Veranstaltung

Das Publikum ist abwesend

06 October 2007 | Beat Döbeli Honegger | Veranstaltung

Am dritten Schweizer Wikimedia-Tag waren, wenn man sich nach den Bildern der Tagesschau richtet, nur etwa 30 Personen*. Trotzdem war das mediale Interesse gross.

Mir scheint, dass hier in den letzten zwei Jahren eine Verschiebung stattgefunden hat. Früher war wesentlich, wie viele Teilnehmende an einer Veranstaltung physisch präsent waren. Erstmals im Jahr 2005 habe ich aber gemerkt, dass ein Referat im Ausland vor zwanzig Lehrpersonen unter Umständen wesentlich mehr Aufmerksamkeit erfahren kann als ein Vortrag zuhause vor zweihundert Lehrpersonen.

Mediale Aufbereitungen in Form von publizierten Folien, Tonspur oder gar Videomitschnitten sowie die Diskussion der Inhalte in der Blogosphäre haben zur Folge, dass unter Umständen die Mehrheit des Publikums gar nicht anwesend ist.

Dies ist für mich als Referenten verwirrend: Wer ist jetzt mein Zielpublikum? Sind es die zwanzig bis dreissig Personen, die mein Referat vor Ort hören oder ist es das zahlenmässig schwer abzuschätzende Publikum im Internet?

Diese beiden Gruppen unterscheiden sich nicht nur mengenmässig, sondern auch von ihren Voraussetzungen und Möglichkeiten. Das Publikum vor Ort hört vermutlich zum ersten Mal von mir, ist gezwungen meinem Vortragstempo zu folgen und hat wenig Möglichkeiten, andere Informationsquellen oder frühere Referate von mir zu konsultieren.

Ganz anders das virtuelle Publikum: Vermutlich interessiert es sich für mein Referat, weil es schon früher etwas von mir gehört oder gelesen hat. Es kann sich im Bürostuhl oder Sofa zurücklehnen und jederzeit vor- und zurückspulen oder gar das Referat abbrechen.

Als Referent bin ich so mit einer ähnlichen Verschiebung konfrontiert, wie sie gemäss Steven Johnson (Biblionetz:p00612) im Buch Everything Bad is Good for You (Biblionetz:b02318) die Fernsehserien-Industrie durch die Erfindung von Videorekordern und DVD-Playern erfahren hat. Vor der Verbreitung von VHS und DVD mussten Fernsehserien so gestaltet sein, dass man den roten Faden auch nach einer verpassten Folge und während der einzigen Ausstrahlung fand. Entsprechend simpel gestrickt scheinen deshalb auch frühere Serien wie Dallas aus heutiger Sicht. Dies hat sich grundlegend verändert. Geld verdienen Fernsehserien heute mit dem Verkauf von DVDs. Sie müssen also so komplex und anspruchsvoll gestaltet sein, dass sich das Publikum, das alle vorhergehenden Staffeln und Folgen in- und auswendig kennt, sich nicht nur nicht langweilt, sondern sogar gewillt ist, die Staffel auf DVD zu kaufen, um sie erneut zu konsumieren! Johnson illustriert die Komplexitätszunahme mit einem Vergleich der Fernsehserien Dallas und 24.

Was bedeutet das für mich als Referenten? Mein Referat muss vielschichtiger werden, auch noch die Ansprüche des virtuellen Publikums berücksichtigen. In gewisser Weise war das bereits bisher notwendig, im Publikum sitzen immer Neulinge und Expert/innen. Das Internet hat aber das Problem verschärft und das Gewicht zu Gunsten des virtuellen Expertenpublikums verschoben. Theoretisch sind die paar realen Nasen in letzter Konsequenz egal, Hauptsache das virtuelle Publikum ist zufrieden. Keine Angst, ich werde es nicht so weit kommen lassen...

Diese Entwicklung lässt sich schön an meinem Einstiegsreferat zur Fachtagung Web 2.0 und Schule illustrieren. Zwar haben ca. 180 Personen das Referat live gesehen und gehört, doch ist anzunehmen, dass deutlich mehr Interessierte sich nachträglich die Videoaufzeichnung angesehen haben, auf die in verschiedenen Weblogs (u.a. Mandy Schiefner, Gabi Reinmann, Felix Schaumburg, Alexander König (mit ausführlicher Zusammenfassung) usw.) hingewiesen wurde und die (mit angefragter Erlaubnis) in anderen Weiterbildungsveranstaltungen gezeigt worden ist.

