Was ist denn nun mit dem iPad?

Kurt Jakob ist nicht der einzige (siehe seinen Kommentar zum Posting EiEiEiPad), der mich nach meiner Einschätzung zum iPad (Biblionetz:w02189) fragt. Seit bald zwei Monaten trage ich ein iPad mit mir herum - Zeit also für eine erste Bilanz.

Erstes Fazit: Das iPad ersetzt für mich kein anderes Gerät

Das beunruhigt mich aber wenig. Da der Installations- und Wartungsaufwand (bisher) gering war, geht nicht wesentlich Arbeitszeit verloren für den Betrieb des iPads. Es ist einfach ein weiterer Bildschirm mit gewissen Vor- und gewissen Nachteilen. Und Bildschirmfläche hat man eh immer zu wenig (siehe WieVieleBildschirmeBrauchtDerMensch). Das iPad hat mir diesbezüglich die Augen geöffnet für die banale Erkenntnis, dass One-to-One-Computing (Biblionetz:w02173) bei weiterhin gültigem Moore'schem Gesetz (Biblionetz:w00862) höchstens ein Übergangsphänomen sein wird: Wer wird denn nur einen Computer brauchen wollen, wenn er auch viele haben kann? Computer werden ubiquitous (Biblionetz:w00533), etwas, das ich theoretisch schon lange weiss, mir das iPad aber wieder einmal konkret vorführt.

Zweites Fazit: Das iPad erweitert das Altersspektrum für Computernutzung auf beiden Seiten

Da ist einerseits die Erinnerung an Nachtessen im Restaurant in den Ferien, während deren drei Kinder zwischen anderthalb und dreieinhalb zufrieden und konzentriert rund um ein iPad sassen, abwechslungsweise die Metallkugel durchs virtuelle Holzlabyrinth lotsten und sich gegenseitig Tipps zur Problemlösung gaben. Eifrige Verfechter der Primärerfahrung (Biblionetz:w01866) werden aufheulen, aber wenn ich diesen Kindern durch die pädagogisch deformierte Brille beim Spielen zusah, war für mich der Aufbau von Problemlöse- und Sozialkompetenz mindestens so viel wert wie ein echtes Holzspielzeug, für das ich aber im Gepäck keinen Platz gefunden hätte. (Nebenbei schätzte ich als Vater natürlich auch das ruhige Nachtessen wink )

Andererseits habe ich meiner über 80jährigen Nachbarin, die nicht länger auf Computer & Internet verzichten wollte, um weiterhin vollumfänglich am privaten und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, ein iPad als Notebookalternative vorgeschlagen. Seit zwei Wochen mailt und surft sie nun voller Freude und Interesse - und hatte vorher noch nie eine Computermaus in der Hand.

Beide Erfahrungen zeigen mir: Computernutzung ist einfacher geworden. Massiv einfacher.

Drittes Fazit: Das iPad ist kleingruppenfreundlich

Mir ist aufgefallen, wie oft das Gerät in den letzten zwei Monaten in kleinen Gruppen genutzt worden ist, sei es in Sitzungen, privat mit Freunden oder wie bereits oben erwähnt durch eine Gruppe Kinder. Einerseits gilt es als eher nerdig, wenn man sein Notebook hervorzieht und etwas zeigen will ("Ach der Informatiker wieder...") während das iPad natürlich über einen Coolness-Faktor verfügt. Andererseits sind es aber auch Multitouch, Lagesensor und fehlende Tastatur, die eine Nutzung in Gruppen fördert: Alle können mit dem Finger manipulieren, der Lagesensor erlaubt ein Neuausrichten des Bildschirms durch leichtes Neigen des Geräts und mit dem Fehlen einer Tastatur fällt auch gleich die "richtige" Nutzungsposition weg.

