Social Software für die Mediothek!

Ich höre von einem interessanten Buch und gehe in die Mediothek, um es auszuleihen. Am Ausleihschalter erfahre ich, dass das Buch bereits ausgeliehen ist. Cool, ein potentieller Gesprächspartner! Ich frage, von wem denn das Buch derzeit ausgeliehen worden sei. Das dürfe man mir aus Datenschutzgründen nicht sagen…

Klar, verständlich, nicht jeder soll wissen, dass ich Mitte 2005 das Buch Führung Pädagogischer Hochschulen (Biblionetz:b02303) ausgeliehen habe. Man könnte ja sonst wer weiss was vermuten…

Schade ist aber, dass ich in der Mediothek nicht meine Einwilligung geben kann, dass meine Ausleihdaten öffentlich gemacht werden. Es wäre doch wunderbar, wenn ich beim browsen im Mediothekskatalog lesen könnte:

Dieses Buch wurde bereits ausgeliehen von
  • Paolo Trevisan (7/2004)
  • Sabine Amstad (12/2005)

Ich sehe die daraus entstehenden interessanten Gespräche schon vor mir…

Ich weiss gar nicht, welches schöne Buzzword ich jetzt an diese Idee pappen soll: Wissensmanagement ? Social Software (Biblionetz:w01734)? Förderung der Learning Community ? Oder gar Community Building ? Es würde doch innerhalb einer Organisation helfen, Interessen und Wissen zu vernetzen.

Und das Elegante daran: Ohne Zusatzaufwand. Ich müsste keine Skill-Card oder Knowledge Map mit meinen Interessen und meinem Know-how ausfüllen. Diese Informationen würden sich im Laufe der Zeit automatisch aus meinen Mediotheksausleihen ergeben.

Ich muss unbedingt ein Buzzword erfinden für dieses Prinzip der im Hintergrund gesammelten Informationen ohne Zusatzaufwand, aber mit Zusatznutzen…

Hallo Hersteller von Bibliothekssoftware: Wer implementiert dieses Feature?

Update 1:

Ich sehe zwei Möglichkeiten sowas einzuführen:
  1. Erweiterung des Mediotheksystems: Am schönsten wäre natürlich, wenn die Mediothekssoftware diese Funktion anbieten würde. In der näheren Zukunft nicht sehr realistisch, da Mediothekssysteme (insbesondere grosse) nicht sehr leicht dazu zu bewegen sind, neue Features einzubauen (zugegebenermassen mein Vorurteil)
  2. Zweite Social-Mediothekstation mit Barcodeleser zur Selbstdeklaration: Man stellt in der Mediothek einen Computer zur Selbstdeklaration auf. Ausleihende gehen dort vorbei und erfassen sich (mit Ausweis) und die ausgeliehenen Bücher selbst. Nachteil: Zusatzaufwand für Anwendende.

Update 2:

Jan Hodel (http://hodel-histnet.blogspot.com) meint:

P.S. Social Learning in der Mediothek: die Idee hat Potential, ich würde aber zunächst andere Funktionen als jene wählen, die Personen abbildet:
  1. Funktion "Personen, die dieses Buch ausgeliehen haben, haben auch folgende Bücher ausgeliehen": führt zu einer inhaltlichen Vernetzung, erleichtert die Recherche (verstärkt aber auch die ausgetrampelten Pfade).
  2. Funktion "Tagging", wo jeder Benutzer ausgeliehene oder bibliographierte Bücher mit eigenen Stichworten belegen kann, das gäbe wohl interessante "Wolken"... Vielleicht ist das zweite sogar aussagekräftiger als das erste - wer weiss.

Ich finde beide Vorschläge von Jan ebenfalls interessant. Meine Gedanken dazu:

  • Die "Amazon-Funktion" scheint mir so auf der Hand zu liegen, dass wir eigentlich gar nicht mehr darüber reden müssen. Amazon machts, Leute findens gut: Warum sollens Mediotheken nicht auch machen? Es ist ja exakt das Gleiche.
  • Tagging: Als Betreiber des Biblionetzes finde ich das natürlich cool. Aber es ist Zusatzaufwand. Warum sollen das die Leute machen, wenn sie nicht direkt einen Mehrwert für sich rausziehen können? Mein Vorschlag und die "Amazon-Funktion" haben den Vorteil, dass für die Nutzenden keinerlei Zusatzaufwand besteht. Es ist ein Mehrwert, der automatisch durch die Benutzung entsteht.

Das Besondere an meinem Vorschlag scheinen mir folgende Eigenschaften zu sein:
  • Es handelt sich nicht um eine anonyme, statistische Funktion. Es geht um Informationen zu einzelnen und realen Personen
  • Ich möchte damit die Kommunikation zwischen Personen mit ähnlichen Interessen fördern. Die "Amazon-Funktion" und Tagging-Systeme fördern Kommunikation nicht direkt. Ich bleibe alleine vor meinem Bildschirm, fälle aber evtl. die bessere Kommunikation. Bei meiner Idee bewegt mich die Vorstellung "Da sitzen in diesem Haus 3 Personen und lesen das gleiche Buch, wären an Austausch interessiert, wissen aber nicht voneinander."

