26 November 2016 -
Version 1
Ich habe im letzten Jahrtausend mal an der
ETH Zürich Informatik studiert und war danach der Meinung, in etwa einschätzen zu können, wo die Grenzen des Computers liegen. Schliesslich hatte ich mich in der
Theoretischen Informatik mit dem
Halteproblem (
Biblionetz:w140) und der Frage
P=NP? (
Biblionetz:f113) und in anderen Veranstaltungen mit
neuronalen Netzwerken (
Biblionetz:w133) und Co. herumgeschlagen und das auch mindestens ansatzweise verstanden
Nebenbei hatte ich mich damals auch mit dem Turing-Test (
Biblionetz:w1) beschäftigt und meinen eigenen
Chat-Roboter (
Biblionetz:w1151) betrieben, mit dem sich meine Studierenden unterhalten mussten, um zu erkennen, wie leicht man mit einem Computer Standardsituationen eines Chats meistern kann.
Doch irgendwie scheint mir das alles lange her zu sein. Das
Moore'sche Gesetz (Bibblionetz:w862) hat dazu geführt, dass die Rechenleistung und die Speicherkapazitäten von Computern eben exponentiell zugenommen haben. Nun gut, jetzt können Computer das Gleiche wie früher eben schneller, was soll's?
In letzter Zeit bin ich mir da nicht mehr so ganz sicher und ich habe mir deshalb vorgenommen, die Bücher, die ich vor 15-20 Jahren erstmals gelesen hatte, wieder mal hervor zu nehmen und erneut zu studieren:
Wo liegen die Grenzen dessen, was Computer können?
Zwei Ereignisse, die mich zu diesem Schritt bewegt haben: Vor vielen Jahren (Wikipedia weiss, vor wie vielen genau) hat der Computer den Weltmeister im Schach geschlagen. Die einen waren fasziniert oder erschüttert, die anderen haben glaubhaft erläutert, dass der Computer einfach schneller und somit weiter vorausplanen könne in einem logisch absolut eindeutigen und abgeschlossenen Bereich - kein Grund zur Panik also. Im Frühling 2016 hat ein Computer von Google den Weltmeister im Spiel
Go 4:1 geschlagen. Auf den ersten Blick eine klare Folge des Moore'schen Gesetzes: Go ist um einiges komplexer als Schach, also hat es einfach ein paar Jahre länger gedauert, bis der Computer so leistungsfähig war, um auch in Go zu brillieren.
Was mich jedoch beunruhigt hat, war die Reaktion der Berufs-Go-Spieler:
Und alle stutzten hier und da und wunderten sich über unkonventionelle und abenteuerliche Züge der KI, die aber funktionierten.
Nun ist es selbst für den Go-kundigen Amateur kaum nachzuvollziehen, wieso die Profis einen Zug als innovativ bezeichnen, ist doch praktisch jede Stellung mit mehr als 20 Steinen auf dem Go-Brett einmalig und vermutlich
noch nie zuvor gespielt worden. Aber aus der einhelligen Meinung der Kommentatoren zu bestimmten Zügen kann man
schließen, dass AlphaGo über seine Schöpfer hinausgewachsen ist.
Das ist vielleicht nicht ganz verwunderlich. Die neuronalen Netze, die zentraler Bestandteil von AlphaGo sind, wurden nämlich nur zu Beginn mit Millionen von Stellungen aus Partien starker menschlicher Spieler trainiert. Hier lernten sie zunächst, Menschen in ihrem Spiel zu imitieren. Dann kam aber eine Phase des Reinforcement Learning: Das neuronale
Netz spielte Millionen von Partien gegen sich selbst und lernte daraus, wie man dieses Spiel noch besser spielt. Während ein werdender Profi in Asien sein halbes Leben damit verbringt, das Jahrhunderte alte Wissen und die Traditionen zu verinnerlichen, durfte AlphaGo ganz alleine lernen, ohne die Vorurteile eines Lehrers.
So sah denn Michael Redmond nach dem Zwischenstand 3:0 für den Computer das Go mitnichten dem Untergang geweiht, sondern spekulierte sogar, dass vielleicht durch die Computer eine dritte Revolution der Eröffnungstheorie bevorsteht.
Quelle: Haradl Bögeholz
Jubel und Ernüchterung c't 7/2016, S. 44 (
Biblionetz:t19295).
