Die Masterarbeit mit dem Smartphone schreiben

Der September ist der traditionelle Konferenzmonat und so war ich zuerst an der GMW in Wien, wo ich gestaunt habe, wie flink Nachwuchswissenschaftlerinnen wink mit dem iPad umgehen können (bei mir dauert der Task-Switch das trotz Gestensteuerung immer so lange).

Zwei Wochen später war ich Mitveranstalter des 3. Workshop "Lerninfrastruktur in Schulen“ in Hagen wo unter anderem über die auch nicht ganz neue Frage One to One Computing - Aber mit welchen Geräten? (hier ein Posting vom Oktober 2010) diskutiert wurde.

In Hagen war man sich in den Diskussionen weitgehend einig: Der ideale Gerätetyp bei 1:1-computing (Biblionetz:w02173) hängt von der Schulstufe ab. Und ab einer gewissen Schulstufe muss es ein "richtiger" Computer sein, ein Tablet reicht nicht mehr (weil die Tastatur in Hardware fehlt und es derzeit nicht möglich ist, mehrere Programmfenster gleichzeitig zu sehen). Soweit war meine Welt in Ordnung, es gab keinen Widerspruch zu meiner entsprechenden These vom Frühjahr dieses Jahres:

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Eine meiner Thesen aus dem OPCO12

Trotzdem hat mich bereits die Wiener Erfahrung irritiert. War es mein Alter, dass ich nicht so geschickt mit einem Tablet hantieren konnte wie die echten digital natives? Irgendwie wollte mir diese Erfahrung noch mehr sagen und so spukt mir die Frage nach dem idealen Gerät seit einigen Tagen im Kopf umher - eigentlich die Frage, ob diese Frage überhaupt sinnvoll ist.

Den Stein zum aktuellen Posting ins Rollen gebracht hat dann eine Diskussion mit Beat Rüedi bei Google+. Da schrieb Beat Rüedi:

Nur, wie soll ich dies meiner jüngeren Tochter erklären, die ihre Masterarbeit mit dem iPhone schreibt und nicht wüsste, warum sie sich an einen PC setzen sollte?
Quelle: Google+

Als ich dies zum ersten Mal las, musste ich erschreckt feststellen, dass ich in etwa so reagierte, wie die meisten Leute, denen ich vor einigen Jahren vom /das-iphone-projekt (Biblionetz:w02165) erzählte: Mit unglübigem Staunen: "Ja kann da was Sinnvolles dabei rausschauen?". Oha, schon wieder: Bin ich bereits so alt, dass ich die Arbeitsweise der Jungen nicht mehr verstehe?

Ich habe nachgefragt:

Masterarbeit auf dem iPhone schreiben? Das interessiert mich sehr, denn ich war gestern auf einer Tagung, wo u.a. intensiv diskutiert worden ist, auf welcher Schulstufe welche Geräte notwendig/sinnvoll sind. Konkret interessiert mich: In welchem Fachbereich kann man mit einem iPhone eine Masterarbeit schreiben und mit welchem Programm lässt sich das machen?

und bekam zur Antwort:

Meine jüngere Tochter schreibt ihre Masterarbeit in Jus darum mit dem iPhone 4S, weil sie viel unterwegs ist. Laut ihrer Aussage bekommt ihr das Schreiben mit 2 Daumen mindestens so entgegen wie mit einem iPad (hierin allerdings nur eine Erfahrung im Zug ZH-Genf und zurück).
Sie schreibt ihre Arbeit in Pages. Das ist laut Fakultät resp. ihrem Prof kein Problem, weil allein die gedruckte Version massgebend ist

Mein vorgestriges Posting Nun habe ich - vorläufig - genügend Bildschirmfläche kam somit nicht zufälligerweise vorgestern, sondern war die Vorbereitung für dieses Posting um die extrem unterschiedlichen Vorstellungen von sinnvoller Bildschirmfläche aufzuzeigen. Während ich nun mit 2400 x 1900 Pixeln auf ca. 70 x 56 cm glücklich bin, begnügen sich andere mit einem 5.5 x 7.5 cm kleinen Smartphone-Bildschirm!

