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Der digitale Raum als vierter Pädagoge - Das AAA-Modell

"Software prägt zunehmend unseren Alltag" ist ein Allgemeinplatz, den man bald nicht mehr hören mag. Trotzdem ernte ich derzeit erstaunte Blicke, wenn ich erkläre, dass digitale Lernumgebungen den Unterricht prägen und man deshalb bei der Wahl von entsprechender Software darauf achten sollte, ob die angedachte Software zum eigenen Schulleitbild passt. Ich habe mir deshalb überlegt, wie ich analog zur bekannten Aussage Der Raum als dritter Pädagoge (Biblionetz:a01431) die Thematik Der digitale Raum als vierter Pädagoge (Biblionetz:a01432) analysieren und verständlicher machen kann.

Als vorläufiges Zwischenergebnis bin ich zum AAA-Modell der Software-Prägung gekommen. In meiner Wahrnehmung prägt Software (und damit auch Lernsoftware oder Lernplattformen) auf drei Ebenen:

  • Aufmerksamkeit: Das Zur-Verfügung-Stellen einer Software schafft Aufmerksamkeit für ein Thema / ein (vermeintliches Problem

  • Affordance: Software legt gewisse Nutzungspraktiken nahe.

  • Ausschluss: Software definiert abschliessend, wer innerhalb der Software welche Handlungsmöglichkeiten hat.

Was meine ich mit diesen drei Ebenen konkret?

  • Aufmerksamkeit: Wenn ein Kanton oder eine Schulgemeinde eine Lernsoftware oder eine Lernplattform zur Verfügung stellt, dann ist dies nicht nur ein neutrales Angebot. Dahinter steckt auch die relativ unverbindliche Aussage "Wir denken, dass dieses Produkt für euch nützlich sein könnte" oder aber die bereits verbindlichere Aussage "Wir haben dafür Geld ausgegeben und erwarten eigentlich auch, dass ihr dieses Produkt nutzt." Dies gilt sowohl für Wandtafel als auch für persönliche Notebooks und Tablets.
    Konkrete Beispiele zum Überdenken dieser Hypothese:
    • Das deutsche Bundesland Nordrhein-Westphalen hat im Februar 2021 2.6 Millionen bezahlt, um allen Schulen die Angebote des Brockhaus-Verlags zur Verfügung zu stellen. (Quelle)
    • Der Bildungsraum Nordwestschweiz stellt den Schulen mit Mindsteps eine Aufgabensammlung zur Unterstützung des kompetenzorientierten Lernens und zur Erfassung des Lernstands von Schülerinnen und Schülern in den Fächern Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik zur Verfügung. (Quelle)

  • Affordance: Ich kann zwar mit einem Hammer auch die Wand streichen, aber das Werkzeug legt eher nahe, dass ich Nägel einschlage. Scheren legen meist durch die Form ihrer Löcher nahe, mit welcher Hand sie gehalten werden sollten etc. Wie jedes Werkzeug legt auch Software gewisse Arten der Nutzung nahe. Ich kann mit einer Textverarbeitung zwar auch eine Präsentation erstellen oder in einer Tabellenkalkulation durch Ausfüllen der Tabellenzellen ein Pixelbild malen, aber die Software legt doch gewisse Nutzungspraktiken nahe. Neben diesen offensichtlich plakativen Beispielen geschieht dies auch subtiler: Standardeinstellungen in Programmen werden meist übernommen und prägen somit die Art und Weise der Nutzung: In der Videokonferenzsoftware Zoom ist beispielsweise das private Chatten unter den Teilnehmenden per default unterbunden. Ich kann das zwar als Moderator einer Videokonferenz erlauben, muss aber dafür aktiv etwas umschalten.
    Konkrete schulische Beispiele zum Überdenken dieser Hypothese:
    • Welches Rollenverständnis vermitteln die Rollen und die dazu passende Standardeinstellung der entsprechenden Berechtigungen in einer Lernplattform wie Moodle?
    • Wie prägt die Leseförderungsplattform Antolin die Sichtweise auf das Lesen von Büchern durch die Möglichkeit des Punktesammeln beim korrekten Beantworten von Quizfragen zu den gelesenen Büchern?

  • Ausschluss: Während man sich bei der Affordance gegen die Vorgaben entscheiden und einen anderen Weg einschlagen kann, ist dies nicht immer möglich. Software schafft nicht nur Möglichkeiten, sondern definiert auch abschliessende und innerhalb der Software unüberwindbare Grenzen dieser Möglichkeiten. Software definiert abschliessend, wer innerhalb der Software welche Handlungsmöglichkeiten hat. Diese Einschränkungen können sowohl in den Datenstrukturen als auch in den Prozessen liegen. Wenn das Computersystem, mit dem die Schweiz die Pässe der Bürgerinnen und Bürger verwaltet, bestimmte Sonderzeichen nicht kennt, dann lassen sich beispielsweise gewisse Namen schlicht nicht korrekt speichern und im Pass abdrucken.
    Konkrete schulische Beispiele zum Überdenken dieser Hypothese:
    • Im Identitätsförderationssystem edulog (Biblionetz:w03014) der EDK kann eine Person nicht gleichzeitig Lehrperson und SchülerIn sein.
    • Während ich auf einem Blatt Papier auch bei einer Lückentextaufgabe ein Bild hineinzeichnen kann, wird das in digitalen Lückentexten in den wenigsten Fällen funktionieren.

Diese Überlegungen sind erst vorläufig und können sich noch ändern/erweitern. Dabei liessen sich diese Beschreibungen problemlos detaillierter und komplexer machen, entsprechende Literatur und Modelle dazu gibt es genügend. Mein Ziel ist aber auch hier, Modelle und Erklärungen zu finden, die noch für die Schulpraxis verständlich und handlungsleitend sein können.


 
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