Simulation prägt unser Leben

In den letzten zwei Wochen hat der Ausbruch des Eyjafjalla-Vulkans die Medien, aber auch das Leben vieler Europäerinnen und Europäer geprägt. In einer historisch für Europa bisher einzigartigen Aktion haben alle europäischen Staaten den gesamten Flugverkehr aus Angst vor Problemen mit Aschepartikeln in Triebwerken und auf Flugzeugfenstern gesperrt. Einige Tage war es gespenstisch ruhig am Himmel. Die Fluggesellschaften verloren laut eigenen Angaben hunderte Millionen Franken. Im Nachhinein wird nun diskutiert, ob die Sperre gerechtfertigt war und wenn nicht, wer für den Schaden haften soll.

Mich interessiert hier aber weniger der wirtschaftliche Aspekt. Ein Artikel von Dario Venutti im Tages Anzeiger vom 23.04.2010 unter dem Titel Die Diktatur der Software (Biblionetz:t11556) hat auf einen Aspekt hingewiesen, auf den ich selbst ja auch hätte kommen müssen:

«Wenn ich bei allerbestem Wetter den blauen Himmel sehe, dann müsste die Existenz einer gefährlichen Aschewolke erst verifiziert werden», forderte Werner Knorr, Pilotenchef der Lufthansa, in der «Frankfurter Allgemeinen». Gewiss: Knorr ist ein Interessenvertreter und seine Kritik am Flugverbot deshalb durchsichtig. Trotzdem legt er den Finger auf einen interessanten Punkt: Die Wolke, die den Luftverkehr lahmlegte, bestand nicht aus sichtbarer Asche und Staub, sondern aus virtuellen Daten. Nicht durchgeführte Messungen, ob die vom Vulkan unter dem Eyjafjalla-Gletscher ausgestossenen Partikel tatsächlich Flugzeuge zum Absturz bringen können, führten zum Flugverbot, sondern Computersimulationen. Sie spuckten Informationen aus, gemäss denen eine Gefahr für die Triebwerke bestand.

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Es war dies nicht das erste Mal, dass sich Entscheidungsträger auf Modellrechnungen abstützten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vertraute letztes Jahr bei ihren Prognosen zur Schweinegrippe ebenfalls auf Computersimulationen. Die Berechnungen liessen Dramatisches befürchten, sodass die WHO die höchste Warnstufe ausrief. Die Folgen sind bekannt: Die Gesundheitsbehörden aller Länder kauften mehr als 1 Milliarde Dosen Impfstoff. Davon profitierte die Pharmaindustrie, während die Pandemie bisher glimpflich verlief.

Modellbildung und anschliessende Simulation (Biblionetz:w00239) sind nicht nur zu wichtigen Instrumenten der wissenschaftlichen Forschung geworden, sondern prägen auch zunehmend unseren Alltag und unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Damit gehört das Verständnis und die Reflexion über Modellbildung und Simulation zur Allgemeinbildung. Modellbildung und Simulation sind Teilgebiete der Informatik, wobei Simulationen massgeblich durch Informatik möglich wurden.. Womit ich beim Schluss meiner Argumentationskette bin, aber auch beim Grund, warum ich hätte selbst auf diesen Zusammenhang kommen müssen: Die Modellbildung und Simulation der Ascheverteilung und ihre Folgen sind eine Begründung, warum Informatik heute zur Allgemeinbildung gehören und damit in der Schule vermittelt werden sollte.

Dabei sind mindestens zwei Aspekte für die Allgemeinbildung relevant:
  • Ich sollte Potenziale, aber auch Grenzen von Modellbildungen und Simulationen erkennen können (Kybernetik, Systemdenken; lässt sich auch an biologischen und anderen Modellen zeigen).
  • Ich sollte mir Gedanken über ethisch-moralische Probleme gemacht haben: Wer trägt die Verantwortung, wenn aufgrund solcher Modelle und Simulationen Entscheide gefällt werden?

Passend zur Aussage, dass die digitale (simulierte) Welt die reale Welt prägt, hier am Beispiel des Vulkan-Flugverkehr-Groundings zum Schluss noch das Gegenstück: Die reale Welt wird digital abgebildet in Form eines Kurzvideos, welches das Ausbleiben und Wiederaufkeimen der Flugbewegungen über Europa zeigt:

Airspace Rebooted from ItoWorld on Vimeo.


 
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Kategorien: IsaBlog, IsaInformatik

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