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Der Grössenvergleich: Zwei 24-Zöller, ein Notebook-Bildschirm und in der Mitte ein Smartphone

Um entsprechende Generationen-Hypothesen gar nicht aufkommen zu lassen: Beat Rüedi kommentierte mein Posting so:

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Tja, ich glaub, es geht weniger drum, was wir nun voneinenander halten, sondern eher um die Frage, ob wir Abstand von der Idee des für alle optimalen Gerätes nehmen müssen. Ist es je länger desto mehr eine schlechte Idee, allen Schülerinnen und Schülern das gleiche Gerät zur Verfügung stellen zu wollen? Sind Gerätetypen wie Lerntypen (über deren Definition und empirische Feststellung ich mich hier nicht auslassen möchte…)?

Im aktuell laufenden Projekt Digitaler Alltag an der Projektschule Goldau liess ich die drei beteiligten Lehrer entscheiden, welchen Gerätetyp (Handheld oder Tablet) sie für ihre Klasse ideal fänden. Hätte ich die Schülerinnen und Schüler statt der Lehrpersonen entscheiden lassen müssen? Also zukünftig Bring Your Own Device (Biblionetz:w02286) mit voller didaktischer Absicht und nicht nur aus Notwendigkeit? Aber ab welchem Alter haben Lernende die Kompetenz, das für sie tatsächlich geeignete Gerät zu wählen? Und wo setzt die Schule die Schranken nach unten und nach oben?

Lauter unbeantwortete Fragen! (Das sollte jetzt kein Werbeposting für einen nächsten Workshop sein, aber den braucht's bestimmt!)

Ich bin verunsichert. Und das macht auch Spass!


-- BeatRuedi - 02 Oct 2012

Nach meinen Beobachtungen (Beat Doebeli während Referaten, aber auch meinerselbst in der Schule) sind sowohl Referenten als auch Lehrer, welche mit den neuen Medien unterrichten, für viele andere auch Marktfahrer. In dem Sinne, als diese mit der "Salatraffel" virtuos umgehen können - und der gewöhnliche Anwender Zuhause konsterniert feststellen muss, dass die Rafflerei am Stand wohl einfach ausgesehen hat, nun aber ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint - oder so

-- BeatRuedi - 02 Oct 2012

Eine weitere und aus digitaler Sicht uralte Frage stellt sich wieder… als weiteres Workshopthema.. Welcher Lehrer, welche Lehrerin braucht es (noch?) für diese Schule mit wasauchimmer für Geräten? Langsam könnte man daraus nicht bloss einen Workshop sondern eine Tagung machen.. und bitte..'bring your own teacher' wink

-- MicheleNotari - 02 Oct 2012

Hmm, lieber BeatRuedi, das mit der Salatraffel mag durchaus zutreffen (unter anderem auch, weil ich neue Raffeln zuhause im stillen Kämmerlein zuerst teste und beübe, bevor ich sie auf der Bühne brauche), aber was hat das nun mit den Bildschirmgrössen zu tun?

-- BeatDoebeli - 02 Oct 2012

Könnte es sein, dass BeatRuedi meint, dass subjektiv immer der Weg zum Ziel am leichtesten scheint, den man selber am besten beherrscht? Lasst mich – da ich zumindest meinen grünen Salat selten raffle – auf Gemüse ausweichen: wenn ich seit 40 Jahren mit dem Kochmesser Gemüse klein schneide bringt es mich in ein grösseres, menschliches Dilemma, wenn mir ein Lehrer beibringen will, dass ich, wenn ich mit der Gemüseraffel nur 15 Jahre übe, sehr viel schneller wäre als mit dem Kochmesser. Selbst wenn er es mir direkt auf der Bühne vorführen kann.

-- RogerLeMarie - 02 Oct 2012

Eigentlich diskutierst Du ja gerade zwei Fragen, lieber Beat:
  1. Welches Gerät unterstützt Produktivität?
    1. 1 Korreliert die Tastaturgröße mit der Produktivität?
    2. 2 Korreliert die Displaygröße mit der Produktivität?
  2. Welches Gerät ist für Schulzwecke optimal?

zu 1.1: Auf jeden Fall! Ich werde nie mit einer Smartphone-Tastatur so schnell sein wie mit einer "normalen". Mit einer guten Computertastatur kann ich annähernd so schnell schreiben wie ich ausformuliere. Mit einer Zwei-Finger-Tastatur geht das nur, wenn ich dazu in erheblichem Maße die Autovervollständigung nutze. Das ist desto schwieriger, je fachlicher der Text ist, den ich schreibe. Außerdem ist es "cognitive load", wie Du schreibst, lenkt also vom eigentlichen Task ab.

zu 1.2: Ich habe gerade das Textfeld, in dem ich diesen Kommentar schreibe, größer gezogen; zum Glück ist das möglich! Für längere Zusammenhänge finde ich es ungemein angenehm, mehr als den Umfang eines Tweets gleichzeitig sehen zu können. Auf einem iPhone wird wesentlicher Raum durch die Tastatur blockiert. (Ja, man könnte eine Bluetooth-Tastatur nehmen, aber dann kann man m. E. auch gleich ein MacBookAir einpacken.)

