Während in vielen Blogs die Trends von 2010 aufgezählt werden und man in der Schweiz beginnt Educational Trends zu spotten, werfe ich leicht seufzend einen Blick in die Vergangenheit.
Im Jahr 1989 wurden als fünf wichtigste Hindernisse beim Einsatz von Computern in Schweizer Schulen (Biblionetz:f00134) genannt:
Die verfügbare Hard- und Software ist in zahlreichen Fällen bereits veraltet
Es fehlt an Zeit, um Lektionen zu entwickeln und auszuprobieren
Es gibt nicht genügend Geräte
Es fehlt an unterrichtsbezogenen Programmen. Zudem sind die Handbücher oft schwer verständlich.
Lehrerwissen für den Einsatz des Computers fehlt.
Quelle: Niederer, Frey (1990). Informatik und Computernutzung im schweizerischen Bildungswesen. Biblionetz:b01015
Im Jahr 2007 werden schwer lesbare Handbücher nicht mehr als Hindernis genannt. Schliesslich gibt es auch keine Handbücher mehr. Stattdessen werden folgende vier Hindernisse von mehr als der Hälfte der ICT-Verantwortlichen genannt:
70,5% sehen ein Hindernis bei mangelnden Kenntnissen und Fertigkeiten der Lehrpersonen für den Einsatz von Computern im Unterricht
63,8% bezeichnen die ungenügende Anzahl Computer für Lernende als Hindernis
59,3% sehen ein Problem beim Zeitmangel der Lehrpersonen zur Vorbereitung von Lektionen, in denen Computer eingesetzt werden oder zur Erkundung von Anwendungsmöglichkeiten für das Internet
57,5% sehen bei der Motivation der Lehrkräfte hinsichtlich des Einsatzes von Computern ein Problem.
Quelle: Barras, Petko (2007) Computer und Internet in Schweizer Schulen. Biblionetz:t07810
Ausser dem Motivationsmangel hatten wir alles vor 20 Jahren schon! Verkürzt formuliert haben wir 20 Jahre später zwar keine veralteten Geräte mehr und auch genügend Unterrichtssoftware, dafür unmotivierte Lehrpersonen.
Muss uns dieser Vergleich nicht zu denken geben?
30 November 2009
| Beat Döbeli Honegger
|Schul-ICT
Es ist Ende November und es weihnachtet bereits sehr. Die Samichläuse zogen gestern durch die Innenstadt von Zürich, alles ist schon weihnachtlich dekoriert und hier in Goldau leigt bereits eine Schneedecke.
Regelmässig wie Weihnachten erscheinen auch die die KIM- und die JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsdienstes Südwest, der seit Jahren die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen erfragt und dokumentiert. Dieser Tage war es wieder einmal so weit: Die JIM 2009 (Biblionetz:b03797) wurde publiziert. Nun werden die Zahlen im ganzen Wald - äh in der ganzen Blogosphäre - kommentiert und diskutiert werden, ein fröhliches KIMmeln und JIMmeln wird einsetzen. Ich mache mal den Anfang und verweise auf die Zahlen zur Handynutzung von Jugendlichen:
89% der Mobiltelefone von deutschen Jugendlichen verfügen über eine Kamera
79% der Mobiltelefone von deutschen Jugendlichen ermöglichen die Nutzung des Internets
74% der Mobiltelefone von deutschen Jugendlichen lassen sich als MP3-Player nutzen.
Altbekannter Refrain:JIMmel-Bells, JIMmel-Bells Mobiltelefone sind nicht mehr nur zum Telefonieren da, sondern eignen sich noch für ganz andere Sachen... JIMmel-Bells, JIMmel-BellsWeitere Strophen direkt im Liederbuch ...
Tja, und was schliessen wir daraus? Etwa:
Das Laptopprojekt in Frankreich wäre nicht gescheitert, wenn die Schülerinnen und Schüler zuhause geblieben wären mit ihren Latops?Nein so einfach ist es eben nicht. Und es ist auch nicht so einfach wie in den beiden Medienmitteilungen. Wie immer ist es in Wirklichkeit komplizierter. Netterweise wurden im Falle des Artikels in der New York Times erste Analysen bereits von Jochen Robes, Michael Kerres und Gabi Reinmann vorgenommen, so dass ich es bleiben lassen kann.
Zur Heise-Meldung habe ich bisher keine kritische Rückfragen gesehen, doch auch dort müsste man tiefer in die Materie eindringen, um sich ein fundiertes Urteil bilden zu können. Ich habe mir mal die 116seitige Präsentation angeschaut und war bereits versucht, daraus Schlüsse zu ziehen, bis ich merkte, dass auch diese Informationen nicht reichen. Zu wenig weiss ich über die Rahmenbedingungen dieser Schulen, zuwenig über die tatsächlich gestellten Fragen und die gewählten Auswertungsmethoden, als dass ich wirklich etwas daraus schliessen könnte.
Hier die zugrunde liegenden Dokumente dieser Medienmeldungen:
Vor etwa zwei Monaten hatte ich im Posting zu SixthSense bereits auf alternative User-Interfaces (Biblionetz:w00579) hingewiesen und mich darin bestätigt gefühlt, dass noch für einige Zeit Innovationen im ICT-Bereich zu erwarten sind.
