Tagungsbände als Diskussionsräume?
Es begann 2006. Nach der GMW-Jahrestagung beschlich mich ein ungutes Gefühl. Mir schien, dass die GMW-Jahrestagung zwar über innovative Ansätze im eLearning sprach, sie aber selbst nicht lebte. Aus diesem Grund formulierte ich einige
Wünsche für die GMW 2007:
- Alle Paper vor der Konferenz in elektronischer Form
- Ich möchte mich auf die Konferenz vorbereiten können. Erhalte ich die Paper erst an der Konferenz, so fehlt mir dafür die Zeit.
- Ich möchte, dass die Präsentierenden nicht einfach ihr schriftliches Paper vorlesen, denn lesen kann ich selbst. Wissen die Referierenden, dass ich ihr Paper bereits kenne, werden sie hoffentlich ihre Präsentation anders gestalten.
- Virtuelle Konferenz-Plattform vor, während und nach der Konferenz (Wiki?)
- Ich möchte vor, während und nach der Konferenz zu den Präsentationen und Themen der Konferenz diskutieren und Fragen stellen können.
- Funknetzwerk im Konferenzbereich
- Ich möchte auch während der Konferenz das Internet als Werkzeug und Medium nutzen können, ohne in einen speziellen Raum gehen zu müssen.
- Nahe beieinanderliegende Konferenzräume
- Ich möchte dadurch das Gefühl einer Conferenz-Community erleben, statt alleine durch Gänge und Gebäude eilen zu müssen
- Ich möchte rasch zwischen den Parallelsessions hin- und her wechseln können
- Zentrale Coffee-Lounge mit bequemen Sitz- und Diskussionsmöglichkeiten
- Ich möchte zwischen und nach Präsentationen rasch einen Ort finden, wo ich mit anderen bequem diskutieren kann.
- Zeitliche Strukturen für Open Space, BoF-Sessions usw.
- Ich möchte mich austauschen können, statt nur passiver Konsument von vorbereiteten Konferenz-Konservern zu sein.
Funknetzwerke wurden stabiler, die Räumlichkeiten wurden besser, aber die Idee des Tagungsbandes vor der Tagung und eine Plattform zur Tagung blieben unerfüllt, so dass ich sie 2008
wiederholte:
Als es 2011 noch immer nicht geklappt hatte, startete ich während der Tagung eine
Unterschriftensammlung mit der Drohung, nicht mehr zur Tagung zu kommen, wenn der Tagungsband nicht vorher online verfügbar sein würde.
Es kamen immerhin 41 Unterschriften zusammen, zumeist von an der Tagung Anwesenden:
Das hatte einerseits zur Folge, dass ich in den Vorstand der GMW vorgeschlagen wurde, da man so kritische Stimmen ja
ruhigstellen einbinden sollte. Zum anderen führte das dazu, dass der Tagungsband 2012
während und 2013 bereits vier Wochen vor der Tagung online verfügbar gemacht wurde.
Ein PDF zum Download anbieten? Das kann doch 2013 nicht die Speerspitze des eLearnings sein, oder? Es müsste doch möglich sein, den Tagungsband auch zu kommentieren. Damit war das Ziel gesetzt, für 2014 den Tagungsband auch kommentierbar verfügbar zu machen.
Zusammen mit
Michael Hielscher (
Biblionetz:p07668) ist uns das auch gelungen. Unter
http://2014.gmw-online.de stehen seit August 2014 alle Tagungsbeiträge absatzweise kommentierbar zur Verfügung:
(Wer sich für die technischen Aspekte interessiert: Wordpress und Commentpress, ein Parser und ca. 2 Tage Handarbeit)
Die Website wurde zu unserer Freude genutzt. Bis zur Tagung ca. 5000 Views und etwa 110 Kommentare.
An der Tagung selbst haben wir nicht unseren
Tagungsbeitrag (
Biblionetz:t16954)
vorgelesen vorgestellt, sondern mit den Anwesenden über Erfahrungen und zukünftige Erwartungen diskutiert (siehe u.a.
http://edupad.ch/tagungsbaende).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Echo auf den Online-Tagungsband an der gesamten Tagung positiv war. Des öftern habe ich den Satz gehört:
"Auch wenn ich nicht selbst kommentiert habe, so habe ich die Möglichkeit doch sehr geschätzt. Ich werde mich bemühen, nächstes Jahr zu kommentieren." Damit ist auch schon klar, dass eine Fortsetzung des Experiments nächstes Jahr erwartet wird…
In unserer Veranstaltung kam auch der Vorschlag auf, den Tagungsband gar nicht mehr zur Tagung zu drucken, sondern den Autorinnen und Autoren die Möglichkeit zu bieten, nach der Tagung ihren Beitrag nochmals zu überarbeiten. Eine bedenkenswerte Idee.
Es gab und gibt aber auch die anderen Stimmen, die vor dem zusätzlichen Aufwand für Autorinnen und Autoren warnen. Auch die Frage, wer warum (nicht) kommentiert und ob anonymes Kommentieren daran etwas ändern würde, ist noch nicht systematisch durchgedacht oder gar untersucht.
Diese neue Kommentarmöglichkeit ist ein kitzekleines Beispiel der
überschüssigen Kommunikationsmöglichkeiten, von denen Dirk
Baecker (
Biblionetz:p00570) spricht:
Jedes neue Verbreitungsmedium konfrontiert die Gesellschaft mit neuen und überschüssigen Möglichkeiten der Kommunikation, für deren selektive Handhabung die bisherige Struktur und Kultur der Gesellschaft nicht ausreichen.
Quelle: Studien zur nächsten Gesellschaft (2007) (
Biblionetz:b04152)
Mit der technischen Möglichkeit, Tagungsbände online bereits vor (oder ohne?) Tagung zu kommentieren, stellt sich die Frage erneut, welche Rolle denn die Präsenztagung im digitalen Zeitalter noch hat. Wozu nehmen die Leute zum Teil weite Reisen in Kauf, um an einer Tagung präsent zu sein? Wie lassen sich die Potenziale des physischen Zusammentreffens in einer digitalisierten Welt maximal nutzen? Die technische Innovation ist Anlass, didaktische Fragen zu stellen (sorry für den abgehobenen blah…).
Nach der Tagung muss ich erstmal ein paar Tage im stillen Kämmerlein (Tagungsmotto, ich hör dich trapsen…) brüten. Aber die Geschichte ist hier sicher noch nicht zu Ende…
(Ach und übrigens lauten die aktuellen Buzzwords zu diesen Überlegungen
flipped classroom (
Biblionetz:w02336) und
social reading (
Biblionetz:w02366).
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