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DPCK statt TPCK

22 September 2020 - Version 12

Dieser Beitrag stammt vom September 2020. Aktuelle Informationen zum DPACK-Modell sind unter https://mia.phsz.ch/DPACK zu finden.

Am 23. September 2020 durfte ich zusammen mit Ralf Romeike (Biblionetz:p05089) einen Hauptvortrag an der Jahrestagung der Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD) halten, die dieses Jahr unter dem Motto Fachliche Bildung und digitale Transformation - Fachdidaktische Forschung und Diskurse steht.

Zur Behandlung dieses Themas habe ich im Referat u.a. das DPCK-Modell (Biblionetz:w02900) vorgestellt, eine Erweiterung des bekannten TPCK-Modells (Biblionetz:w02257) um die drei Dimensionen des Dagstuhl-Dreiecks. In der Vorbereitung ist mir aufgefallen, dass ich diese Überlegungen seit Juni 2018 bereits mehrfach in Vorträgen diskutiert (siehe Biblionetz:w02900), aber bisher nicht schriftlich festgehalten habe. Weil danach u.a. auch in der Diskussion gefragt worden ist, möchte ich dies möchte ich dies im Folgenden in einem ersten Entwurf schnellstmöglich nachholen.

Es geht um die Frage, über welche Kompetenzen eine Lehrperson für ein bestimmtes Fach verfügen sollte.

Das Technological-Pedagogical-Content-Knowledge-Modell (TPCK) (Biblionetz:w02257) von Mishra und Koehler baut auf dem Modell des Professionswissens von Lehrpersonen von Shulman (1986, 1987) auf. Bereits vor der Digitalisierung mussten Lehrerinnen und Lehrer einerseits über das notwendige inhaltliche Wissen (content knowledge) verfügen, das sie vermitteln sollen, und andererseits wissen, wie man unterrichtet (pedagogical knowledge). Die Schnittmenge dieser beiden Bereiche, das pedagogical content knowledge, ist das zum Vermitteln eines bestimmten Themengebietes notwendige Wissen, also das fachdidaktische Wissen.

Im Modell von Mishra und Koehler kommt nun durch die Digitalisierung Technologie als dritte Dimension dazu und bildet mehrere Schnittmengen mit den bisherigen beiden Dimensionen:

Lesen wir die Definition dieses Technology Knowledge, so fällt auf, dass dieses Wissens primär als Anwendungskompetenz definiert ist - Wissen, wie man diese Technologie nutzt:

Technology knowledge (TK) is knowledge about standard technologies, such as books, chalk and blackboard, and more advanced technologies, such as the Internet and digital video. This involves the skills required to operate particular technologies. In the case of digital technologies, this includes knowledge of operating systems and computer hardware, and the ability to use standard sets of software tools such as word processors, spreadsheets, browsers, and e-mail. TK includes knowledge of how to install and remove peripheral devices, install and remove software programs, and create and archive documents.
Quelle: Punya Mishra & Matthew J. Koehler (2006) Technological Pedagogical Content Knowledge. In: Teachers College Record Volume 108, Number 6, June 2006, pp. 1017-1054, Biblionetz:t07395

Dieses Verständnis herrscht meist auch im deutschsprachigen Raum vor. Exemplarisch aus einer aktuellen Publikation von Eickelmann und Drossel (2020):

Wissens- bzw. Kompetenzbereiche, die mit einem ‚T‘ beginnen, berücksichtigen die Nutzung digitaler Medien in Lehr- und Lernprozessen

Quelle: Birgit Eickelmann & Kerstin Drossel (2020) Lehrer*innenbildung und Digitalisierung - Konzepte und Entwicklungsperspektiven. Biblionetz:t26352

Das Modell des Dagstuhl-Dreiecks (Biblionetz:w02886) besagt jedoch, dass Nutzungskompetenzen im Sinne von Bedienkompetenzen keineswegs ausreichen, um digitale Phänomene kompetent verstehen und gestalten zu können. Stattdessen sind drei Perspektiven notwendig:

Im DPCK-Modell wird deshalb die Technologische Kompetenz durch die Digitalisierungskompetenz gemäss Dagstuhl-Dreieck ersetzt:

So, nun können wir anfangen, der Reihe nach die einzelnen Schnittmengen anzuschauen, die sich durch die Digitalisierung ergeben. Als erstes die Schnittmenge der pädagogischen Kompetenz mit der Digitalisierungskompetenz:

Bereits hier wird deutlich, dass es um mehr als um Anwendungskompetenz geht. Es reicht nicht, wenn Lehrpersonen einfach nur wissen, wie digitale Werkzeuge im Unterricht bedient werden müssen. Um tatsächlich adäquat mit dem Digitalen im Unterricht umzugehen, ist es notwendig, sich zu überlegen, wie das Digitale sich in der Gesellschaft, insbesondere auch in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ausgewirkt hat. Wie verändern sich ihre Erwartungshaltungen, Vorerfahrungen? In diesem Bereich geht es um grundsätzliche, fachunabhängige Fragen, wie sich Schule aufgrund der Digitalen Transformation verändern sollte.

Bei der digitalen Inhaltskompetenz geht es nun darum zu fragen, wie die Digitalisierung die eigene Wissenschaft, die entsprechende Berufswelt und das eigene Fach beeinflusst.
Auch hier ist sofort klar, dass für solche Überlegungen digitale Bedienkompetenzen keinesfalls ausreichen.

So, und nun der heilige Gral, den es zu erreichen gilt: Die digitale pädagogische Inhaltskompetenz, kurz DPCK! Es geht darum, Schule so zu gestalten und Unterrichtsinhalte so auszuwählen und mit Schülerinnen und Schülern so zu bearbeiten, dass Schülerinnen und Schüler in einer digitalisierten Welt mündig handeln können.

Vielen Dank für den Denkanstoss und die tolle Keynote!

-- WikiGuest - 14 Oct 2020

Vorschlag: die Bezeichnung ändern zu 'Digital-Kompetenz' oder anders - so verstehe ich es als eine Kompetenz, Dinge digitalisieren zu können. Dann: wie weit/-er soll es gehen? Welche Ausrichtung wünschen und wollen wir? vgl. Bestreben, einen virtuellen Meta-Weltraum zu errichten Vorschlag: einen vorläufigen, relativ stabilen digitalisierten Status quo anzunehmen und kompetenter (selbstbestimmter, mündiger) damit und darin zu leben und die Haupt-Zielausrichtung auf den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zu richten

-- DanielJae - 02 Nov 2021

Ja, absolut einverstanden - In einer neuen Publikation heisst das jetzt Digitalitätskompetenz. Main.Beat Doebeli

 
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«Hat sich der Vortrag im letzten halben Jahrzehnt verändert?» - Flipped Vortrag

31 October 2021 - Version 1

vortrag01.jpg

«Hat sich der Vortrag im letzten halben Jahrzehnt verändert?» wurde ich kürzlich bezüglich meines auf YouTube verfügbaren Vortrags im – über – mit gefragt. Die Frage könnte kritisch interpretiert werden – im Sinne von «Hat der Referent eigentlich nichts Neues zu erzählen in den letzten fünf Jahren?»

Nein, das hat er nicht, zumindest wenn die Anfrage in etwa «Erzählen Sie etwas von den Grundlagen dieser Digitalisierung in der Bildung» lautet. Da hat sich in den letzten Jahren wenig geändert, die Grundlagen sind eben gleichgeblieben. Darum erachte ich die eingangs zitierte Frage auch nicht als Kritik, sondern lese sie als Kompliment: Es ist mir vor fünf Jahren gelungen, wesentliche Elemente der Digitalisierung im Bildungswesen herauszuarbeiten, so dass das Referat heute noch gefragt und geschätzt wird ;-). Nur – mich langweilt das Referat. Ich habe es in leicht angepasster Form in den letzten Jahren oft gehalten. Ich muss aufpassen, dass ich beim Referieren nicht einschlafe, weil das alles schon so oft erzählt habe. Vor allem lerne ich als Referent nichts mehr dazu. Das Publikum hört zu, runzelt die Stirn, applaudiert zum Schluss und stellt einige wenige Fragen, bevor der geplante Timeslot auch schon aufgebraucht ist.