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Viertes Fazit: Ich muss nicht mehr erklären, was ein Tablet ist

Endlich weiss die Allgemeinheit, was ein Tablet (Biblionetz:w01414) ist. Seit sieben Jahren laufe ich mit einem solchen Ding durch die Gegend und während sieben Jahren war sicher immer wieder jemand der fragte: "Können Sie mir sagen, mit welcher Software sie so einfach in Power-Point zeichnen können?" und "Wie nennt man das?" Jetzt sagen alle nur noch: "Ah, wie beim iPad."

Ein Gerät für die Schule?

In Bezug auf die Eignung für die Schule scheint es mir relevanter, einzelne Eigenschaften des iPads und ihre jeweiligen Chancen und Gefahren für Schulzwecke darzustellen, als das konkrete Produkt iPad auf Schultauglichkeit zu untersuchen. Dabei interessiert mich insbesondere die Primarschultauglichkeit.

  • Instant-On: Eine Eigenschaft, welche das iPad mit Handhelds und Smartphones teilt: Ein Knopfdruck und das iPad ist betriebsbereit. Kein Booten, kein spürbares Aufwachen aus dem Standby. Was nach einem kleinen, technischen Detail klingt, hat meines Erachtens grosse Auswirkungen auf die Einsatzmöglichkeiten im Unterricht: Ein Kurzeinsatz von 3 Minuten oder gar 30 Sekunden ist effizient, man verliert nicht wertvolle Zeit bis das Gerät ansprechbar ist.
  • Multitouch und Lagesensor: Durch das Multitouch-Interface und den Lagesensor wird die Nutzung direkter: Ich benötige weder Tastatur noch Maus und ich führe meine Finger dorthin, wo etwas geschehen soll. Mit solchen Interfaces kann aus den Lehrplänen der Punkt "Kann mit der Maus navigieren und klicken" bereits wieder gestrichen werden, bevor er überhaupt überall eingeführt wurde. Bereits Zweijährige können bestens mit dem Touchscreen umgehen.
  • Multitouch, Lagesensor und fehlende Tastatur: Wie bereits oben beschrieben, fördert das andersartige User-Interface die Nutzung in kleinen Gruppen. Ich bin mir noch nicht sicher, ob bis zur sechsten Klasse das Fehlen einer Hardware-Tastatur ein Problem darstellt, oder ob die bei Bedarf vorhandene Softtastatur nicht ausreicht.
  • Laufzeit: Als iPhone-Akku-Geschädigter ist die Batterielaufzeit des iPad mit 10h Dauernutzung natürlich umwerfend. Für die Schule heisst das: Wenn die Geräte morgens geladen sind, braucht es den ganzen Tag keinen Stromadapter.
  • Geräuschlosigkeit: Kein Lüfter, keine Festplatte, kein Lärm. Was bereits bei einem einzelnen Gerät sowohl zuhause als auch in Sitzungen angenehm ist, gilt erst recht in einem 1:1-Setting.
  • App-Store als einzige (legale) Installationsmöglichkeit für Software: Die auf einer einer abstrakteren bildungs- und gesellschaftspolitischen Ebene problematische Gatekeeper-Funktion (Biblionetz:w02191) der Firma Apple, welche abschliessend darüber entscheiden kann, welche Software auf dem iPad laufen darf und welche nicht, erleichtert den konkreten Schulbetrieb natürlich schon: Derzeit sind weder Viren noch sonst bösartige oder systemschädigende Programme im Umlauf. Bereits Primarschulkindern kann somit das Recht erteilt werden, selbst Programme zu installieren, ohne dass in der Folge gleich das ganze System neu aufgesetzt werden muss.

Schulfazit: Für mich stellt das iPad ein derzeit guter Archetyp eines Gegenkonzepts zu Notebooks und Netbooks dar. Die technischen Details und Gerätetypen werden sich weiterentwickeln, aber als Näherung könnte ich mir durchaus eine Zweiteilung vorstellen: Handheld-Tablets Geräte für die Primarschule, Net- und Notebooks mit Hardwaretastatur (und Multitouch…) ab Sekundarstufe I.