Manchmal muss man in die Ferne reisen, um das Nahe zu sehen. So ist es mir letzten Monat in Rhodos (siehe hier und hier) ergangen, wo ich an der CSCL 09 endlich mal das Projekt DUAL-T - Touching Abstraction des EPFL-Teams (ETH Lausanne) um Pierre Dillenbourg (Biblionetz:p01285) und Patrick Jermann (Biblionetz:p03130) live sehen konnte.
Ausgehend von der Problemstellung, Logistik-Lernenden die abstrakten Konzepte der Lagerplanung- und Bewirtschaftung besser erklären und erfahrbar machen zu können, entwickelten die Lausanner Wissenschafter eine tangible Simulationsumgebung, bei welcher der traditionelle Computer vollständig verschwindet:
Die Logistiklehrlinge bauen auf einem Tisch mit vorgefertigten Kartongestellen ein Hochregallager. Eine Kamera erfasst laufend die Standort der Modellgestelle und projiziert per Beamer dynamische Informationen sowie Lagersimulationen auf die Gestelle und die Tischfläche. So sehen die Lehrlinge z.B. sofort, wie die Lage der Gestelle die notwendigen Wege der Gabelstapler verlängert oder verkürzt. Cool! Diese Lernumgebung ist echt enaktiv (Biblionetz:w01996) und nicht "nur" virtuell enaktiv (Biblionetz:w01995), obwohl dahinter natürlich massiv Computertechnologie steckt!
So stelle ich mir das Paradigma des disappearing computers in der Bildung vor!
In einer ersten Fassung mussten übrigens die Parameter der Simulation noch am Computer eingestellt werden, bis die Entwickler auf die Idee kamen, auch die Parametereingabe zu vereinfachen: Nun ist es möglich, alle Parameter der Lernumgebung mit Hilfe von A6-Papierkarten zu steuern, die man ins Blickfeld der Kamera legt. Dank 2D-Barcode (Biblionetz:w02048) erkennt der Computer, um welches User-Interface es sich handelt und wie das Blatt (auch schräg!) auf dem Tisch liegt. Mit Hilfe von schwarzen Punkten (z.B. Magneten) können nun Optionen an-/abgewählt oder mittels Slider verändert werden.
Was mit Input möglich ist, geht natürlich auch mit dem Output: So lässt sich nun ein A6-Blatt mit dem Titel Lagerbestand Erdbeeren irgendwo auf dem Tisch hinlegen und - schwupp - zeigt sich auf dem Blatt die Fieberkurve des Ergbeerenbestands! So kann in Kleingruppen rund um den Tisch gearbeitet werden, ohne dass der Computer im Weg steht.
(Mehr Videos zum Projekt hier)
Zurück in der Schweiz hatte ich die Gelegenheit, wieder mal Kai Jauslin zu treffen, der nach seinem Informatikstudium an der ETH Zürich nun auch noch einen Bachelor in Interaction Design an der ZHDK abgeschlossen hat. In seiner Abschlussarbeit gesturespace hat er eine berührungslose Gesture-Steuerung entwickelt, mit der sich z.B. in 3D-Welten navigieren lässt. Auch hier dokumentiert ein Video das Ergebnis wohl am besten:
(Auch zu diesem Projekt gibt es weitere Infos)
Nachdem ich das gesehen habe, kann ich mir nun deutlich das folgende Ziel für die nächsten zehn Jahre auf die Fahnen schreiben:
Ich will, dass der Computer aus den Schulzimmern verschwindet!
(oder zumindest aus dem Fokus der Aufmerksamkeit...)
,
Erstaunlicherweise hat niemand auf meine Frage vor sechs Wochen reagiert, ob Thin Clients nun primarschultauglich seien. Doch die Werbeoffensive seitens der Thin-Client-Hersteller rollt weiter. Seit etwa einem halben Jahr ist ein neues Argument dazu gekommen:
Mit Thin Clients lässt sich Energie sparen.
An und für sich eine sympathische Aussage, die erst noch zwei Zielgruppen anspricht: Einerseits die Umweltschonenwollenden, andererseits auch die Ökonomisch Denkenden, denn Energie heisst auch Energiekosten.
Vor kurzem ist mir die Broschüre Energieeffizienter IT-Einsatz an Schulen (Biblionetz:t09782), herausgegeben von proKlima GmbH, in die Hände gefallen. Die Broschüre, das verrät bereits der Untertitel, sieht hier vor allem eine Lösung: Thin Clients und Kompaktcomputer als neue Optionen
Das scheint mir nun etwas gar einseitig zu sein. Selbstverständlich kann man mit Thin Clients im Vergleich zu traditionellen Desktops Energie sparen, doch das geht auch mit Notebooks, Netbooks, Handhelds oder Smartphones. Davon steht jedoch kein Wort in der Broschüre.
Was jedoch u.a. auch in der Broschüre steht, ist Wasser auf meine Mühlen:
Als Thin Clients fanden ebenfalls nicht
die einfachsten Geräte Verwendung. Die Schule
installierte Thin Clients, die mit 1GHz-Prozessoren
über eigene Rechenleistung verfügen. Erforderlich
war dies, da in der Grundschulsoftware viele animierte Flash-Anwendungen integriert sind, die die
Rechenleistung deutlich fordern. Aus dem Grunde hoher Leistung verblieben auch drei konventio-
nelle Computer im Computerraum. Diese sind für
Multimedia-AGs der Hauptschule vorgesehen, deren Anforderungen das Server-Thin-Client-System
überfordern würden.