Hmm, Berufs-Go-Spieler werden künftig anders spielen, weil sie durch den Computer neue Strategien kennen gelernt haben? Das klingt irgendwie nicht mehr so ganz nach dem
Anti-Künstliche Intelligenz-Mantra "Der Computer kann nur das wiedergeben, was ihm programmiert worden ist." Irgendwie hat er doch etwas gespielt, was noch keinem Menschen in den Sinn gekommen ist (auch wenn es vielleicht in der Spiellogik implizit schon enthalten ist).
In eine ähnliche Richtung geht
die Meldung von Google, dass ihr neues
neurales Netz, das bei
Google Translate eingesetzt wird, auch bei Sprachpaaren brauchbare Übersetzung liefert, die so nie trainiert worden sind: D.h. das Netzwerk wurde mit den Sprachpaaren Englisch-Japanisch und Englisch-Koreanisch trainiert und kann danach auch brauchbare Übersetzungen Koreanisch-Japanisch liefern:
Gewisse Berichte im Internet deuten das nun dahingehend, dass das neuronale Netzwerk von Google eine interne Repräsentation der sprachlichen Aussagen gefunden habe, also eine eigene interne Sprache, die bisher kein Mensch versteht. Auch da wieder: Entsteht hier etwas, das
mehr ist, als was dem Computer einprogrammiert worden ist?
Klar, ich mag mich noch an Searles Metapher des
Chinesischen Zimmers (
Biblionetz:w42) erinnern. Etwa zur gleichen Zeit habe ich aber auch Bücher über
Emergenz (
Biblionetz:w505) und emergente Phänomene gelesen. Die Zeit ist reif, all diese Bücher spätestens über Weihnachten wieder einmal hervorzunehmen.
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18 November 2016 -
Version 3
Im letzten Blogposting habe ich behauptet
Es bewegt sich nichts. Das ist eben nur die halbe Wahrheit
Es bewegt sich etwas.
Die Anzeichen sind zahlreich: Die täglichen Medienberichte zu Industrie 4.0, digitaler Transformation und was der Buzzwords noch mehr sind, die deutsche Wissenschaftsministerin Wanka, die für Deutschland 5 Milliarden Euro Infrastrukturhilfe für digitale Medien in den Schulen vorschlägt, die Tatsache, dass der Modullehrplan
Medien und Informatik (
Biblionetz:t17600) im
Lehrplan 21 (
Biblionetz:w02172) eine gewisse Verbindlichkeit für digitale Themen in Deutschschweizer Schulen bringt und mindestens bereits emsige Vorbereitungsarbeiten in zahlreichen Kantonen und Pädagogischen Hochschulen ausgelöst hat (Ja: Das garantiert noch nicht, dass das Digitale auch in der Schule wirklich ankommt. Aber es beschäftigen sich unterdessen Kreise mit dem Thema, die das vor wenigen Jahren noch für unmöglich gehalten hätten).
Ein Bild dafür, dass ein
Tipping Point (
Biblionetz:b00928) digitaler Medien in der Schule erreicht sein könnte, ist für mich das Interview mit Claudia Bogedan, der aktuellen Präsidentin der deutschen Kultusministerienkonferenz (KMK) im Spiegel 46/2016 (
Biblionetz:t19260).
Wenn sich die Präsidentin der KMK öffentlich für die Nutzung von Smartphones in der Schule ausspricht, dann hat sich etwas geändert. Dann ist das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung des Digitalen für die Gesellschaft und die Bildung gewachsen. Klar, im Detail kann man (weiterhin) über vieles streiten. Aber die Grundstimmung hat gewechselt.
An der
Projektschule Goldau haben wir von 2009 bis 2011 das
iPhone-Projekt durchgeführt um genau zu zeigen, dass Handyverbote in der Schule vielleicht nicht der richtige Weg in die Informationsgesellschaft sind. Es freut mich nun zu sehen, dass diese Überzeugung unterdessen prominente Unterstützung erhalten hat.
