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Was ist ein Computer?

Als Reaktion auf mein Blogposting Günstiger Kleinwagen für den Hosensack hat Ronny Standtke, der Erfinder des Lernsticks (Biblionetz:w02203), ein eigenes Weblog eröffnet und stellt dort als erstes die Frage Was ist ein Computer?

Er schildert in diesem Posting, dass früher relativ klar gewesen sei, was ein Computer ist:

Als ich 1987 meinen ersten Computer in die Hände bekam, einen KC 87, war relativ klar, was ein Computer ist: hauptsächlich eine Recheneinheit, Arbeitsspeicher, Tastatur noch ein paar zusätzliche Schnittstellen für Bildschirm, Drucker, usw.

Unterdessen hätte sich aber die IT weiter entwickelt und es habe eine Spezialisierung stattgefunden: Es gibt Thin Clients (Biblionetz:w00911), Server (Biblionetz:w00985) etc.

Ronny argumentiert nun, weder Server noch Thin Clients seien unabhängig von anderen Komponenten nutzbar, würden aber trotzdem als Computer bezeichnet:

Thin-Clients, die lediglich der Ein- und Ausgabe dienen. Um arbeitsfähig zu sein, „borgen“ sich Thin-Clients also den RAM, die Festplatte und die CPU eines Servers. Ist ein Thin-Client kein Computer?

Der Server wiederum hat weder Bildschirm noch Tastatur, Maus, Drucker, Joystick, Webcam, Headset oder Lautsprecher. Das „borgt“ sich der Server alles ganz dynamisch von den jeweiligen gerade angeschlossenen Thin-Clients. Ist ein Server kein Computer?

Daraus schliesst er, dass auch der Lernstick als Computer bezeichnet werden könne:

Genaus wie ein Thin-Client oder ein Server allein nicht sinnvoll einsetzbar sind, ist es auch ein lernstick nicht. Der lernstick muss sich von einem Wirtssystem RAM, CPU und Schnittstellen borgen. Ist ein lernstick (k)ein Computer?

Ich finde diese Diskussion auf mindestens zwei Ebenen sehr interessant: Zum einen habe ich als ausgebildeter Informatiker und Informatik-Didaktiker ein Interesse an der Definition und Interpretation von zentralen Begriffen der Informatik. Computer (Biblionetz:w00032) ist zweifelsohne ein zentraler Begriff der Informatik, also ist es auch relevant, was man darunter versteht.

Die zweite Ebene ist das Propagieren des Lernsticks als ideales Werkzeug für Schulen durch educa.ch Ich habe mehrere Jahre Schulen und Schulgemeinden bei der Beschaffung von ICT-Infrastruktur beraten und es liegt mir deshalb daran, dass Schulen, Schulgemeinden und Politiker nicht mit falschen Versprechungen verwirrt und unrealistische Erwartungen geschürt werden.

Theoretische Ebene: Was ist ein Computer?

Es existieren zahlreiche Definitionen des Begriffs Computer. Als erstes habe ich bei Wikipedia nachgeschaut:

Ein Computer oder Rechner ist ein Apparat, der Daten mithilfe einer programmierbaren Rechenvorschrift verarbeiten kann.

… und weiter unten etwas ausführlicher:

Ein Digitalcomputer besteht zunächst nur aus Hardware. Die Hardware stellt erstens einen so genannten Speicher bereit, in dem Daten portionsweise wie auf den nummerierten Seiten eines Buches gespeichert und jederzeit zur Verarbeitung oder Ausgabe abgerufen werden können. Zweitens verfügt das Rechenwerk der Hardware über grundlegende Bausteine für eine freie Programmierung, mit denen jede beliebige Verarbeitungslogik für Daten dargestellt werden kann: Diese Bausteine sind im Prinzip die Berechnung, der Vergleich und der bedingte Sprung (siehe bei Sprunganweisung). Ein Digitalcomputer kann beispielsweise zwei Zahlen addieren, das Ergebnis mit einer dritten Zahl vergleichen und dann abhängig vom Ergebnis entweder an der einen oder der anderen Stelle des Programms fortfahren. In der Informatik wird dieses Modell theoretisch durch die Turing-Maschine abgebildet; die Turing-Maschine stellt die grundsätzlichen Überlegungen zur Berechenbarkeit dar.

