magazin wider, wo der Fall eines Zürcher Jugendlichen geschildert wird, der aufgrund einer scherzhaft geäusserten Drohung drei Wochen in Untersuchungshaft gesetzt worden ist und gemäss aktuellem Gerichtsentscheid die Verfahrenkosten von CHF 13'000.- übernehmen muss.

Wollen wir für (scheinbar) mehr Sicherheit die Beschneidung unserer Privatsphäre in Kauf nehmen? Auf dieser Ebene hat die Frage nur wenig mit digitalen Medien und Schule zu tun, sondern mehr mit einer allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer eher defensiven Verteididungsmentalität "Nur ja nichts Falsches machen".

Auf der anderen Seite: Müssen wir aufgrund technischer Entwicklungen bisherige normativ festgelegete Grundwerte wie Jugendschutz (Biblionetz:w00932) begraben? Können wir wirklich in einer Art Technikdeterminismus (Biblionetz:w02180) sagen, dass sich Jugendschutz aufgrund der technischen Entwicklung halt nicht mehr durchsetzen lasse wie früher und somit aufgegeben werden müsse?

Update: Neben den bereits im Posting erwähnten Quellen, wird die Problematik auch hier diskutiert:

-- Main.SimDoehner - 25 Nov 2013 Ich frage mich warum auf einen Filter gesetzt wird, der die Inhalte bereits in der Suchmaschiene zensiert/filtert, wenn man auch einfach unerwünschte Domains/ipAdressen filtern kann.

Sicherlich würden in zweitem Fall noch eventuell unerwünschte Bilder in der Google Bildersuche zu finden sein, doch mit einer Suchmaschiene wie z.B. "FragFinn" würde auch das Problem beseitigt...

Bei älteren SchülerInnen würde FragFinn wahrscheinlich nichtmehr zeitgemäß sein, doch dann ist es vielleicht auch an der Zeit über die Gesellschaft zu diskutieren und zu hinterfragen warum eigentlich an fast jeder Ecke nackte Haut zu sehen ist...

Über den Fall des Züricher Jugendlichen bin ich vermutlich nicht ganz im Bilde, doch wenn mich nicht alles täuscht, ging es um eine nicht ernst gemeinte "Drohung" ("ich erschiess euch alle" weil nicht zum Geburtstag gratuliert wurde) sicher - manches kann man als nicht ernst gemeint erkennen, doch es bleibt eine Drohung, fraglich ob man "überall" sagen sollte erzieherischer Auftrag hin oder her, "ist doch alles nicht so schlimm" ?

Es bleibt was es ist, Androhung einer Gewaltat, und so sinnlos es auch erscheinen mag, man droht nicht andere umzubringen, auch nicht zum Spass, das müssen SchülerInnen nunmal lernen. Ich würde nun nicht gleich die 13.000chf (wow... das sind ja 10566€!) auf den Schüler abwälzen. Der Schüler wird es kaum selbst zahlen können, die armen Eltern..

Das Problem der Bewahrpädagogik bleibt.

Vor Fehlern und Problemen zu schützen die noch nicht geschehen sind (und vielleicht nie geschehen werden) kann keiner schaffen.

Wenn Lehrpersonal sich aber Angriffen von Eltern ausgesetzt sieht, sollte das jeweilige Land vielleicht den Schulen den Rücken stärken.

Eltern werden doch auch nicht belangt, wenn sie das Kind allein von der Schule nach Hause gehen lassen und das Kind dann auf dem Amaturenbrett eines geparkten Wagens ein Heft mit nicht jugendfreien Inhalten sieht und "geschockt" ist..

Warum sollten dann Lehrer belangt werden können, wenn Schüler im Internet nicht jugendfreie Vorschaubildchen sehen könnten?

Ich bin kein Experte für Schulgesetze, ich bin mir nichtmal sicher ob Eltern wegen irgendetwas klagen könnten, was (minderjährige) SchülerInnen im internet sehen könnten. Selbst wenn es die Möglichkeit gäbe, wurde das bisher gemacht? Oder ist das ebenfalls nur so eine Diffuse Angst (Ähnlich wie "wir sind überall andauernd von Terroristen umgeben, die unsere Freiheit stehlen wollen" ?)

Gruß aus Berlin S. Döhner

-- Main.SimDoehner - 25 Nov 2013

Lesenswertes zum MOOC-Hype

22 November 2013 | Beat Döbeli Honegger
Ich bin ja kein Experte zum Thema MOOCs (Biblionetz:w02343) und gedenke das vorerst auch nicht zu werden (u.a. da ich mich derzeit schwerpuntkmässig mit Schule und nicht mit Hochschule beschäftige und ich (noch) das Gefühl habe, dass MOOCs die Volksschule jetzt nicht grad revolutionieren werden...)

Ich bin deshalb froh über das von Rolf Schulmeister (Biblionetz:p00317) herausgegebene Buch MOOCs - Massive Open Online Courses (Biblionetz:b05384). Endlich ist ein deutschsprachiges Buch erhältlich, welches den MOOC-Hype aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet und vor allem auch historische Parallelen zu Fernlehre, Funk-Kolleg etc. aufzeigt. Nun kann ich entsprechende Fragesteller auf das Buch verweisen und für mich persönlich das Thema MOOCs weiterhin ignorieren wink

Und übrigens: Das Buch gibt es auch kostenlos als PDF zum downloaden PDF-Dokument

Was der LCH zu digitalen Kompetenzen im Lehrplan 21 sagt

22 November 2013 | Beat Döbeli Honegger
Am 21.11.2013 hat der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) seine Vernehmlassungsantwort zur Entwurfsfassung des Lehrplans 21 (Biblionetz:b05300) veröffentlicht.