Das Interview mit Bogedan ist lesenswert (meines Wissens bisher nicht vollständig online verfügbar). Es enthält einige deutliche Aussagen, die sich gut in Referaten oder als Grundlage von Diskussionen in der Aus- und Weiterbildung verwenden lassen. Ich habe jedenfalls meinen Foliensatz schon mal auf Vorrat erweitert:
Ich glaube ernsthaft daran, dass wir nun 30 Jahre nach der Aussage von
Heinz Moser im Buch
Der Computer steht vor der Schultür (
Biblionetz:b01568) so weit sind, dass wir uns nicht mehr mit der Frage auseinandersetzen müssen,
ob das Digitale in die Schule kommt, sondern mit der Frage,
wie dies geschehen soll.
Dass die Frage nach dem
Wie? gross und schwer ist (und es dabei nicht vordringlich um Ausstattungs- und Appfragen geht), hat
Lisa Rosa in einem längeren und gewichtigen Blogposting
Welche "digitale Bildungsrevolution" wollen wir? (
Biblionetz:t19215) dargelegt. Auch bei mir hat sich dieses Jahr ein Unwohlsein als Wanderprediger für das Digitale aufgebaut, der das Immergleiche predigt
("Aufgrund des Leitmedienwechsels muss sich die Schule mit dem Digitalen beschäftigen"). In vielen Diskussionen und
mehreren Vorträgen bin ich nun auf der Suche, welche wesentlichen Fragen sich wie stellen und beantworten lassen:
Es bewegt sich etwas.
Auch bei mir.
Fast ein Déjà-vu, habe vor kurzem einen Blogpost mit ähnlichem Titel geschrieben:
http://pistadler.ch/estutsichwas/
--
PiStadler - 18 Nov 2016
Stimmt, habe ich auch gelesen. War mir heute jedoch beim Schreiben dieses Posts nicht mehr bewusst, dass dein Posting so nahe an meinem liegt
--
BeatDoebeli - 18 Nov 2016
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18 November 2016 -
Version 1
Anfang dieses Jahr bin ich eingeladen worden, den Eröffnugnsvortrag an der 18. Durchführung der Tagung
Unterrichten mit neuen Medien zu halten.
18. Durchführung ??
Neue Medien ??
Ich behaupte jetzt mal, dass es nicht meine Probleme mit dem Älter werden gewesen sind, die mich ausrufen liessen:
Aber hallo? Seit 18 Jahren führt ihr jetzt bereits eine Tagung durch, die sich mit
neuen Medien beschäftigt! Diese Tagung versucht also seit 18 Jahren, dem Publikum diese neuen Medien näher zu bringen, auf dass sie dann nicht mehr als so neu wahrgenommen werden. Seit achtzehn Jahren. Und offensichtlich scheint es ihr nicht zu gelingen, warum sonst würde die Tagung auch dieses Jahr wieder durchgeführt werden und noch immer
Unterrichten mit NEUEN Medien heissen?
Sorry, aber wenn es in 18 Jahren nicht gelungen ist, den Neuigkeitscharakter dieser neuen Medien zu beseitigen, dann hat diese Tagung offensichtlich versagt. Das habe ich dem Veranstalter auch so zurückgemeldet und angekündigt, dass ich die Abschaffung der Tagung fordern würde, sollte er tatsächlich an mir als Eröffnungsreferent festhalten wollen. Das wollte er (allerdings hat er dann einen Redaktor der
NEUEN Zürcher Zeitung (226 Jahre alt) vor mich gepackt
).
So kam es, dass ich Ende Oktober 2016 an der Pädagogischen Hochschule Zürich unter dem Titel
http://phzh.ch/unmöglich referiert habe.
Ich habe die Unterlagen der ersten UNM-Tagungen mitgebracht (ja, ich bin bereits älter!) und mit dem Programm der diesjährigen Tagung verglichen.
Und das Erschreckende. Am Inhalt und am Format hat sich nicht viel geändert. Auch im Jahr 2000 liess man Experten wichtige Fragen in Plenumsreferaten monologisch vortragen.
Auch die Workshop-Beschreibungen vor 18 Jahren klingen ähnlich wie heute (wenn man
"CD-ROM" durch
"Apps" ersetzt: Der Computer wird nicht die Lehrkraft ersetzen (
Biblionetz:a00283), Lebenslanges Lernen (
Biblionetz:w00466)etc.:
Die ewig gleichen Fragen, die heute die Kommentar- und Leserbriefspalten füllen, wurden vor 18 Jahren bereits diskutiert:
(Kein Wunder erfindet man angesichts von bald 20 Jahren solcher Programme einen
Blahfasel-Generator...)