Für mich reduziere ich obige Definition als:

Computer = Speicher + Rechenwerk

wobei ich aufgrund meiner Informatik-Ausbildung tatsächlich die Turing-Maschine (Biblionetz:w00016) als Prototyp eines Computers im Hinterkopf habe. Eine ablaufende Dynamik, ein Mechanismus o.ä. ist in meiner Vorstellung eine absolut notwendige Eigenschaft eines Objekts, das als Computer bezeichnet wird. Lässt man diese Voraussetzung fallen, so verliert das Wort Computer viel an Bedeutung, weil dann jedes Koch-, Formel- oder Programmierbuch auch ein Computer wäre, weil ja darin ebenfalls Ablaufbeschreibungen zu finden sind.

Diese Interpretation des Begriffs wird meiner Ansicht nach auch gestützt durch die Etymologie des Begriffs Computer:

Der englische Begriff computer, abgeleitet vom Verb (to) compute (aus Lateinisch: computare = ‚zusammenrechnen‘), bezeichnete ursprünglich Menschen, die zumeist langwierige Berechnungen vornahmen, zum Beispiel für Astronomen im Mittelalter.
Quelle: Wikipedia

Ich habe bei meiner Recherche keine Definition des Begriffs Computer gefunden, bei der Berechnung und/oder Verarbeitung von Daten nicht konstituierender Bestandteil gewesen wäre. So auch bei den Definitionen im Biblionetz (Biblionetz:w00032):

wasisteincomputer-01.jpg

Warum ich so auf dieser Begriffsinterpretation herumreite? Mir ist es ein Anliegen, Grundkonzepte der Informatik zu vermitteln und Teil der Allgemeinbildung werden zu lassen. Dies bedingt aber unter anderem, das zentrale Begriffe der Informatik in ihrem Kern einigermassen einheitlich verwendet werden. Wenn auch ein reiner Datenspeicher als Computer bezeichnet wird, so trägt dies nicht zum Verständnis der Funktionsweise von Computern bei, im Gegenteil.

Schulpraktische Ebene: Was ist ein Computer?

Nun könnte man einwenden, obige theoretische Überlegungen hätten wenig mit der Schulrealität zu tun. Ich habe drei Jahre als Assistent an der ETH sowie vier Jahre als Co-Leiter des ICT-Kompetenzzentrums TOP in Solothurn Schulen bei Beschaffung und Betrieb von Computern in der Schule beraten. Für Schulen bzw. für Schulbehörden sind die Kosten der Ausstattung mit ICT ein zentraler Aspekt der Diskussion. In all den Jahren ging es immer wieder darum, den Schulen und Schulbehörden aufzuzeigen, dass sie nicht nur auf die reinen Beschaffungskosten achten dürfen, sondern die Gesamtkosten betrachten müssten, ein Konzept, das in der Wirtschaft unter Total Cost of Ownership (TCO) (Biblionetz:w00853) firmiert.

Schreibt educa.ch nun

Ein eigener Computer für jede Schülerin und jeden Schüler ist keine Vision mehr, sondern wird mit dem educa.Lernstick Realität.

so betreibt educa.ch damit Augenwischerei, denn für die Ausstattungsvariante "ein eigener Computer für jede Schülerin" wird neben dem Lernstick (=persönliche Daten und Programme) auch noch für jedes Schulkind ein Computer benötigt.

Der Lernstick ist genau so wenig ein persönlicher Computer wie es die Zugangsdaten zu einem Citrix-Server, einem Google-Docs-Konto oder einem Microsoft live@edu-Konto sind. Alle drei genannten Lösungen bieten eine mehr oder weniger persönliche Lernumgebung, benötigen jedoch noch einen Computer, damit gearbeitet und gelernt werden kann. (Während der Lernstick auch ohne Netzverbindung auskommt, benötigt die Citrix-Lösung mindestens noch Verbindung zum Citrix Server, die Google- und Microsoft-Lösung sogar Internet-Zugang.)

Den Lernstick als persönlichen Computer zu bezeichnen verletzt somit die TCO-Betrachtungsweise, indem ein Bestandteil eines Gesamtsystems genannt wird, während andere zur Nutzung ebenfalls notwendige Komponenten unerwähnt bleiben.

