Wie soll die Schule auf den Leitmedienwechsel reagieren?
Ich versuche grad meine Gedanken zu ordnen bei der Frage, wie die Schule auf den
Leitmedienwechsel reagieren soll. Derzeit kann ich folgende Haltungen unterscheiden (ja, ich bin ein Kästchendenker):
Versuch einer Legende:
- Trifft zu
- Trifft nicht zu
- Kategorie trifft nicht zu
- Der Idee nach…
Was mich eben grad fasziniert, ist die Tatsache, dass man aus sehr unterschiedlichen Überzeugungen für oder gegen ein eigenes Fach Medienbildung sein kann.
work in progress...
Kommentare
Hallo Beat,
im Bereich ökonomischer Bildung werden seit gut zehn Jahren sehr ähnliche Fragen diskutiert. Da kommen die meisten Didaktiker zu dem Schluss, dass man Stufenkonzepte braucht, die zu Beginn (instruktionsorientiert) Grundlagen der ökonomischen Bildung in der Schule vermitteln und später eine offene Beschäftigung mit komplexen Fragestellungen der Ökonomie, z. B. in Projektarbeit, erlauben (Stichwort: Handlungsorientierung). Letzteres kann auch auf freiwilliger Basis und an der Schnittstelle zum nicht-formalen Lernen geschehen. Ich sehe da durchaus Parallelen zur Diskussion um die Integration von Medienbildung in die Schule, denn beide Themenbereiche haben ein Problem: Sie sind thematisch in der Schule präsent, aber durch ihre Integration in verwandte Fächer (Medien in Informatik und Deutsch, Ökonomie in Politik und Mathematik etc.) fehlt ihnen das jeweils "Eigene". Herausfordernd bei beiden Themen (und man könnte noch andere dazu nehmen): Gesellschaftlich-technologische Entwicklungen rücken sie mehr und schneller in den Fokus, als ein Curriculum darauf reagieren kann, sodass passende Bildungsangebote immer kurzfristiger gesucht werden und man ständig in Übergangssituationen steckt.
Liebe Grüße,
Sandra
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SandraHofhues - 31 Mar 2011
Hallo Beat, hallo Sandra
Interessante Fragestellung habt ihr da. Am besten gefällt mir die letzte Alternative
… im Ernst: Ich glaube, es gibt keine "richtige" Lösung für das Problem, da es vielfältige Ebenen zu betrachten gibt: Inhalte, Kompetenzen, Ausstattung, usw. Konsequenter Leitmedienwechsel setzt m.E. nach weniger auf Inhalte, sondern auf veränderte Nutzungen von Medien. Und diese müssen dann logischerweise überall, also formal und informell betrachtet werden - und da kann man vielleicht wirklich das Thema nicht in Kästchen abarbeiten
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MandySchiefner - 31 Mar 2011
Ich weiß nicht, ob wir jemals bei Stufe 5 ankommen, aber so Stelle ich mir Lernen generell vor. Ein offener Raum und zu Beginn steht "Was machen wir heute?".
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AlexanderTscheulin - 01 Apr 2011
Eine sehr schöne Übersicht und tolle Diskussionsvorlage, finde ich. Und was mir besonders gefällt, ist, dass Du fragst: "Wie muss Schule auf den Leitmedienwechsel reagieren" und nicht: "Wie kommt der LMW (oder wahlweise die Neuen Medien oder die Medienbildung) in die Schule?", wie sonst fast immer gefragt wird. Denn nur mit Deiner Frage besteht wenigstens die Möglichkeit, von einem zu engen Medienverständnis (M = die Geräte, die Software und der Umgang damit) und einem engen Pädagogikverständnis ( P = Schule/Lehrer/Schüler) wegzukommen zu einer Sicht, die dem Charakter des neuen Leitmediums gerecht werden kann.
Ganz schnell möchte ich natürlich Alex T. Recht geben: Option 5 ist es!
Aber ich möchte gerne noch ein anderes 5 vorschlagen, denn: Das Gegenteil von einem Fehler (die Schule als historische Form des Bildungssystems weiterzuführen) ist auch ein Fehler (kein Bildungssystem). Oder: Wer bei der 1. Negation stehen bleibt, der bleibt abhängig von dem, was er negiert.
Es geht mir viel zu schnell, wenn gelten solle: "Schule weg, heute nur noch informelles Lernen". Natürlich brauchen wir organisiertes Lernen! Und es ist überhaupt noch nicht raus, in welchem Verhältnis wir informelles und formelles Lernen brauchen! Aber wenn wir AUCH formelles (und systematisches Lernen) brauchen, dann heißt das noch lange nicht, dass wir es in der historischen Form der Schule brauchen.
"Schule" als konkret historische Form eines Bildungssystems mit entsprechenden Kopplungen an Wissensform, Lernformen und Denkform(!) der Industriegesellschaft muss ja nicht die historisch einzige Form von organisierter Bildung bleiben. Welche Form sie stattdessen annehmen muss (und diese wird eher emergieren als geplant werden) das ist ja auch leider nicht eine Sache der "Auswahl" aus dieser Tabelle von einzelnen freundlichen Menschen. Denn als nächstes ist zu fragen: WER denn wählt? Und: Hat derjenige, der zu wählen hat, denn eine Ahnung von dem, was er zu wählen hat? M.a.W.: "Weiß" das System Schule denn überhaupt vom #leitmedienwechsel? Und wenn ja, wie konzeptualisiert es ihn? Und welche Aufgaben leitet es davon ab?