Was mich am konkreten Produkt iPad derzeit stört

  • Spiegelnder Bildschirm: Mir leuchtet nicht ein, warum kein matter Bildschirm verwendet wurde. Sowohl die Fingerabdrücke als auch das Spiegeln stören beim Benutzen, insbesondere beim Lesen.
  • eReader: Bisher habe ich keinen eReader gefunden, bei dem ich ohne iTunes automatisch meine PDF-Sammlung synchronisieren und die einzelnen Dateien annotieren (markieren und mit Notizen versehen) kann. Sachdienliche Hinweise gerne in den Kommentaren…
  • RSS-Reader: Gerne würde ich meine RSS-Feeds mit dem iPad lesen. Doch bisher habe ich keinen RSS-Reader gefunden, der das offline Lesen ermöglicht und meinen Lesestatus auf andere Geräte synchronisiert (so wie das bei eReadern üblich ist).
  • Fehlendes Multitasking: Beim Versuch, das iPad an einer Konferenz zu nutzen, habe ich bemerkt, dass mir Multitasking fehlt. Ich will einen Twitter-Client, einen Webbrowser und ein Mailprogramm gleichzeitig offen haben können.

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iPad-Nutzung an der PLE 2010 (Photo by samscam)

Was andere zum iPad sagen (Update)


PDF editieren und organisieren: Mit dem Goodreader kann man die Dokumente gut organisieren und ohne iTunes über den Browser, einen integrierten Server oder ein Mac-Programm befüllen. iAnnotate ist bisher meine erste Wahl zum Markieren und Kommentieren von PDFs. Hat leider keinen integrierten Server zum direkten Importieren der Pdfs.

Als RSS Reader finde ich Reeder hervorragend. Synct mit GoogleReader und funktioniert (theoretisch) auch offline.

(Beitrag wurde vom iPad erstellt und editiert).

-- FelixSchaumburg - 24 Jul 2010

Zu deinem Fazit betreffend Primarschultauglichkeit kann ich dir als Primarlehrer recht geben. Alle aufgezählten Punkte sind relevant, aber die wichtigsten finde ich "Instant-on" und "Geräuschlosigkeit". Als eReader bietet sich vielleicht Evernote an … kenne aber infolge Fehlens eines iPads heul die Möglichkeiten auf dem iPad nicht. Für RSS empfehle ich NetNewsWire.

Als weiteren störenden Punkt würde ich noch das Fehlen einer Kamera anfügen. Beim iPhone-Projekt stellt sich immer wieder heraus, dass die Kamera oft gewinnbringend genutzt wird.

-- ChristianNeff - 24 Jul 2010

Eines der größten Probleme des iPad als Lesegerät sehe ich derzeit in der DRM Situation. Jeder Anbieter nutzt zwar das ePub Format, hat jedoch ein eigenes DRM. Bücher aus iBooks können nur in iBooks gelesen werden. Gleiches gilt für Bücher im Kindle Format. Buecher.de hat zwar kein App aber ein eigenes DRM, das wiederum weder mit Kindle noch iBooks kompatibel ist. Wer sein Buch dort online gekauft hat, hat das Nachsehen. Das gilt für die Angebote von txtr und anderen Anbietern. Wer nicht als User auf Angebote ohne DRM setzt, kauft derzeit wohl am besten seine eBooks bei Amazon, da das Format auf recht vielen Geräten (Apple iOS, Android) unterstützt wird und somit die wenigsten Einschränkungen hat. Ohne DRM gibt es gegenwärtig leider kaum Angebote neben den Büchern des Projekt Gutenbergs. Selbst rippen kann man Bücher auch nicht und das DRM aus ePub Büchern zu entfernen ist einmal illegal und andereseits schwierig (mit mp3 nicht zu vergleichen).

Für mich immer im Blick die Schule: Solange das Problem DRM nicht gelöst ist, ist das iPad als Medium für digitale Schulbücher ungeeignet, da man sich als Schule auf einen Verlag (z.B. Klett) einlassen müsste und damit an dessen Buchangebot für alle Fächer gebunden wäre.