Über
OER (
Biblionetz:w02058) hat man bereits im letzten Jahrtausend debattiert, ohne es dabei als OER zu bezeichnen:
Programmieren in der Schule? (
Biblionetz:f00114) Ein alter Hut:
Selbst der aktuelle Hype-Begriff
Serious Games: Gab's auch damals schon:
Ich hoffe Sie verstehen jetzt, dass ich diesen Optimismus «analog digital ideal sozial» nicht mehr ertragen habe. Seit 18 Jahren das gleiche Theater! Für mich klingt das eher nach
friede - freude - eierkuchen
Darum war für mich klar: Die Tagung muss abgeschafft werden.
Und wenn man es nicht schafft, die Tagung abzuschaffen: Dann bitte wenigstens den Begriff!
Da ja die Gefahr besteht, dass die Tagung weiterhin durchgeführt werden wird: Wir sollten keine solchen Tagungen mehr besuchen. Wir besuchen schliesslich auch keine Wandtafel-Tagungen. Sowas gehört in die Fachdidaktiken. (
Im Vortrag habe ich dann den Begriff
digital mainstreaming (
Biblionetz:w02898) eingebracht.)
Als Konsequenz sollte man darum auch aufhören, Nutzungszeiten zu messen und daraus Schlüsse zu ziehen
Mein Appell hat aber erwartungsgemäss wenig gebracht. In den letzten sechs Wochen sind sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland wieder die üblichen jährlichen Studien zur schulischen und ausserschulischen ICT-Nutzung erschienen:
In die gleiche Kategorie gehört die Unsitte, lange über das richtige Verhältnis von digitalen Geräten und Lernenden zu debattieren. Machen wir das bei Bleistiften oder Schulbüchern? Solange nicht jedes Kind jederzeit und ohne Aufwand der Lehrperson Zugang zu einem digitalen Gerät hat, wird das nichts mit digital mainstreaming. Man stelle sich einfach mal die
Bleistift-Ecke und den
Schulbuchraum vor…
Meine vorletzte Forderung im Referat betraf die Weiterbildungsmassnahmen in der Schweiz im Rahmen der Einführung des
Lehrplans 21 (
Biblionetz:w02172). Wenn wir seit 18 Jahren propagieren, dass digitale Medien in die Schule gehören, dann sollten wir nun auch Ernst machen: Wer sich jetzt als Lehrpersone weigert, sich auf digitale Medien in der Schule einzulassen, der oder die sollte vom
digitalen Besenwagen eingesammelt werden. Zehn Jahr nach Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung würde man schliesslich auch nicht akzeptieren, dass eine Lehrperson über deren Sinn- und Unsinn diskutiert und weiterhin die alte Rechtschreibung lehrt…
Und weil ich ja wusste, dass alle diese Appelle wenig bringen würden, habe ich mit der Forderung abgeschlossen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung sollten sich selbst nicht als Referierende an solchen ICT-Tagungen zur Verfügung stellen…
Ja, diese Forderung betrifft auch mich! Also liebe VeranstalterInnen von ICT-Tagungen: Bitte ladet mich schon gar nicht mehr ein!
P.S.: Zu diesem Beitrag gehört auch das Posting
Es bewegt sich etwas
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04 October 2016 -
Version 6
Vor kurzem hat mich
Facebook (
Biblionetz:w02039) wieder einmal fürsorglich nach meiner Mobiltelefonnummer gefragt:
"Nur du kannst deine Nummer sehen."
Liebes Facebook, du weisst selbst, dass das nicht stimmt, denn DU kannst meine Nummer auch sehen. Und das ist vermutlich der Hauptgrund, warum die regelmässig nach meiner Nummer fragst. Mobiltelefonnummern sind wertvolle Identifikationsmerkmale von Personen, da sie einerseits meist persönlich und andererseits relativ dauerhaft sind.
Als du WhatsApp gekauft hast, war das Versprechen, dass zwischen euch keine Daten ausgetauscht würden.
Zwei Jahre später sieht das anders aus. Und mit dem lustigen Schalter in WhatsApp hätte ich nicht verhindern können, dass ihr die Daten austauscht, sondern nur… ach ich weiss es nicht mehr.