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Das Referat musste Neulinge und eLearning-Fachleute gleichermassen ansprechen und Elemente enthalten, die sich nicht beim ersten Mal offenbaren, sondern die erst erkennbar werden, wenn die Hauptaussagen des Referats bekannt sind. Dazu gehören falsche Logos auf der bekannten Web 2.0 Logosammlung …

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… sowie weitere Details und Anspielungen, die ich hier aber nicht verraten möchte wink

Es sind aber nicht diese Details, die dazu führen, dass ein Referat in der heutigen Powerpoint-Flut noch wahrgenommen und als 45-Minuten-Video auch tatsächlich angeschaut wird. "Schick mir die Folien, ich mag keinen langatmigen Film schauen" war die verständliche Reaktion eines Fachkollegen, als ich ihm den Link zur Videoaufnahme schickte. Doch in diesem Fall war es anders. Die Folien der ersten zwanzig Minuten des Referats sind eben nicht selbsterklärend. Es geht darum, eine Geschichte zu erzählen, die Zuhörenden zu involvieren und auch emotional zu packen versuchen, eine Geschichte erzählen: Story telling.

Solche Geschichten fallen nicht vom Himmel. Es ist nicht nur die grosse Vorbereitungszeit für ein solches Referat, es geht auch um die Idee, die erst gefunden werden und dann reifen muss. Darum wird es nicht vierzehntäglich solche Referate von mir geben, sondern höchstens ein oder zwei Mal pro Jahr. Wenn überhaupt. * Auch ich habe den Tag virtuell mittels Live-Stream verfolgt und bin nicht physisch nach Bern gereist.

Update: Jan Hodel ist anderer Meinung.

Nicht nur ich habe gestaunt über das Medieninteresse, das der gestrige dritte Schweizer Wikimedia-Tag hervorgerufen hat (DRS1, DRS2, Tagesschau). Auch Peter Haber zeigt sich erfreut (während Jan Hodel seinen Neid, medial nicht zu Wort gekommen zu sein, nicht zu verbergen versucht).

Sorry Jan, auch ich zitiere nur Peter Habers Fazit:

Ich hoffe nur, dass dieses Interesse auch ein wenig dazu beiträgt, dass an den Universitäten die Bereitschaft wächst, sich auf das Thema einzulassen. Kritisch. Lustvoll. Differenziert.

Insbesondere der letzte Punkt ist mir wichtig. Noch immer nehme ich die Debatten rund um Wikipedia als einen holzschnittartigen Glaubenskrieg wahr: Entweder wird Wikipedia als ein Werkzeug des Teufels und als das sichere Zeichen des nahenden Unterganges einer gebildeten Menschheit gelesen oder aber Wikipedia ist die Inkarnation der demokratischen und heilbringenden Wissensrevolution. Während die Wikipedianer zu Zweiterem neigen, schwingt in akademischen Kreisen nicht selten das erstere Bild mit. Beides ist natürlich Quatsch. Wikipedia ist ein Informations- und Kommunikatinsinstrument wie viele andere Instrumente auch und es ist nun an uns, dieses Instrument richtig zu nutzen. Mit richtig nutzen meine ich, dass man insbesondere die Funktionsweise und die Grenzen von Wikipedia kennt. Das sollte heute für (angehende) Geisteswissenschafterinnen und Geisteswissenschafter eine selbstverständliche Kompetenz sein.
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Abschlussveranstaltung PPP-SiN

18 September 2007 | Beat Döbeli Honegger | Schul-ICT, Veranstaltung
Zu den Veranstaltungen, die ich verpasst habe, gehört auch das Abschlussevent der Schweizerischen Schul-ICT-Initiative PPP-SiN (Biblionetz:w01006) vom 7. September 2007.

Im Beisein von Bundesrätin Doris Leuthard und EDK-Präsidentin Isabelle Chassot wurde der Abschluss des fünfjährigen Public-Private-Partnership-Förderprogramms gefeiert. Gleichzeitig wurde auch die Abschlusspublikation ICT und Bildung: Hype oder Umbruch (Biblionetz:b03201) präsentiert. Abgesehen vom Kapitel von Dominik Petko und Jean-Luc Barras ist sie leider nicht online verfügbar (das alte Lied: Von neuen Medien reden und alte Medien produzieren.)

Als ehemaliges Mitglied der Expertengruppe PPP-SiN habe ich aber netterweise ein Papierexemplar zugeschickt erhalten, so dass ich es immerhin bereits durchblättern konnte. Hängengeblieben bin ich an den Ergebnissen der Evaluationsstude von Barras und Petko (Biblionetz:t07870), die einiges an interessantem Zahlenmaterial liefert.

Die Studie zeigt z.B. wie stark die Einschränkungen in der Computernutzung zugenommen haben:
  • "In 35,7% der Schulen dürfen Lehrpersonen neue Programme auf den Computern der Schule installieren."
  • "selbstständig Programme auf Schulcomputern installieren dürfen Lernende nur an 2,2% der Schulen."

Zwei Drittel der Lehrpersonen und 98% der Schülerinnen und Schüler dürfen auf den Computern nichts installieren! Natürlich habe ich Verständnis für die armen Systemadministrierenden, die nicht laufend Softwareprobleme lösen wollen, aber dafür gibt es doch seit längerem schulspezifische Lösungen. Mit solchen Installationsverboten wird mindestens ein Teil des Innovationspotenzials der Universalmaschine Computer beschnitten. (Mehr dazu im bald erscheinenden Artikel Lernen erfordert Offenheit, den ich in den letzten Tagen zwischen Wickeln und Waschen geschrieben habe...)