Immer öfter habe ich mir gedacht: «Lest doch mein Buch oder schaut euch die Videoaufzeichnung des Vortrags an, dann braucht es mich gar nicht dazu». Bei bis heute vier Veranstaltungen habe ich das nicht nur gedacht, sondern mit den VeranstalterInnen auch so ausgemacht. Diese hatten jeweils erklärt, dass sich ihr Publikum intensiver mit der Thematik auseinandersetzen sollte, entweder im Rahmen einer grösseren Weiterbildung oder weil es zu ihrem Berufsauftrag gehört. Ich habe deshalb vorgeschlagen, dass die Teilnehmenden vor meinem Referat entweder mein Buch lesen oder den aufgezeichneten Vortrag von mir anschauen und mir danach bis eine Woche vor der Veranstaltung Fragen zustellen sollten, die sich nach der Auseinandersetzung mit meinem Input aus ihrer persönlichen Perspektive ergeben haben. Ich habe dann jeweils versucht, aus diesen Fragenkatalogen eine Mischung aus Referat und Diskussion vorzubereiten.


Die Themenbereiche der Fragen eines Events 2020

Der Aufwand war zwar jedes Mal grösser als einfach das Standardreferat abzuspulen. Ich bin aber überzeugt, dass es für beide Seiten ertragreicher war. Das Publikum erhielt die Gelegenheit, meine Aussagen zu hinterfragen oder vertiefende Erläuterungen anzufordern und ich habe jedes Mal eine Übersicht erhalten, was das Publikum jeweils aktuell beschäftigt. Kamen die Fragen, weil ich etwas bisher zu wenig verständlich erklärt habe oder handelt es sich um eine neue Facette, ein neues Phänomen, dass ich bisher übersehen oder unterschätzt hatte? Diese Fragesammlungen haben sich für mich als wertvollen Input und Messfühler gezeigt, wo die Debatte bei unterschiedlichen Zielgruppen an unterschiedlichen Orten derzeit steckt.


Die Themenbereiche der Fragen des Jahrgangs 2021 der gleichen Veranstaltung wie im letzten Bild

P.S.I: Die eingangs zitierte Frage kam übrigens im Rahmen einer solchen Veranstaltung wink

P.S. II: Selbstverständlich bin ich weder mit diesem Veranstaltungsformat noch mit den gemachten Erfahrungen alleine. Siehe z.B. Jöran Muuß-Merholz:

vortrag02.jpg

 
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Display Fusion

10 September 2015 - Version 3

Die Frage Wie viele Bildschirme der Mensch braucht beschäftigt mich ja bald 10 Jahre (siehe auch Die Masterarbeit mit dem Smartphone schreiben), ich habe mit einem grossen externen Bildschirm 2007 begonnen und stehe derzeit noch immer bei zwei externen Bildschirmen:

displayfusion.jpg

Doch auch Windows 10 bietet mit Boardmitteln aus meiner Sicht kein vernünftige Fensterverwaltung. Zwar kann ich Fenster mit der Maus am linken und rechten Bildschirmrand festmachen um die jeweilige Hälfte des Bildschirms nutzen zu können, aber bei hochformatig hingestellten Bildschirm ist das suboptimal.

Ich nutze deshalb seit längerem die (kostenpflichtige) Software DisplayFusion, mit der ich u.a. Tastenkombinationen zur Fenstersteuerung definieren oder bestimmte Programme immer am gleichen Ort starten lassen kann. So habe ich mir virtuelle Bildschirmbereiche definiert, in die ich nun Fenster mit
  • Control-1
  • Control-2
  • Control-3
  • Control-4
  • Control 5
verschieben kann:

displayfusion2.jpg

Auf der Website von DisplayFusion lassen sich die verschiedenen Versionen des Programms vergleichen.