Denn ich habe beschlossen, meinen WhatsApp-Account zu löschen. Es gibt zahlreiche Alternativen, die nicht davon leben meine Daten auszuwerten oder zu verkaufen:
- Ich nutze seit längerem auf dem Smartphone die Schweizer App Threema, die mir End-zu-End-Verschlüsselung ohne zentrale Speicherung meiner Kommunikation bietet.
- Seit kurzem nutze ich auch die App Signal, da es dazu nun auch eine Desktop-App gibt, so dass ich auch unter Windows damit kommunizieren kann.
Mit meinem Entscheid, WhatsApp zu löschen, handle ich mir kurzfristig Probleme ein, da ich gewisse Kommunikationspartner nicht mehr per Instant Messaging erreiche. Trotzdem ist es mir wichtig zu zeigen, dass es Bereiche des digitalen Lebens gibt, wo durchaus Alternativen zu den üblichen Monopolisten existieren, die
Datensparsamkeit (
Biblionetz:w01211) und
privacy by design (
Biblionetz:w02435) hochhalten.
(Das beantwortet auch die Frage, was die Newsmeldung, dass Yahoo seit einem Jahr alle Mails in Echtzeit durchsucht und die Ergebnisse dem amerikanischen Geheimdienst weitergeleitet hat, mit meiner Kündigung zu tun hat: Datensparsamkeit. Wenn Daten schon gar nicht zentral gespeichert werden (ein Beispiel für privacy by desgin…), dann kann auch niemand diese Daten (miss)brauchen.)
Weiterführende Hinweise bei netzpolitik.org:
Weiterführende Hinweise bei heise.de:
Update 5.10.2016: Replik auf Philippe Wampfler
In seinem Blogpost
Warum ich WhatsApp nicht lösche nimmt Philippe Wampfler (
Biblionetz:p12709) Bezug auf meinen Entscheid, WhatsApp zu löschen. Er nennt mehrere Gründe, warum er WhatsApp weiterhin verwenden wird:
- Ich will meinem Gegenüber nicht den Kommunikationskanal diktieren
"Ich möchte den Jugendlichen und den Studierenden, die ich pädagogisch begleite, zuhören können. Das bedeutet, dass meine Kommunikationsschwellen so tief wie möglich sind: Ich will erreichbar sein, um an pädagogischen Gesprächen teilnehmen zu können. Das bedeutet für mich, dass ich nicht anderen die Kanäle diktiere, sondern ihre Kanalwahl respektiere."
Das sehe ich in der Tat anders. Ich kann - schon aus Ressourcengründen - gar nicht anders, als meinen potenziellen Kommunikationspartnern gewisse Rahmenbedingungen der gemeinsamen Kommunikation zu diktieren (wenn nicht den Kanal, dann doch z.B. die Reaktionszeit). Ich sehe es zudem in meiner aktuellen beruflichen Tätigkeit nicht als notwendig an, auf allen denkbaren Kanälen erreichbar zu sein (bei einer anderen Tätigkeit könnte das anders sein). Umgekehrt habe ich auch eine Vorbildwirkung: Ich zeige im Guten wie im Schlechten, wie und warum digitale Medien genutzt oder nicht genutzt werden sollen.
- Dieser Entscheid ist nur Privilegierten möglich
"Gleichwohl ist aber eine solche Entscheidung nur Privilegierten möglich, die davon ausgehen können, den sozialen Preis zahlen zu können."
Ich bin mir bewusst, diesbezüglich privilegiert zu sein. Nur: Solange ich nicht das gleiche Verhalten von anderen fordere (was ich in meinem Posting mit keine Wort tue), sehe ich nicht ein, warum das Privilegiertsein hier störend sein könnte. Ja, man könnte mir vorwerfen, dass ich mich moralisch auf eine höhere Ebene stellen würde (ich wäre mir aber nicht bewusst, das zu tun). Aber auch hier wieder: Gerade weil ich privilegiert bin, sollte ich vielleicht diese Möglichkeiten auch nutzen.
- Datenschutz ist ein Scheindiskurs
"Ich halte Datenschutz für einen Symboldiskurs. Wir haben die Kontrolle über unsere Daten verloren."
Ich teile diese Post-Privacy-Ansicht (Biblionetz:w02424) in ihrer Pauschalität nicht. Wie wir künftig kommunizieren werden, hängt auch von unserem Verhalten ab. Gerade gewinnorientierte Unternehmen schauen sehr genau hin, was Nutzerinnen und Nutzer tun. Wenden sich allzu viele User von allzu datenkrakigen (und im Falle von Facebook auch noch heuchlerisch lügenden ("Wir sorgen uns um deine Sicherheit") Plattformen ab, so werden sich die Unternehmen schon bemühen, ihre Geschäftspraktiken zu ändern.