Für mich gibt es eine Antwort auf Deine Frage, Beat:
Das Bildungssystem muss ein reflexiv lernendes soziales System werden. Es muss sich selbst radikal erneuern unter den Bedingungen des #Leitmedienwechsels. Es muss herausfinden, wohin es sich verändern muss (Vision) und dann den Übergang dorthin entwerfen (mit all seinen strategischen Implikationen) und gestalten. Einige Eckpunkte sind schon bekannt, die das rekonstruierte Bildungssystem enthalten muss, denn sie korrelieren mit dem, was das neue LM mit dem Leben AUSSERHALB seines Einflussbereichs schon längst gemacht hat Man findet das z.B. benannt bei David Wiley:
- vom Analogen zum Digitalen
- vom Angebundensein zur Mobilität
- von der Isolation zum Verbundensein
- vom Allgemeinen zum Persönlichen
- vom Konsumieren zum Produzieren
- von Geschlossenheit zu Offenheit
Und zunächst muss man es auch auf dieser Abstraktionsstufe ins Auge fassen, denn bei aller Liebe zur Konkretheit: Zu früh konkretisiert, zu früh operationalisiert, verpasst man fast immer die konkreten Optionen, die im Falle eines echten #shift #change #paradigmenwechsel ja außerhalb des Bekannten liegen. Du weißt das von Thomas Kuhns Beschreibung des paradigm shift !
(Meine Kritik betrifft nicht Deine sehr nützliche Tabelle! Sie betrifft nur Nr. 5. Aber auf Nr. 5 kommt es an.)
Ich bin jedoch bei aller Liebe zur Abstraktion von einer Sache schon jetzt überzeugt: Wenn das Bildungssystem nicht lernt, damit aufzuhören, das Outcome von Lernprozessen kontrollieren (steuern) zu wollen, dann kann es nicht adäquat auf den #leitmedienwechsel reagieren. Aber wenn es beginnt, damit aufzuhören, dann kann es die Zukunft gewinnen.
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LisaRosa - 01 Apr 2011
Lisa schrob:
> "Weiß" das System Schule denn überhaupt vom #leitmedienwechsel?
> Und wenn ja, wie konzeptualisiert es ihn? Und welche Aufgaben leitet es davon ab?
Ich möchte ergänzen:
Woher weiß das System Schule davon, bzw. unter welchen Vorzeichen
erfährt es den Leitmedienwechsel?
Ich fürchte: von außen, als Getriebene.
Vielleicht nur als Leitmedienwechsel mit reduziertem Medienbegriff? Die Verlage digitalisieren ihre Materialien und dann lernen die Kinder eben mit digitalem Vokabeltrainer.
Oder als Geräte-zentriert? Die Partei xy verspricht im Landtagswahlkampf in Niedersachsen 2012, dass alle Schüler ein tablet bekommen und die Schulen "moderner" oder gar "zeitgemäß" werden?
(Selbst für das Fall, dass so ein #verkrüppelterleitmedienwechsel von außen über die Schulen kommt, hätte ich noch Hoffnung, dass die Geräte als Trojaner die Veränderung der Lernkultur anstiften.)
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JoeranM - 01 Apr 2011
Ergänzend zu @LisaRosas Kommentar:
[Das Bildungssystem]
muss herausfinden, wohin es sich verändern muss (Vision) und dann den Übergang dorthin entwerfen (mit all seinen strategischen Implikationen) und gestalten."
Ich würde hier noch eine Kleinigkeit zwischenschieben wollen:
Das Bildungssystem muss zuallererst anerkennen, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen geschehen, die die Legitimation von Schule in der historischen Form fraglich werden lassen. Wenn dieser Prozess eingetreten ist und Unsicherheit als Daseinszustand angenommen worden ist (!), kann man versuchen, sich einer
Vision hinzugeben und diese dann zu
gestalten.
Ich bezweifle, ob wir heute überhaupt in der Lage sind abschätzen zu können, welche Brüche und Konfliktlinien durch den Leitmedienwechsel noch auf uns zukommen werden. Es ist daher problematisch, eine Vision zu entwerfen, wenn man glaubt, dass aus der Vision Handlungsrichtlinien erwachsen könnten. Man braucht eine Vision, wissend, dass sie nur eine Platzhalter ist für eine Vision, die noch nicht gedacht ist.
Im Grunde ist das der Fall der Pferdekutscher, die sich über die Einführung des Automobils freuen, da sie dann mehr Pferde züchten können, weil sie glauben, ständig Autos aus den Gräben herauzuziehen zu müssen (
http://shiftingschool.wordpress.com/2011/03/31/der-kongress-der-pferdekutscher/).
@Jöran: Mir wäre ein iPad als Trojaner allemal lieber als eine Kreidetafel. Erstmal, um überhaupt und so…
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FelixSchaumburg - 01 Apr 2011
Lieber Felix, jetzt wird es philosophisch ;-). ohne Visionen (und zwar nicht bloß als Platzhalter, sondern immer wieder neu als "echt" gefühlt), geht gar nichts.
Die Menschen, die in anderen arabischen Ländern für ein besseres Leben kämpfen, sie könnten es nicht ohne eine Vision, einen geistigen Entwurf, in dem etwas grundlegendes enthalten ist, was allen diesen historischen Visionen (utopien) eigen war und ist. Allgemein hat sie immer zu tun mit Autonomie und Verbundenheit. Und in Alex T. Vision von einem guten Platz zum Lernen ist sie enthalten:
"Ein offener Raum, und zu Beginn steht "Was machen wir heute?""
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LisaRosa - 01 Apr 2011
Selbst der (emeritierte) Erziehungswissenschaftler Ulrich Herrmann beschreibt ihn, obwohl er das Wort Leitmedienwechsel gar nicht in den Mund nimmt:
http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/-/id=7466574/property=download/nid=660374/j7cnyt/swr2-wissen-20110220.pdf
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JoWe - 05 Apr 2011
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