P.S.: Wer einen weiteren externen Bildschirm an seinen Notebook anschliessen will, benötigt evtl. einen USB-to-HDMI-Adpater. Ich verkaufe grad meine, weil die neue Docking-Station bereits drei Bildschirmanschlüsse eingebaut hat. Funktioniert bestens, obwohl "nur" USB 2.0 und nicht 3.0.

Guten Tag Herr Döbli, ich überlege auch gerade mein Displaysetup zu ändern. Monitore im Hochformat zu stellen scheint mir fürs Scrollen sinnvoll, doch was ist mit dem ergonomischen Sitzen am Computer (ICT Grundlagen nehme ich an :)) Da sollte ja die Monitor Oberkante auf/ unter Augenhöhe sein. Geht es ihren Nacken gut bzw. wie sieht ihre Sitzposition zu diesem Bildschirmsetting aus? smile Gibt es ein Update?

-- WikiGuest - 24 Sep 2021

Guten Tag Herr Döbli, ich überlege auch gerade mein Displaysetup zu ändern. Monitore im Hochformat zu stellen scheint mir fürs Scrollen sinnvoll, doch was ist mit dem ergonomischen Sitzen am Computer (ICT Grundlagen nehme ich an :)) Da sollte ja die Monitor Oberkante auf/ unter Augenhöhe sein. Geht es ihren Nacken gut bzw. wie sieht ihre Sitzposition zu diesem Bildschirmsetting aus? smile Gibt es ein Update?

-- DETobiasHufnagel - 24 Sep 2021

 
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Warum ich das SAMR-Modell nicht nur doof finde

07 April 2021 - Version 3

Lange Zeit habe ich das SAMR-Modell (Biblionetz:w02934) in meinen Überlegungen links liegen lassen - zu simpel und zu technologiefixiert. So habe ich es z.B. erst 2017 im Biblionetz als Begriff aufgenommen und erst 2021 in einer Publikation erwähnt (Biblionetz:t27000, erscheint im Mai 2021). Trotzdem mag ich nicht in das von mir wahrgenommene SAMR-Bashing einstimmen - SAMR hat meiner Meinung nach durchaus seine Berechtigung, wenn es mit Bedacht eingesetzt wird.

Das SAMR-Modell hat eine erstaunliche Entstehungsgeschichte. Ruben R. Puentedura hat das Modell 2006 erstmals in einer Präsentation verwendet (Biblionetz:t26734). Auch seine nächste oft zitierte Publikation SAMR and TPCK (Biblionetz:t26733) ist wiederum "nur" eine Präsentation, kein ausgewachsenes Paper und schon gar kein quantitativ empirisch erhobenes Modell. Trotzdem dient es vielerorts als Denkfigur in Diskussionen um Digitales in der Schule.

Was postuliert denn das SAMR-Modell? Das SAMR-Modell unterscheidet vier Stufen der Integration digitaler Technologie in Lehr-/Lernprozesse:

w02934.jpg

  1. Biblionetz:w03211 Substitution: Tech acts as direct tool substitute, with no functional change.
  2. Biblionetz:w03212 Augmentation: Tech acts as a direct tool substitute, with functional improvement
  3. Biblionetz:w03212 Modification: Tech allows for significant task redesign.
  4. Biblionetz:w03212 Redefinition: Tech allows for the creation of new tasks, previously inconceivable.

Die Stufen 1 und 2 werden als Enhancement und die Stufen 3 und 4 als Transformation zusammengefasst. Puentedura fragt in seinen Präsentationsfolien, wie man zu einer Transformation kommt und stellt damit implizit die Hypothese auf, dass es wünschenswert ist, die Stufen Modification und Redefinition des Technologieeinsatzes zu erreichen.

