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Wenn die Schulbuchverlage zur Schnüffelsoftware greifen

Angestossen durch einen Bericht bei netzpolitik.org unter dem Titel Der Schultrojaner - Eine neue Innovation der Verlage stehen die deutschen Lehrmittelverlage derzeit heftig in der Kritik.

Worum geht es? Die 16 deutschen Bundesländer haben im Dezember 2010 einen Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG (PDF-Dokument) der Schulbuchverlage und Verwertungsgesellschaften unterschrieben, der seit Januar 2011 in Kraft ist. Dieser Vertrag regelt, welche urheberrechtlich geschützten Werke die Schulen zu welchen Konditionen vervielfältigen dürfen ("maximal 12% eines Werkes, jedoch nicht mehr als 20 Seiten").

Soweit, so gut. Für Unmut sorgt nun aber §6, Absatz 4:

Die Verlage stellen den Schulaufwandsträgern sowie den kommunalen und privaten Schulträgern auf eigene Kosten eine Plagiatssoftware zur Verfügung, mit welcher digitale Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identifiziert werden können. Die Länder wirken - die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software vorausgesetzt - darauf hin, dass jährlich mindestens 1 % der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz dieser Plagiatssoftware auf das Vorhandensein solcher Digitalisate prüfen lässt. Der Modus der Auswahl der Schulen erfolgt - aufgeschlüsselt nach Ländern und Schularten - in Absprache mit den Verlagen auf Basis eines anerkannten statistischen Verfahrens. Die Überprüfungen erfolgen ab Bereitstellung der Software, frühestens jedoch im 2. Schulhalbjahr 2011/2012.

Zusammengefasst verpflichten sich die Bundesländer somit, einen Raubkopienscanner der Verlage auf 1% der Schulserver einzusetzen.

netzpolitik.org fragt sich nun, ob das datenschutzrechtlich, arbeitsrechtlich und beamtenrechtlich unbedenklich sei und ob sich die Bundesländer angesichts der aktuellen Bundestrojanerdiskussion bewusst seien, welche Büchse der Pandora sie da öffnen:

Also nochmal zusammengefasst:

Unsere Kultusminister schließen einen Rahmenvertrag mit Rechteinhabern und erlauben diesen im Gegenzug, einen Schultrojaner auf unsere Schulen loszulassen, und ggf. Lehrer für unberechtigte Kopien zu sanktionieren. Es klingt wie eine Schnapsidee, wobei es äußerst fragwürdig ist, ob das überhaupt rechtlich durchführbar ist. Hat das eigentlich mal jemand vor Vertragsabschluß durchdacht? Erschütternd ist, dass unsere Kultusministerien sowas überhaupt verhandelt und dann durch den bayrischen Kultusminister unterschrieben haben. Noch ist Zeit, den Einsatz dieser Schnüffelsoftware zu verhindern.

Das Blogposting von netzpoltik.org hat erste Massenmedien auf die Geschichte aufmerksam gemacht ((taz, bild.de, spiegel.de, zeit.de, heise.de), was dann wiederum den Verband der Schulbuchverlage und Hersteller von Bildungsmedien zu einer Stellungsnahme gebracht hat. Darin versucht der Verband, den kommunikativen Schaden einzugrenzen, indem er darauf hinweist, dass die Plagiatsüberprüfung weder heimlich geschehe (der Begriff Schultrojaner somit nicht angebracht sei), noch private E-Mails von Lehrern gescannt würden und sowieso gemäss Vertrag alles datenschutzgesetzkonform von den Bundesländern umgesetzt werde.

Die Diskussion zieht unterdessen weitere Kreise. So weist Rainer Kuhlen (Biblionetz:p00412) in seinem Blogposting Nicht nur "Schnüffelsoftware", sondern im Gesamtvertrag über den Tisch gezogen: Schulen sollen analog bleiben darauf hin, dass die Bundesländer auf dem besten Weg seien, der Schule und damit der Jugend den Weg in die digitale Zukunft zu verbauen. In einer gemeinsamen Broschüre von Kultusministerien und Verband der Schulbuchverlage und Hersteller von Bildungsmedien steht nämlich

Zulässig sind nur analoge Kopien. Die digitale Speicherung und ein digitales Verteilen von Kopien (z.B. per E-Mail) ist schon von Gesetzes wegen nicht gestattet und wird von der neuen vertraglichen Regelung ebenfalls nicht erfasst.