- Mit meiner Aktion kann ich das Problem sowieso nicht lösen
"Wenn nun einfache Entscheidungen wie der Verzicht auf WhatsApp herangezogen werden, um scheinbar klare Linien zu ziehen zwischen gutem und schlechtem Verhalten, zwischen Datensparsamkeit und Datensammeln, zwischen Kontrolle und Kontrollverlust, dann hat das symbolischen Wert: Die Telefonnummern werden immer noch an vielen Orten gespeichert, sie gelangen über andere Wege zu Facebook und den Unternehmen, die daran interessiert sind."
Ich bin mir der Symbolhaftigkeit sehr wohl bewusst. Auch das ist jedoch für mich kein Grund, es nicht zu tun. Bei vielen grossen Problemen der Welt kann ich sie weder alleine lösen noch selbst meinen Anteil vollständig leisten.
- Solche Probleme sollte man ausschliesslich politisch lösen
"Meiner Meinung nach gibt es nur politische Mittel im Kampf um einen ethischen Umgang mit Daten. Die Verantwortung an Individuen abzugeben, führt zu Schuldgefühlen und Überforderung nicht zu Lösungen."
Es ist nicht ein Entweder-Oder. Es braucht ein Sowohl-als-auch. Politische Mittel und kleine Schritte einzelner Privilegierter.
Während dem Schreiben dieser Antworten drängt sich mir der (vermutlich nicht ins ins letzte Detail passende) Vergleich mit dem
Klimawandel auf:
- Ich kann das Problem nicht alleine Lösen
- Viele persönliche Massnahmen (Nachtzug statt Flieger, Home-Office statt Büro, saisonales Biogemüse aus der Region, Leicht-Elektromobil statt Auto) kann ich nur treffen, weil ich privilegiert bin
- Nicht mal ich (als Privilegierter) werde ohne Preisgabe grosser Bequemlichkeit die Ziele 2000-Watt-Gesellschaft hinkriegen
- Nicht alle Massnahmen ziehe ich konsequent durch (morgen fliege ich innerhalb von Europa)
Nur: Sind das Gründe, gänzlich auf Massnahmen zu verzichten, die den Klimawandel ein kleines bisschen verlangsamen könnten? (Warum ist das Angebot von Bio-Gemüse in letzter Zeit so gestiegen: Weil Privilegierte angefangen haben, es zu verlangen. (dass das ungerecht ist, ist wiederum ein anderes Problem). Aber es waren nicht zuerst die politischen Massnahmen, sondern die Aktionen Einzelner, die etwas bewirkt haben).
Kommentare
Auch PHW sammelt und verwaltet Daten im Umkreis seiner Schulen, die gemeinhin als sensibel und schützenswert angesehen werden. Ich gehe davon aus, dass auch er dieses Daten als schützenswert betrachtet.
--
BeatRueedi - 07 Oct 2016
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24 September 2016 -
Version 1
Am 09.09.2016 ist mein Forumsbeitrag in der Zeitung
Bote der Urschweiz erschienen (
Biblionetz:t19000):
Die sitzen doch zu Hause schon
genug vor dem Bildschirm!», werden
einige denken, wenn sie von der
Einführung des Fachs «Medien und
Informatik» in der Volksschule oder der
Ausstattung aller Schülerinnen und
Schüler des Bezirks Schwyz mit persönlichen
Tablets hören. Damit liegen sie
gar nicht so falsch. Tatsächlich verbringen
Kinder und Jugendliche ausserhalb
der Schule viel Zeit mit digitalen
Medien das belegen zahlreiche Studien
und die Erfahrung vieler Eltern.
Dies spricht jedoch nicht dagegen, dass
digitale Medien auch ihren Platz in der
Schule erhalten im Gegenteil. Die
Allgegenwärtigkeit digitaler Medien sowohl
im Berufs- als auch im Privatleben
zeigt, wie wichtig dieser Themenbereich
geworden ist.