Dies führt zu folgender Kritik am SAMR-Modell, die ich teile:

  • SAMR ist technologiefixiert.
    SAMR fokussiert nur auf den Unterrichtseinsatz des Digitalen und lässt dadurch sowohl die Frage ausser acht, wie das Digitale die gesamte Gesellschaft verändert und damit auch die Ziele und Inhalte des allgemeinbildenden Unterrichts.
  • SAMR ist mehrwertfixiert.
    Durch die vier Stufen des Modells wird implizit die wertende Frage gestellt, wo denn der (direkte) Zusatznutzen des Digitaleinsatzes liegt. Oft wird daraus auch die Schlussfolgerung abgeleitet, dass die Nutzung des Digitalen überflüssig bzw. sogar abzulehnen sei, wenn sich kein Mehrwert gemäss SAMR aufzeigen lasse. Diese Mehrwertfixierung hat wiederum zwei Folgen:
    • Es wird implizit und unhinterfragt davon ausgegangen, dass jeder Lehr-/Lernprozess reformbedürftig und jede Transformation positiv zu bewerten sei.
    • Es wird eine pauschale Wertung "Je transformierender, desto besser" des Digitaleinsatzes vorgenommen, der nicht immer zutreffend sein muss.
    • Es verhindert den digitalen Alltag (Postdigitalismus), bei welchem nicht bei jeder Digitalnutzung eine Rechtfertigung verlangt wird. (Wandtafeln und Stifte werden im Unterricht auch nur theoretisch vor dem Unterrichtseinsatz hinterfragt und didaktisch motiviert. Sie sind einfach da und werden genutzt.)
  • SAMR ist stufenfixiert.
    Das SAMR-Modell legt nahe, dass der Digitaleinsatz stufenweise zu erfolgen habe. Erst die kleinen Schritte, die nicht wehtun. Oder um im Bild der Sketchnote von Sylvia Duckworth zu bleiben: Erst nur den kleinen Zeh ins Wasser stecken oder mit dem Schiff übers seichte Wasser gleiten, um ja nicht nass zu werden. Es bleibt aber ungeklärt, ob dieses schrittweise Vorgehen zum Ziel führt und effizient ist.

Dies sind meiner Meinung nach gewichtige Kritikpunkte, die vor der Verwendung des SAMR-Modells bedacht werden sollten. Das SAMR-Modell wird der digitalen Transformation / dem digitalen Leitmedienwechsel mit Sicherheit nicht gerecht und ist übersimplifizierend. Trotzdem sollte man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und das SAMR-Modell als Denkfigur gleich ganz verbannen wollen. Für mich hat es mit Vorsicht genossen durchaus seine klärenden Vorteile in Diskussionen und Beurteilungen.

Ich teile auch nicht die z.B. kürzlich von Axel Krommer (Biblionetz:p15242) gemachte Aussage, dass die Stufe Substitution gar nicht existiere, weil Digitales immer ein Veränderungspotenzial in sich berge und dieses durch Affordanz sich auch seinen Weg bahne. Das würde ich nicht unterschreiben. In meinem Verständnis beschreibt das SAMR-Modell nicht die Potenziale des Digitalen, sondern die Wahrnehmung/Nutzung dieser Potenziale im Lehr-/Lernprozess. Wunderschön zeigt sich das im Videoclip und das iPad, in welchem ein iPad als Schneidebrett in der Küche verwendet wird ohne die eigentlichen Potenziale des Geräts zu erkennen. Die Affordanz des iPads war offensichtlich zu gering, um dem Grossvater zu zeigen, wozu man ein Tablet sonst noch so nutzen könnte.