-- DamianDuchamps - 25 Jul 2010

Das die Abgeschlossenheit des iPad nicht als störend genannt wird, finde ich merkwürdig. Es werden hierdurch ja nicht nur Lehrpersonen und andere von der Programmmierung ausgeschlossen, es werden dadurch auch soziale Hürden errichtet, was im Bidlungsbereich völlig unakzeptabel ist. Dass ein Gerät, das noch nicht einmal Multitasking beherrscht, faszinierend ist, zeigt, wie leicht sich Leute durch Äußerlichkeiten blenden lassen.

-- RomeyW - 26 Jul 2010

Hmm, die Problematik der Abgeschlossenheit der iDevices habe ich im Beitrag Generatives Internet oder Gated-Virtual Communities schon erörtert - und tatsächlich hier nicht wiederholt.

Nicht einverstanden bin ich beim Punkt "fehlendes Multitasking": Nicht alle Usergruppen benötigen Multitasking, oft ist weniger mehr (Meine 81jährige Nachbarin benötigt z.B. kein Multitasking, im Gegenteil, das würde sie eher verwirren. Auch bei Primarschulkindern bin ich mir nicht sicher, ob fehlendes Multitasking ein Problem darstellt.)

-- BeatDoebeli - 27 Jul 2010

Die Mobilität, das Format und das Instant-On machen für mich das iPad zu einem Gerät, das zum ersten Mal Computer und das Internet wirklich mobil machen (noch dazu wirklich alltagstauglich, kann mensch vom iPhone nicht immer behaupten). Ich sehe großes Potenzial auch für die Medienpädagogik, wenn denn mal die ersten richtigen Apps erscheinen, die die Qualität der iWork-Suite haben. Die ersten Videoschnitt-Programme lassen aufhorchen. Gleichzeitig müssen meiner Meinung nach aber noch einige Knackpunkte verbessert bzw. beseitigt werden: Die Dokumenten-Freigabe/-Synchronisation (für mich ganz zentral), das fehlende Multitasking und der DRM-Wust. (geschrieben mit dem iPad :-))

-- EikeRoesch - 27 Jul 2010

Ja, "wenn den mal die ersten richtigen Apps erscheinen" und die Gnade von Apple finden und dann auch noch für Kinder, die in Armut leben, bzw. deren Eltern, finanzierbar sind. Ich kann nicht nachvollziehen, warum es so wenigen wichtig ist, dass keine sozialen Barrieren durch Software entstehen. Wenn es geht, muss im Bildungsbereich freie Software verwendet werden, die ja in der Regel auch Kosten frei verfügbar ist und die man auch dann noch legal nutzen kann, wenn man nach Schule und Ausbildung kein reguläres Einkommen hat. - Meine 80jährige Oma benötigt Multitasking :-). Kann man auf dem iPad z.B. Text zwischen zwei gleichzeitig laufenden Anwendungen per drag´n´drop kopieren? Das kann doch wohl jeder unabhängig vom Alter gebrauchen.

-- RomeyW - 28 Jul 2010

Die angesprochenen Hardware-Schwächen werden vielleicht schon schnell (spätestens ab Dezember wird es eine Reihe günstiger Android-Tablets geben, die mehr Saft, mehr Anschlüsse und mit dem Android-OS auch eine weniger verbarrikadierte Entwicklungsplattform haben. Apps-mäßig hat Apple die längste Zeit die Nase vorne gehabt, Android wird wohl das Windows der mobilen Geräte werden. Für den Schulgebrauch ist das iPad m.E. viel zu teuer und unflexibel. Beim momentanen Softwarestand verleitet es m.E. auch nich zu sehr zur passiven Rezeption. Für Digital Storytelling oder andere kreative Einsatzmöglichkeiten sind die Geräte noch nicht fit. Handy & Co. lassen sich im Unterricht (momentan noch) wesentlich sinnvoller einsetzen.

-- MatthiasHeil - 28 Sep 2010
 
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