Memorandum zur fehlenden Informatikausbildung

Der Branchendachverband ICTswitzerland hat kürzlich ein Memorandum zur fehlenden Informatikausbildung an unseren Schulen PDF-Dokument (Biblionetz:t13713) veröffentlicht:

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Gewisse Dinge hätte ich persönlich etwas anders formuliert, aber von der Stossrichtung her bin ich selbstverständlich einverstanden. Da das Dokument auf der Website von ICTswitzerland nicht grad offensichtlich (und nur als PDF) zu finden ist und das Medienecho (nicht weiter erstaunlicherweise) bisher ausblieb, hier eine Web-Version:

Die Unterzeichnenden aus Informatikindustrie, aus beiden technischen Hochschulen ETH Zürich und EPF Lausanne und aus den kantonalen Universitäten beobachten mit Interesse die Vorstösse für und die Diskussionen über die verschiedenen Schulreformen (Lehrplan 21, Plan d’études romand, Harmos, Gymnasium). Sie stellen dabei fest, dass der Informatik der ihr gebührende Platz als Leitwissenschaft nicht zugewiesen wird.

Die Industriegesellschaft des 21. Jahrhunderts ist sich immer noch einig, dass Grundlagenfächer wie Mathematik, Physik und Chemie zur obligatorischen Schulbildung gehören: Keine Hochtechnologie ohne Mathematik, keine Ingenieurwissenschaft ohne Physik, keine Naturwissenschaft/Medizin ohne Chemie. Informatik wird aber von vielen nur mit Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT), d.h. mit den täglichen Informatikanwendungen wie Internet, Schreiben, Tabellenkalkulation, Präsentationsgrafik, digitaler Telefonie und Fotografie gleichgesetzt. In unserer modernen Welt geht aber gar nichts mehr ohne Informatik - trotzdem wird in Schweizer Schulen Informatik nicht als Grundlagenfach anerkannt.

Die Notwendigkeit, Konzepte und Methoden der Informatik in der Schule zu vermitteln, wird immer mehr erkannt. So fordern dies GI und BITCOM in Deutschland und ICTswitzerland hat dazu ein Positionspapier publiziert. In USA wurde am 30. Juli 2010 im Kongress die Computer Science Education Act verabschiedet. Nicht nur das kurzlebige Wissen über den Umgang mit Computern, sondern auch die langlebigen Kenntnisse der Informatikgrundlagen und das von Jeannette Wing, Carnegie-Mellon-Universität, geforderte "Computational Thinking" werden als wichtiger Teil der allgemeinen Bildung betrachtet. Nach Osteuropa und Russland sehen auch USA, China, Südkorea und weitere Länder ein, dass die Kernkompetenzen ohne schulische Informatikausbildung nicht erreichbar sind.

Sei es die Fähigkeit, mittels Programmen mit Maschinen zu kommunizieren und sie zu steuern, sei es das algorithmische Denken für die konstruktive Suche nach der Lösung eines Problems, sei es der modulare Entwurf als grundlegende Vorgehensweise in technischen Disziplinen, alle diese erstrebenswerten Bildungsziele können mit einem guten Informatikunterricht schon von der Primarschulstufe an erreicht werden. Wenn unter Informatik nur die Fähigkeit, mit Computern umzugehen (z.B. ECDL), verstanden wird, ziehen, wie verschiedene Analysen zeigen, gute Schülerinnen und Schüler ein Informatikstudium wegen vermeintlicher Oberflächlichkeit und Langeweile nicht in Betracht. In Ländern wie der Schweiz wurde der Ruf der Informatik dadurch so weit geschädigt, dass man die Informatik gar nicht als Wissenschaft wahrnimmt. International verstärkt sich heute die Tendenz, anspruchsvollen Informatikunterricht als Pflichtfach für alle im Schulsystem zu verankern. Immer mehr Länder starten mit Programmieren schon in der Primarschule im Alter von 8 bis 10 Jahren. Wenn die Schweiz das Wachstum der produktiven Informatikindustrie nicht langfristig bremsen will, ist es höchste Zeit, die unvermeidbaren Umstellungen der schulischen Inhalte in den Lehrplänen so schnell wie möglich vorzunehmen.

Was getan werden muss, ist den Verantwortlichen klar, es braucht nur den politischen Willen, die notwendigen Anpassungen im Schulunterricht vorzunehmen. Für die zukünftige Wissensgesellschaft ist die derzeitige Vernachlässigung der Informatikbildung ebenso schädlich wie ein Weglassen oder eine Verschiebung des Beginns des Mathematikunterrichts um mehrere Schuljahre. Deswegen fordern wir als notwendige Massnahmen zur Förderung des Technologiestandortes Schweiz
  1. Informatik soll wie Mathematik als ein Pflichtfach bereits in der Primarschule gelehrt werden, und es muss Programmieren beinhalten.
  2. ICT-Kompetenzen (Umgang mit Computern) sollen schon in der Primarschule, spätestens jedoch auf der Sekundarstufe I erworben werden, so dass sie nicht mehr an Maturitätsschulen unterrichtet werden müssen.
  3. Informatik im Sinne des "Computational Thinking" (algorithmisches Denken) und der Verzahnung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens mit der Vorgehensweise der Entwickler in technischen Disziplinen soll obligatorisch für alle an Mittelschulen unterrichtet werden.

Tja, jetzt müssen die Informatik-VertreterInnen (zu denen ich auch gehöre) das Memorandum nur noch argumentativ untermauern und durchbringen. Mit der Forderung nach einem Pflichtfach stehen die Informatiker beileibe nicht alleine da…


 
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Kategorien: IsaBlog, IsaInformatik

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