Dies ist keine Sichtweise, die sich auf lustige Comedy-Videos beschränkt. Ich hatte während mehrerer Jahre Studierende in meinen Lehrveranstaltungen, welche sich der Möglichkeit der Volltextsuche in PDFs nicht bewusst waren und somit PDFs schlicht als leichtere Bücher genutzt haben. Für mich ein typisches Beispiel der Substitutionsstufe. Das Potenzial (Volltextsuche) war da, wurde aber nicht erkannt und genutzt. Die Affordanz der PDFs hat nicht dazu geführt, dass die Studierenden von selbst darauf gekommen sind, dass Volltextsuche möglich wäre. Erst mein fassungsloser Blick und die darauf folgenden Erklärungen haben dazu geführt, dass die Möglichkeit der Volltextsuche erkannt und genutzt worden ist. (Klar, in the long run hat sich auch hier die Substitution als Illusion herausgestellt, aber diese jahrelange Phase des Nichtwahrnehmens des Volltextsuchpotenzials will ich benennen können).

Meist ist die Substitutionsstufe kein wünschenswerter Zustand. Er existiert aber. Deshalb benötige ich einen Begriff, um ihn benennen und damit sichtbar machen (und ggf. kritisieren) zu können.

So benötige ich den Begriff der Substitution beispielsweise, um Projekte kritisieren können, die Potenziale des Digitalen ignorieren oder gar aktiv beschneiden. Digitale Lehrmittel, die (zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzung) kein Copy&Paste erlauben sind für mich dafür ein typisches Beispiel.

Ich benötige den Begriff der Substition auch, wenn ich die Trojaner-These (Biblionetz:w03177) diskutieren möchte. Sie geht davon aus, dass Lernkulturveränderungen bei der digitalen Ausstattung mitunter gar nicht angedacht sind, sich aber unweigerlich ergeben. So würde sich z.B. rasch zeigen, dass persönliche Tablets oder Notebooks bei Frontalunterricht eher störend als hilfreich seien. Der Pfeil der Trojaner These startet sozusagen bei der Substitutionsphase des SAMR-Modells, um dann abzuheben:

w03177.jpg

Ich benötige die Substitutionsstufe aber auch, um die Entwicklung hin zu einem digitalen Alltag / einer Postdigitalität ebnen zu können: "Hey, mitunter ist es auch OK, Digitales als schlichten Ersatz für Analoges zu verwenden." So wie eine Lehrperson sich im Unterrichtsalltag auch nicht ständig rechtfertigen muss, warum sie jetzt Papier eingesetzt hat und wo denn bitte der entsprechende Mehrwert liege, so sollte eine Lehrperson mitunter auch Digitales einsetzen dürfen, ohne sofort einen Mehrwert weisen zu müssen.

Mein aktuelles Fazit: Das SAMR-Modell gehört mit Warnhinweis in den Apothekerschrank, sollte aber nicht einfach weggeworfen werden wink


Vielen Dank für diese Erläuterung, die auch meine Sichtweise gut darstellt! Das Modell eignet sich in der Beratung von Schulen gut, um eine weitere Perspektive zu eröffnen und so Futter im "Haltungsprozess" zu haben.

-- TobiasOppenhaeuser - 10 Jun 2021

 
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Warum wir ausgerechnet Informatikdidaktikweiterbildungen vor Ort durchführen

21 April 2021 - Version 2

Im Rahmen der Einführung des Lehrplans 21 und damit des Moduls Medien und Informatik (Biblionetz:t17600) führen wir an der PH Schwyz seit mehreren Jahren obligatorische Aus- und Weiterbildungen für Primarlehrpersonen in Informatikdidaktik durch. In der Weiterbildung finden diese Veranstaltungen jeweils als einwöchige Blockwoche statt (alle Bilder stammen aus vergangenen Jahren!).