Da sich educa.ch als "Kompetenzzentrum für ICT im Unterricht" bezeichnet würde ich mir wünschen, dass educa.ch auch entsprechend kompetent formuliert und berät, statt in Marketing-Manier mehr zu versprechen als geboten wird und damit eher Verwirrung zu stiften als Unterstützung zu bieten.

Kommentare

Wir reiben uns eigentlich nur an der Formulierung "eigener Computer".

Du verstehst darunter die persönliche, untrennbare Gesamtheit von Hard- und Software. Im lernstick-Kontext sind Hard- und Software jedoch komplett entkoppelt. Sobald ich mich mit dem lernstick an irgendeinen Computer setze, ist es mein persönlicher Computer. Im lernstick-Szenario kannst du, solltest du vielleicht sogar, musst aber nicht für jeden Lernenden eigene, persönliche Hardware vorhalten. So kann auch mit weniger Computern als lernsticks jeder seinen persönlichen Computer haben, solange nicht alle SchülerInnen einer Schule gleichzeitig die Hardware in Anspruch nehmen müssen. Die Hardware ist im lernstick-Szenario ein frei austauschbarer, unpersönlicher, heterogener und nicht zwingend mobiler Pool. Der wichtige, persönliche und mobile Teil ist der lernstick.

Von daher halte ich die Aussage der educa für gerechtfertigt und deine Formulierungen von "Augenwischerei", "Marketing-Manier" und "Verwirrung stiften" für deutlich überzogen.

-- RonnyStandtke - 23 Jan 2011

> Daraus schliesst er, dass auch der Lernstick als Computer bezeichnet
> werden könne:

Mensch Beat, du interpretierst schon wieder ziemlich schräg. In meinem Beitrag schrieb ich: "Natürlich ist er kein Computer...", also genau das Gegenteil von dem, was du behauptest…

-- RonnyStandtke - 23 Jan 2011

Ronnys Aussage "Sobald ich mich mit dem lernstick an irgendeinen Computer setze, ist es mein persönlicher Computer." ist gut nachvollziehbar. Und doch störe ich mich - ähnlich wie Beat - am Werbespruch zum lernstick, der "ein personalisierter mobiler Computer" sein soll. Auch wenn ich es sinnvoll finde, dass die Kinder (und Jugendlichen?) dank der Open Source Software (inkl. Betriebssystem) auf dem lernstick eine Alternative zu MS und Apple kennen lernen, sehe ich nicht, inwiefern der lernstick zum sinnvollen, nützlichen, zeitgemässen persönlichen Gerät wird: mit dem lernstick im Sack oder in der Hand kann ich weder kurz vor der Präsentation noch etwas an der einen oder andern Folie korrigieren, noch kann ich unterwegs Wörtli lernen oder Reihen üben. Das Arbeiten mit dem Lernstick bedingt am Gerät jeweils einen Neustart -, wenn in der Schule nur wenig Geräte zur Verfügung stehen, wird Zeit, welche ein Benutzer/innen-Wechsel mit sich bringt, die Lehrpersonen nicht eben dazu animieren, die Kinder am Computer arbeiten zu lassen… Oder gibts dazu "Klassen-lernsticks".

Wo ich hingegen grosse Möglichkeit für den "lernstick" sehe, ist in seiner Anwendung als "prüfungsstick": (Fach-)Lehrpersonen können den prüfungsstick so configurieren (lassen), dass die Lernenden mit eigenen Laptops, nicht aber mit den Alltags-Einstellungen im Unterricht arbeiten, resp. eben Prüfungen (z.B. ohne Internetzugang) schreiben können.

-- JacquelinePeter - 23 Jan 2011

> mit dem lernstick im Sack oder in der Hand kann ich weder
> kurz vor der Präsentation noch etwas an der einen oder
> andern Folie korrigieren

Wenn du ihn, wie vorgesehen, in ein Netbook, Notebook oder Desktop steckst, sollte das schon klappen… wink

> noch kann ich unterwegs Wörtli lernen oder Reihen üben

Dito, aber bitte nicht mit einem Desktop.

-- RonnyStandtke - 24 Jan 2011

Hier nochmal eine kleine Zusammenfassung meinerseits: http://rostblock.wordpress.com/2011/01/24/interpretationen-einer-uberschrift/

-- RonnyStandtke - 24 Jan 2011
 
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