Autofahren lässt sich als isolierte
Fertigkeit innert kurzer Zeit gut
ausserhalb der Schule erlernen. Die
Bedienung eines Autos hat sich in den
letzten 50 Jahren nicht gross verändert,
und mit Autos kann man primär eines:
fahren. Digitale Medien, also Computer,
Tablets, Smartphones etc. sind dagegen
Universalwerkzeuge, deren Möglichkeiten
laufend zunehmen. Im Gegensatz
zum Auto genügt es nicht zu
wissen, auf welches Pedal man drücken
muss. Kinder und Jugendliche benötigen
ein vertieftes Verständnis der digitalen
Welt, um sich mündig in ihr
bewegen zu können.
Hier kann nur die Schule die Chancengerechtigkeit
gewährleisten. Wo, wenn nicht in der Schule, sollen
Kinder und Jugendliche lernen, mit
digitalen Medien vernünftig umzugehen?
Nur in der Schule werden alle
Schülerinnen und Schüler erreicht,
unabhängig von den Möglichkeiten der
Eltern, die erforderliche Medienbildung
zu übernehmen. So hat sich die Stimmung
an Elternabenden in den letzten
Jahren stark gewandelt. Die meisten
Eltern begrüssen es heute sehr, wenn
sie bei der anspruchsvollen Aufgabe
unterstützt werden, einen mündigen
und kritischen Umgang mit Medien zu
vermitteln. Die Schule kann auch ein
differenzierteres Bild von digitalen Medien
vermitteln. Während diese im
privaten Umfeld vorwiegend als Unterhaltungsgeräte
wahrgenommen werden,
kann die Schule dazu beitragen,
die Geräte auch als Werkzeug zum
Lernen und Arbeiten zu sehen und zu
verwenden. Die langjährigen Erfahrungen
an der Projektschule Goldau zeigen,
dass dies kein praxisferner Wunschtraum,
sondern eine durchaus realistische
Folge des gezielten Computereinsatzes
an der Schule sein kann.
Die sitzen doch zu Hause schon
genug vor dem Bildschirm!», ist
auch verbunden mit dem Vorurteil,
dass Schülerinnen und Schüler dauernd
vor digitalen Geräten sitzen würden,
sobald diese in der Schule verfügbar
sind. Auch da sprechen die Erfahrungen
der Projektschule Goldau eine
andere Sprache. Etwa 10 bis 15 Prozent
der Unterrichtszeit arbeiten die Schülerinnen
und Schüler mit den jederzeit
verfügbaren, persönlichen Digitalgeräten.
Weder der Sportunterricht, die
Schulreisen noch die allgemeine Bewegung
haben deswegen in der Projektschule
Goldau abgenommen. Eigentlich
nicht verwunderlich: Niemand
würde erwarten, dass die Wandtafel
dauernd genutzt wird, nur weil sie im
Schulzimmer hängt. Genutzt wird sie,
wenn es didaktisch sinnvoll ist. Bei den
digitalen Geräten müssen wir uns eine
ähnliche Gelassenheit erst angewöhnen.
Auch der erste Zwischenbericht
einer mehrjährigen Tabletstudie der
Pädagogischen Hochschule Schwyz
kann vielleicht die Gemüter etwas beruhigen.
Es hat sich gezeigt, dass Schülerinnen
und Schüler, die in der Schule
über ein persönliches Tablet verfügen,
deswegen zu Hause nicht häufiger
Computerspiele spielen.
Die Zeit des «entweder oder» ist
bei digitalen Medien in der Schule
definitiv vorbei. Es geht um ein
sinnvolles «sowohl als auch». Die
Schule steht vor der dreifachen Herausforderung,
mit, über und trotz digitaler
Medien zu unterrichten. Ich freue mich
darauf, auch die diese Woche eingetretenen
Erstsemestrigen an der Pädagogischen
Hochschule Schwyz auf diese
anspruchsvolle Aufgabe vorzubereiten!
Dr. Beat Döbeli Honegger ist Professor für Informatik- und Mediendidaktik an der Pädagogischen Hochschule Schwyz in Goldau. Im März dieses Jahres ist sein Buch «Mehr als 0 und 1 Schule in einer digitalisierten Welt» im hep-Verlag erschienen.
red. Im «Bote»-Forum schreiben regelmässig prominente Schwyzer. Sie sind in der Themenwahl frei und schreiben autonom. Der Inhalt des «Bote»-Forums kann, aber muss sich nicht mit der Redaktionshaltung decken.
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