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Aufgrund der Corona-Pandemie (Biblionetz:w03137) stand jetzt mehrfach zur Diskussion, ob sich diese Lehrveranstaltungen nicht per Fernlehre (Biblionetz:w00455) durchführen liessen, schliesslich handle es sich ja explizit um Informatiklehrveranstaltungen. Wir als Dozierende haben uns gegen dieses Ansinnen gewehrt, ebenfalls mit der Begründung, dass es sich um Informatikdidaktiklehrveranstaltungen handle. wink

Hier etwas ausführlicher unsere Begründung:

Ja - so überraschend es vielleicht klingt - wir sind der Überzeugung, dass sich ausgerechnet für eine ganzwöchige Informatikdidaktikweiterbildung eine Durchführung vor Ort aufdrängt. Wir sehen dafür zwei Gründe:

1. Der Bildschirmplatz ist begrenzt.

In denjenigen Kursteilen, in welchen am Bildschirm gearbeitet wird, ist der Bildschirmplatz aus unserer Erfahrung sehr begrenzt. Unsere Studierenden und Kursteilnehmenden arbeiten mit Laptops, die zudem oft eher kleine Bildschirme besitzen. Bereits bei Lehrveranstaltungen vor Ort haben wir uns deshalb beispielsweise entschieden, die Kursunterlagen gedruckt zur Verfügung zu stellen (was ja auch widersinnig klingt…), weil das Hin- und Herwechseln zwischen der eigenen Arbeitsumgebung und den Kursunterlagen den cognitive load zusätzlich erhöht.

Bei Arbeiten am Bildschirm ist die Betreuung vor Ort erfahrungsgemäss massiv einfacher als aus Distanz. Aus langjähriger Erfahrung wissen wir, dass unsere Studierenden und Kursteilnehmenden oft ihr Problem nicht präzise beschreiben können ("Es geht nicht"...). Somit müsste mit Bildschirmübertragungs- bzw. Fernsteuersoftware gearbeitet werden, was neben Installationsaufwand und -problemen ein weiteres Fenster auf dem Bildschirm bedeuten würde. Aber auch mit solcher Software bliebe die Betreuung eine andere, weil wir vor Ort informeller abschätzen können, wer gut unterwegs ist und wer irgendwo ansteht.

Deshalb: Bei einer Fremdsprachen- oder NMG-Weiterbildung, wo der Computer primär für die Videokonferenz und Arbeiten mit den üblichen Werkzeugen (Browser, Textverarbeitung) verwendet wird, sehen wir weniger Probleme eines digitalen Fernunterrichts als bei einer Informatikweiterbildung, wo mitunter Software installiert oder Hardware angeschlossen werden muss (von Teilnehmenden, die das in den meisten Fällen sonst nicht täglich tun).

2. Informatik bedeutet nicht "alleine vor dem Bildschirm sitzen"

Der für uns relevantere Grund für eine Durchführung vor Ort ist jedoch die Tatsache, dass Informatikunterricht eben nicht - wie oft vermutet - bedeutet, dass alle alleine vor ihrem Bildschirm sitzen. Informatikunterricht wie wir ihn uns vorstellen ist ein sehr sozialer Prozess mit vielen Partner- und Gruppenarbeiten und vielen Aktivitäten ganz ohne Computer ("computer science unplugged", Biblionetz:w02379).

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Gerade weil unsere Studierenden und Kursteilnehmenden selbst zumeist noch nie Informatikuntericht hatten (oder gar selbst erteilt haben) fehlt ihnen die Erfahrung, wie Informatikunterricht aussehen könnte. Wir prägen somit mit unseren Veranstaltungen das Bild von Informatikunterricht sehr stark. Wir befürchten, dass sich das Bild des Alleine vor dem Bildschirm Sitzens bei einer Durchführung der Veranstaltungen als Fernlehre zusätzlich festigen könnte. Wir wollen hingegen zeigen, dass auch im Informatikunterricht gemeinsam mit physischen Objekten gearbeitet, musiziert und gelacht werden kann.

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Mehr als einmal meinten Teilnehmende bei Kursabschluss: "Wenn ich gewusst hätte, dass Informatikunterricht so aussehen und Spass machen kann, hätte ich früher damit begonnen!"

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(Auch das Erproben der zahlreichen Unterrichtsmaterialien wie z.B. educational robots(biblionetz:w02473) wäre per Fernlehre nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich.)

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