Taskswitching hast Du oben schon ausgeführt: +1.

Zusätzlich genieße ich unter MacOS die Möglichkeit, Fenster verschiedener Programme nach Belieben zu layern. (Ich muss unter aktuellen Windows-Versionen mal wieder untersuchen, ob das da inzwischen geht.) Erschwerend kommt mobil hinzu, dass mehrere Tabs nicht gleichzeitig leicht switchbar offen sein können und auch nicht mehrere PDFs.

zu 2: Die Kürze der Texte und die meist geringe Schreibgeschwindigkeit auf herkömmlichen Tastaturen führen dazu, dass Smartphones und Tablets hier keinen Nachteil für Schüler/-innen der Sek I darstellen dürften.

Wenn man das Gerät nicht selbst programmieren darf, ist es für Informatik-Unterricht nutzlos. Damit ist ein wesentlicher Aspekt der Allgemeinbildung mit dem Gerät nicht vermittelbar, es disqualifiziert sich. (Nein, jedem/-r SuS einen Developer Account bei Apple zu stiften, damit er/sie iPhone bzw. iPad selbst programmieren kann, ist nicht ausreichend.)

Wieder einmal gilt der Grundsatz der "pädagogischen Ergonomie", nicht nur für Raumausstattungen in der Schule, sondern dito auch für persönliche Geräte: So wie Beat auf dem Foto deutlich macht, dass er eine Tastatur ausgewählt hat, die seine Handgelenke erhält, so müssen auch für Lehrsituationen zunächst die Anforderungen definiert werden, bevor ein Gerät ausgewählt wird: "iPad ist cool.", "Android Tablets sind cool und offen.", "Windows7 hat den größten Marktanteil." sind keine hilfreichen Argumente. Wenn man vorher weiß, was man mit den Geräten vorhat, kann man solche auswählen, die dazu passen.

-- TorstenOtto - 02 Oct 2012

Ob jemand mit der virtuellen Tastatur eines Smartphones so effizient schreiben kann wie ein anderer mit der realen Grosstastatur auf dem Schreibtisch mag auch viel mit Nutzungsgewohnheiten zu tun haben. Das kann man vielleicht mit dem Lesen und Bearbeiten (Anmerkungen, Korrekturen) von Texten entweder am Bildschirm oder im Ausdruck vergleichen; da gibt es Vorlieben, die vor allem aus Gewohnheiten entstehen (und natürlich aus der Ergonomie der Arbeitsumgebung).

Auch ich sehe gerne mehr von dem Text, an dem ich gerade schreibe, als nur die letzten 2 Zeilen, das hat aber wohl mit meiner persönlichen Mediennutzungsgeschichte zu tun, die zugleich typisch für meine Generation und Bildungsstufe sein dürfte. Entstehen neue Werkzeuge, so verändern sie die Fähigkeiten der Menschen, die sie nutzen. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass Menschen, die es gewohnt sind, nur die letzten 2 Zeilen ihres Textes zu sehen, den Rest des Textes stärker in ihrem Kurzzeitgedächtnis präsent haben.

-- LukaPeters - 04 Oct 2012

Wow, das würde ja der Digitalen-Demenz-These von Spitzer widersprechen und man müsste alle Schülerinnen und Schüler sofort mit möglichst kleinen Bildschirmen ausstatten, damit sie den Rest des Textes memorieren (was nach Spitzer ja fast gleichbedeutend mit Lernen ist wink )

-- BeatDoebeli - 04 Oct 2012

Spitzer sprach kürzlich vor der versammelten Lehrerschaft des Kantons Schaffhausen. Ich war nicht dabei, meine Frau schon. Ich habe in: http://beatrueedi.ch/dumm.htm#dumm darüber geschrieben.

-- BeatRuedi - 04 Oct 2012
 
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