Dies führt zu folgender Kritik am SAMR-Modell, die ich teile:
Dies sind meiner Meinung nach gewichtige Kritikpunkte, die vor der Verwendung des SAMR-Modells bedacht werden sollten. Das SAMR-Modell wird der digitalen Transformation / dem digitalen Leitmedienwechsel mit Sicherheit nicht gerecht und ist übersimplifizierend. Trotzdem sollte man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und das SAMR-Modell als Denkfigur gleich ganz verbannen wollen. Für mich hat es mit Vorsicht genossen durchaus seine klärenden Vorteile in Diskussionen und Beurteilungen.
Ich teile auch nicht die z.B. kürzlich von Axel Krommer (Biblionetz:p15242) gemachte Aussage, dass die Stufe Substitution gar nicht existiere, weil Digitales immer ein Veränderungspotenzial in sich berge und dieses durch Affordanz sich auch seinen Weg bahne. Das würde ich nicht unterschreiben. In meinem Verständnis beschreibt das SAMR-Modell nicht die Potenziale des Digitalen, sondern die Wahrnehmung/Nutzung dieser Potenziale im Lehr-/Lernprozess. Wunderschön zeigt sich das im Videoclip und das iPad, in welchem ein iPad als Schneidebrett in der Küche verwendet wird ohne die eigentlichen Potenziale des Geräts zu erkennen. Die Affordanz des iPads war offensichtlich zu gering, um dem Grossvater zu zeigen, wozu man ein Tablet sonst noch so nutzen könnte. Dies ist keine Sichtweise, die sich auf lustige Comedy-Videos beschränkt. Ich hatte während mehrerer Jahre Studierende in meinen Lehrveranstaltungen, welche sich der Möglichkeit der Volltextsuche in PDFs nicht bewusst waren und somit PDFs schlicht als leichtere Bücher genutzt haben. Für mich ein typisches Beispiel der Substitutionsstufe. Das Potenzial (Volltextsuche) war da, wurde aber nicht erkannt und genutzt. Die Affordanz der PDFs hat nicht dazu geführt, dass die Studierenden von selbst darauf gekommen sind, dass Volltextsuche möglich wäre. Erst mein fassungsloser Blick und die darauf folgenden Erklärungen haben dazu geführt, dass die Möglichkeit der Volltextsuche erkannt und genutzt worden ist. (Klar, in the long run hat sich auch hier die Substitution als Illusion herausgestellt, aber diese jahrelange Phase des Nichtwahrnehmens des Volltextsuchpotenzials will ich benennen können).Meist ist die Substitutionsstufe kein wünschenswerter Zustand. Er existiert aber. Deshalb benötige ich einen Begriff, um ihn benennen und damit sichtbar machen (und ggf. kritisieren) zu können.
So benötige ich den Begriff der Substitution beispielsweise, um Projekte kritisieren können, die Potenziale des Digitalen ignorieren oder gar aktiv beschneiden. Digitale Lehrmittel, die (zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzung) kein Copy&Paste erlauben sind für mich dafür ein typisches Beispiel. Ich benötige den Begriff der Substition auch, wenn ich die Trojaner-These (Biblionetz:w03177) diskutieren möchte. Sie geht davon aus, dass Lernkulturveränderungen bei der digitalen Ausstattung mitunter gar nicht angedacht sind, sich aber unweigerlich ergeben. So würde sich z.B. rasch zeigen, dass persönliche Tablets oder Notebooks bei Frontalunterricht eher störend als hilfreich seien. Der Pfeil der Trojaner These startet sozusagen bei der Substitutionsphase des SAMR-Modells, um dann abzuheben:Ich benötige die Substitutionsstufe aber auch, um die Entwicklung hin zu einem digitalen Alltag / einer Postdigitalität ebnen zu können: "Hey, mitunter ist es auch OK, Digitales als schlichten Ersatz für Analoges zu verwenden." So wie eine Lehrperson sich im Unterrichtsalltag auch nicht ständig rechtfertigen muss, warum sie jetzt Papier eingesetzt hat und wo denn bitte der entsprechende Mehrwert liege, so sollte eine Lehrperson mitunter auch Digitales einsetzen dürfen, ohne sofort einen Mehrwert weisen zu müssen.
Mein aktuelles Fazit: Das SAMR-Modell gehört mit Warnhinweis in den Apothekerschrank, sollte aber nicht einfach weggeworfen werdenVielen Dank für diese Erläuterung, die auch meine Sichtweise gut darstellt! Das Modell eignet sich in der Beratung von Schulen gut, um eine weitere Perspektive zu eröffnen und so Futter im "Haltungsprozess" zu haben.
-- TobiasOppenhaeuser - 10 Jun 2021