Update 3:

Jan Hodel (http://hodel-histnet.blogspot.com) meint:

Das mit der Einfachheit und dem Anspruch, Kommunikation anzuregen, leuchtet mir ein, aber…
  • Vergleichbarkeit: Tagging wäre besser vergleichbar mit der "Amazon"-Technik als Strukturierungselement, da es eine inhaltliche Strukturierung ist. Der Aufwand ist zwar grösser, aber da wären eben auch unterschiedliche Herangehensweisen sichtbaz zu machen: In welchem Fachbereich findet "Tagging" mehr Resonanz? Das könnte man in einer Bibliothek sicher schön aufzeigen.
  • Datenschutz: Die einfache Lösung wäre ja nur mit einem globalen Ansatz zu haben. Das heisst: alle meine Bücher, die ich ausleihe, werde mit meinem Namen verknüpft. Das will ich aber vielleicht nicht: sei es, weil ich ein geheimes Projekt vorbereite, oder weil niemand wissen muss, dass ich eine Schwäche für Astrologie, Comics von Carl Barks oder Krimis von Donna Leon habe. Folglich werden viele von dieser Möglichkeit Abstand nehmen, auch wenn sie im Prinzip den Nutzen sehen. Wenn die Namensnennung aber differenziert wird, ist der Aufwand wieder gleich gross wie bei Tagging. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass beim Ausleihen der Bibliothekar, die Bibliothekarin fragt: "Möchten Sie diese Ausleihe mit Ihrem Namen verknüpfen?"
  • Einschränkung: Die automatische Lösung beschränkt sich auf die ausgeliehenen Bücher, aber viele interessante und sozial verwertbare Informationen fallen ja auch schon bei der Recherche und der Bibliografie an. Hier wären Suchlisten oder "Empfohlene Bücher" als gewählte Abbildung von individuellen Präferenzen vielleicht sinnvoller und aussagekräftiger. Diese bewusst gewählte "Selbstdarstellung" wäre vielleicht den Benutzerinnen und Benutzern eher schmackhaft zu machen. Ich sehe zwar den Einwand schon kommen: Interessant wären ja die "unbewussten" Überschneidungen. Doch Transparenz handhabt jede und jeder etwas unterschiedlich.
Kurzum: welche Bibliothek stellt sich zur Verfügung?

Update 4:
  • Vergleichbarkeit: Hihi, da sehen wir bereits unsere beiden unterschiedlichen Herangehensweisen. Ich will Werkzeuge bieten, die das (Zusammen-)Arbeiten verbessern können. Der Vergleich unterschiedlicher Herangehensweisen verschiedener Forschungsrichtungen ist für mich nicht primär. Das kommt dann, wenns in ersten Linie überhaupt funktioniert und genutzt wird.
  • Datenschutz: Die Kassierin an der Kasse fragt mich auch regelmässig "Haben Sie Supercumuluscard?" Warum sollte mich die Mediothek nicht fragen "Ist ihre Ausleihe geheim?" ?
  • Einschränkung:" Das Wesentliche an meinem Vorschlag scheint mir *der nicht entstehende Zusatzaufwand zu sein. Mit Aufwand kann ich alles machen. Die Praxis zeigt, dass es nicht gemacht wird. Spannend ist doch, was sich mit technischen Mitteln ohne Aufwand zusätzlich erreichen lässt.
    (Die Selbstdarstellung ist bei Amazon bereits möglich mit so genannten Lieblingslisten. Hast Du eine? Warum nicht?)

Update 5:
  • VincentTscherter hat bei der ETH-Bibliothek nachgefragt. Laut ETH-Bibliothek werden Ausleihdaten nach Rückgabe der Medien bis heute wieder gelöscht, so dass keine persönliche Ausleihhistory erstellt werden kann.

Update 6:

DanielaZurkinden. Leiterin Mediothek der Mediothek an der PH Solothurn - 17 Jan 2006:

Automatisches Speichern von Ausleihprofilen

Das automatische Speichern von persönlichen Ausleihprofilen wird aus Datenschutzgründen nicht gemacht, deshalb wird in Aleph 500 nach der Rückgabe der Dokumente die Verknüpung mit dem Benutzer gelöscht. Weder das Mediothekspersonal in Solothurn, noch die ETH-Bibliothek können garantieren, was Dritte mit frei zugänglichen, personifizierten Benutzerdaten anstellen. Plötzlich veröffentlicht jemand die Ausleihliste von Beat Döbeli in einem Zusammenhang, den dieser gar nicht möchte! Das ist eben der Unterschied zur Cumuluskarte von Beat Döbeli. Ich kann mich nicht schnell bei der Migros einloggen und nachprüfen ob Beat Döbeli die Budget-Milch im 2-Liter-Pack kauft, und das dann für gut oder schlecht befinden.

Unpersönliche Ausleihhistory

Eine unpersönliche Ausleihhistory kann ich mir in der vorgeschlagenen Art "Personen, die dieses Buch ausgeliehen haben, haben auch folgende Bücher ausgeliehen" auch nicht vorstellen. Denn damit wird nicht zwingend eine thematische Liste erstellt. Wenn der Sinn der Ausleihhistory eine inhaltliche Vernetzung ist, dann wird dies so nicht erreicht.

Unpersönliche thematische Ausleihhistory

Um eine inhaltiche Vernetzung zu erreichen, müsste es dann schon heissen "Personen die diesen Tietel ausgeliehen haben, haben zum gleichen Thema auch folgende Titel ausgeliehen". Das Ergeniss erinnert mich aber stark an eine Suche über den Schlagwortkatalog. Um einen zusätzlichen Nutzen zu erreichen, müsste es möglich sein, Bewertungen über die einzelnen Titel zu machen. Über die technischen Möglichkeiten bin ich nicht im Bilde, aber beim Verbund könnte man das ja anregen.

(Den Abschnitt über die Selbständige Ausleihe habe ich wieder rausgenommen, weil er auf einem Missverständnis beruht. Dies soll keine Zensur sein, er ist selbstverständlich in der History nachzulesen.)


 
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