Der Lehrplan 21 ist überladen. Die Kompetenzen in den einzelnen Fachbereichen müssen reduziert und auch für den Laien verständlich formuliert werden. Zudem sollen Stundentafel, Schülerbeurteilung, Zeugnisse und Lehrerweiterbildung auf den Lehrplan bezogen einheitlich definiert werden, damit ein in sich stimmiges Curriculum entsteht, das dann von der Lehrerinnen und Lehrern auch umgesetzt werden kann. Dies sind die hauptsächlichen Anliegen des LCH, basierend auf der Vernehmlassung in den rund 30 Mitgliedsorganisationen.

Im 27-seitigen Dokument Konsultationsantwort des LCH zum Lehrplan 21 PDF-Dokument (Biblionetz:t15812) stellt der LCH zum Schluss 10 Forderungen auf:

  1. Menge der Kompetenzen reduzieren und priorisieren
  2. Mindestansprüche angemessener definieren
  3. Verständlichkeit für Eltern und Öffentlichkeit verbessern
  4. Schülerbeurteilung und -benotung mitplanen
  5. Kohärenz zu Stundentafeln, Zeugnissen und Lehrmitteln herstellen
  6. Fremdsprachen-Abfolge vereinheitlichen und Obligatorium an der Primarstufe reduzieren
  7. Fächerübergreifende Themen einarbeiten oder als Fach führen
  8. Verbundene Fächer für Fachunterricht transparent halten
  9. Werthaltungen auf internationale Konventionen beziehen
  10. Einführung gemeinsam konzipieren und ausreichend budgetieren

Bezüglich ICT / Medienpädagogik / Informatik äussert sich der LCH folgendermassen (S.19):

Von Interessenvertretern werden ein Ausbau des Programmierens und eine bessere Differenzierung des Themas ICT gefordert. Die D-EDK hat dafür im Sommer 2013 eine Arbeitsgruppe eingesetzt.

Die Forderung nach verstärkten Kompetenzen im Programmieren zum Beispiel Im Rahmen von Projekten (Roboterbau und ähnlich) wird von der Sekundarstufe I mit Verständnis und zum Teil Wohlwollen aufgenommen.

Eine Präzisierung und Klärung der Kompetenzanforderungen ist jedoch sinnvoll. Befürwortet wird die geforderte Aufteilung des Themas in Programmieren/Technik, Anwendung und Medienpädagogik. Favorisiert wird eine Einarbeitung in Mathe und Deutsch, sekundär auch in Gestalten und NMG. Abgelehnt wird die Unterbringung von Programmieren in NMG.

Die Ressourcen für eine breite Weiterbildung der Lehrpersonen sowie für die Anpassung der Infrastruktur müssen bereitgestellt werden. Aus Geldmangel nur wenige Fachlehrpersonen auszubilden, führt zur analogen Situation wie bei den Fremdsprachen: Es entsteht ein weiteres obligatorisches Fach mit Fachlehrersystem, das die Anzahl Lehrpersonen pro Klasse weiter erhöht. Problematisch ist die Abwertung von bisherigen Fächern: Was wäre Mathe ohne Algorithmen und Programmieren, Gestalten ohne Bildsprache, Deutsch ohne Medienkommunikation.

ICT könnte also in drei Bereiche aufgeteilt werden und als Bestandteil der Volksschulbildung in die bisherigen Fächer und Gefässe eingearbeitet werden. Es wäre in der Geschichte der Schule nicht das erste Mal, dass neue Fachgebiete ohne neues Fach integriert worden sind. Mit dieser Lösung wird das Führen eines überfachlichen Themas ICT überflüssig.

Mit einer breiten Weiterbildungsoffensive und der Aufstockung der Grundausbildung der Primarlehrpersonen auf ein MA-Niveau entsteht kein Druck für eine neue Kategorie von Fachlehrpersonen. Dies würde nur das System weiter parzellieren und den Abspracheaufwand ins Unermessliche treiben.

Ernsthaft zu prüfen ist eine kompensatorische Umlagerung von ERG als Fach in die Klassenlehrerstunden und in Geschichte / NMG zu Gunsten von ICT/Medienpädagogik und Informatik.

Das sind spannende Aussagen, welche sicher die kommende Diskussion prägen werden. Interessant sind diesbezüglich auch die zusätzlichen Fragen, die der LCH (nicht nur in Bezug auf digitale Kompetenzen) gestellt hat:

  • Kompetenzen sind gretrennt aufzuführen: Die Kompetenzen in den Fachbereichen ICT (technischer Bereich) und Medien (Bildsprache und Medienkunde) müssen getrennt aufgeführt werden.
  • Themenbereiche sind getrennt aufzuführen: Sollen die Themenbereiche Progrmamieren und Technologie von Medienkunde, Bildsprache, Internet und Anwenderkenntnissen abgetrennt und separat beschrieben werden?
  • Neue Lehrmittel sind notwendig: Müssen die Lehrmittel überarbietet werden, damit die Ziele für ICT und Medien erreicht werden können?

Während alle der Meinung sind, dass für digitale Kompetenzen neue Lehrmittel notwendig sind (Biblionetz:a01198), herrscht bezüglich Aufteilung in der Lehrerschaft eine Pattsituation: Praktisch jeweils die Hälfte ist für, die andere Hälfte gegen eine Aufteilung:

lch.jpg

Ich habe für mich aus dieser Stellungsnahme geschlossen, dass ich in naher Zukunft folgende Aussagen besser begründen können will:

  • Informatik ist mehr als Programmieren! (Biblionetz:a001157)
  • In der Volksschule gibt es gute Gründe, warum Anwendungskompetenzen, Medienbildung und Informatik zusammengehören.


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