Ebenfalls interessant sind die Zahlen zur Nutzung von Lernplattformen in Schweizer Schulen:

Im Mittel machen 48% der Schweizer Schulen Gebrauch von einer solchen Lernplattform. Die Nutzungsquote ist auf Volksschulstufe in der Romandie deutlich höher als in der Deutschschweiz. Unter den Schulen, die eine Plattform verwenden, nutzen 91,7% educanet2, die Lernplattform des schweizerischen Bildungsservers. 4,8% verwenden Moodle, 3,2% BSCW, 1,6% Ilias, 0,7% Claroline und 8,3% machen von anderen Plattformen Gebrauch (Mehrfachnennungen möglich). Virtuelle Arbeitsräume ausserhalb von Lernplattformen werden von 19,8% der Schulen genutzt. Von diesen Schulen verwenden 30% einen Online-Kalender, 28,5% ein Wiki, 26,1% ein Online-Publikationssystem und 25,5% Foren. Auch bei den virtuellen Arbeitsräumen ist die Nutzungsquote in der Romandie höher als in der Deutschschweiz. In der Deutschschweiz findet im Verhältnis das Wiki etwas stärkere Verbreitung.
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GMW-Tagung 2007

15 September 2007 | Beat Döbeli Honegger | Veranstaltung
Eine weitere Veranstaltung, die ich leider verpasst habe, ist die GMW-Tagung 2007. Kollege Jan Hodel äussert sich zwar im Rückblick zufrieden mit der Tagung, konstatiert aber ein Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit:

Hier an der Tagung wird zwar dauernd behauptet, dass digitale Technologien in Bildungsprozessen innovativ und erfolgreich eingesetzt werden - aber wie ist das denn mit der Tagung selber? Werden hier web 2.0 Technologien in Wert gesetzt und innovativ und erfolgreich angewendet? Man könnte weinen, wie hier im Jahr 2007 immer noch eine Tagung zu e-Learning durchgeführt wird, als wären die Kommunikationstechnologien in den letzten 15 Jahren stehen geblieben. Was wir sehen, sind animierte Powerpoint-Folien mit integrierten audiovisuellen Elementen - das war’s. Einen Weblog der Tagung? Gar eine Einbindung diverser Weblogs über RSS auf die Website? Feedback- oder Kommentar-Funktionalitäten auf die jeweiligen Vorträge? Aufzeichnungen der Vorträge? Möglichkeiten, live mit geeigneten web 2.0-Hilfsmittel eine Diskussion zu gestalten (Fragen sammeln, strukturieren, Inhalte sammeln)? Fehlanzeige. Sogar die Stimmen für den Publikumspreis für die Medida-Prix-Finalisten werden vollanalog mit Zettel eingesammelt - und die GMW-Verantwortlichen verteilen zwecks Mitgliederwerbung Ausdrucke des Online-Anmeldeformulars. Kurzum: kein Digital Divide - aber ein eklatanter Reality Gap, ein Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit.

Hüben wie drüben: Von neuen Medien reden und ausschliesslich alte Medien nutzen. Da kommen mir doch meine Wünsche für die GMW 2007 in den Sinn, wo ich vor einem Jahr nach der GMW 2006 bereits Ähnliches vermisst habe.

Veränderungen brauchen Zeit.

Veranstaltungs-Herbst 2007

07 September 2007 | Beat Döbeli Honegger | Veranstaltung
Wenn ich so aus dem Fenster schaue, dann ist der Sommer definitiv vorbei. Auch das akademische Leben erwacht langsam wieder und die Veranstaltungsankündigungen beginnen sich in der Inbox zu stapeln. Hier ein paar aus dem Themenbereich digitale Medien und Bildung:

Datum Veranstaltung Ort
Fr. 07.09.07 Abschlussevent PPP-SiN Bern
12.-14.09.07 12. Europäische Jahrestagung Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW) Hamburg
19.-21.09.07 12. GI-Fachtagung Informatik und Schule Siegen
25./26.09.07 SFIB-Fachtagung ICT und Bildung 2007 Bern
ab 26.09.07 Ringvorlesung "Informatik macht Schule" Zürich
Sa. 29.09.07 Schweizer Wikipedia Tag 2007 Bern
Sa. 27.10.07 Unterrichten mit neuen Medien Zürich
Sa. 10.11.07 First Lego-League 2007 Arth-Goldau
ab 19.11.07 Kolloquium "Informatik und Unterricht" Bern
21. -23.10.07 WikiSym 2007 Montreal
Eigentlich sollte ich ja an all diesen Veranstaltungen teilnehmen...

Kontakt

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  • Plattenstrasse 80
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