Rainer Kuhlen fragt sich darum:

Warum nutzen die Länder ihre große Macht gegenüber den Verlagen und Verwertungsgesellschaften nicht aus, um brauchbare Lösungen auszuhandeln oder um unbrauchbare Lösungen zu verhindern? Vertragsregelungen gehen ja über die Schrankenregelungen. Warum hat man nicht als Minimum ausgehandelt, dass die Lehrer sehr wohl im Sinne der obigen Frage scannen dürfen, wenn sie das Resultat dann brav als Papierkopie verteilen? Das ist natürlich heute 2011 schon absurd wenig genug.

Wie sollen Schulen und SchülerInnen für das digitale Zeitalter fit gemacht werden, wenn den Schulen nicht erlaubt ist, den Schülern einer Klasse auch elektronische Materialien zugänglich zu machen? Warum haben die Länder nicht gleich die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, um die vollkommen unrealistische Regelung in § 52a UrhG, der ja das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, auch für Schulen, regelt, gleich mit in die vertragliche Vereinbarung mit einzubeziehen.

Herr Larbig schreibt einen offenen Brief an die Schulbuchverlage. Da meint er unter anderem:

Das Problem ist, dass Sie Vereinbarungen treffen, die Lehrern und Schulen mindestens generell unterstellen, diese bräuchten die Präsenz einer solcher Kontrollsoftware, um davon abgehalten zu werden, womöglich rechtswidrige digitale Kopien anzufertigen. Weniger nett gedacht, stellen Sie die gesamte Lehrerschaft und alle Schulen unter Generalverdacht - und das völlig verdachtsunabhängig.

[...]

Wenn mir jemand misstraut, dann begegne ich ihm mit Misstrauen.

Früher habe ich vielleicht die Preise von Schulbüchern als teuer empfunden, ärgerte ich mich über schlechte Unterrichtseinheiten in Schulbüchern, nervten mich veraltete Unterrichtsmedien. Ich hoffte darauf, dass Schulbuchverlage endlich stärker im digitalen Informationszeitalter ankommen würden, hätte aber nicht damit gerechnet, dass einer der frühen Schritte der Bildungsmedienanbieter der Gernalverdacht in Sachen Urheberrechtsverletzungen digitaler Art gegenüber Lehrern und Schulen wäre.

Ich hätte eher gedacht, dass Schulbuchverlage auftreten und uns vorführen, wie toll das Arbeiten mit Computern ist, wie wunderbar digitale Unterrichtsmedien genutzt werden können, wie innovativ die damit möglich werdenden Unterrichtskonzepte sein können. Aber nein, sie scheinen digitalen Welten nicht viel zuzutrauen, außer dass sie zur Anfertigung von digitalen Kopien Ihrer analogen Medien genutzt werden könnten.

Eine solche Einstellung verhindert Innovation. Einen solche Einstellung verschreckt gerade die Lehrer, die bereits hochgradig vernetzt arbeiten und eigentlich für Sie als Zielgruppe und Multiplikatoren wichtig wären.

Nun haben Sie erreicht, dass gerade diese Lehrkräfte auf (noch größere) Distanz zu den Schulbuchverlagen gehen, ja, teilweise nicht einmal mehr der Meinung sind, dass ein Kommunikationsprozess sinnvoll sein könnte, weil die Schulbuchverlage alleine den Gesetzen der Ökonomie folgten. Sie haben mit dieser Regelung sehr viel Porzellan zerschlagen.

Tja, was ist dem noch hinzuzufügen? Ich kann nur hoffen, dass wir Schweizer Lehrmittelverlage von solchen Schritten abhalten können…

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Kategorien: IsaBlog, IsaSchulICT

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