30 May 2013 -
Version 9
Gestern (29.05.2013) wurde an Hamburgs Stadtteilschulen
Informatik als Pflichtfach (
Biblionetz:a00436) abgeschafft:
Bericht im Hamburger Abendblatt
Das alleine ist traurig genug. Erschreckt haben mich aber die Tweets des Lokalpolitikers
Walter Scheuerl zu diesem Thema, der sich gemäss seiner Homepage vertieft mit Bildungspolitik (
Biblionetz:w02311) zu beschäftigen scheint (
hier und
hier):
Der letzte Tweet, dass man zum Bedienen von 3D-Druckern keine Informatik-Kenntnisse benötige, hat mich noch nicht weiter beunruhigt. Es ist das alte Missverständnis, dass man Informatik benötige, um Computer bedienen zu können (Informatikverständnis hilft sicher bei der Computerbedienung, ist aber nicht der Legitimationsgrund für das Thema Informatik in der Allgemeinbildung).
Den
Tweet
Bitte nicht die überflüssige Diskussion um ein Fach "Informatik" - das gehört wie Mechanik zu Physik - kein Fach erforderl
musste ich jedoch mehrfach lesen, bis ich es glauben konnte.
Informatik als Spezialthema der Physik? Mit dieser Logik liesse sich auch gleich Chemie und Biologie ebenfalls als Spezialthemen der Physik abhandeln und wir kämen der
Leitmedienwechsel-Reaktion 4: Wer redet denn noch von Fächern? (
Biblionetz:a01184) näher. Ich befürchte jedoch, dass hinter diesen Tweets keineswegs diese zukunftsgerichtete Weltsicht steckt, sondern eher ein fundamentales Ignorieren der Bedeutung der Informatik für die heutige Gesellschaft. Wie anders ist es zu erklären, dass Scheuerl ein Fach Informatik unter anderem deshalb ablehnt, weil dies
"weiter auf Kosten der Grundbildung in den Naturwissenschaften (Ph, B, Ch) gehen" würde.
Vermutlich würde es nichts nützen, Scheuerl auf
Peter Dennings (
Biblionetz:p03493) Artikel
Computing is a Natual Science (
Biblionetz:t07784) hinzuweisen, denn dass Informatiker die Informatik für wichtig halten, ist keine Überraschung. Aber vielleicht würde ein Blick auf aktuelle Studiengänge und entsprechende Fachzeitschriften helfen zu erkennen, dass
Computational XY... praktisch in allen (Natur-)Wissenschaften eine bedeutende Rolle spielt und vielleicht etwas relevanter ist als ein
Spezialthema der Physik.
Eine Folie aus meinem Weiterbildungsvortrag zur i-factory im Verkehrshaus der Schweiz.
Hier der Vollständigkeit halber die Argumentationslinien für
Informatik als Teil der Allgemeinbildung (
Biblionetz:a01051) (wobei ich nicht alle Argumente für gleich gewichtig halte):
- Biblionetz:a01050 Welterklärungargument: Um die heutige Informationsgesellschaft verstehen und erklären zu können, sind Informatikkenntnisse notwendig.
- Biblionetz:a01046 Wissenschaftsargument: Informatik gehört zur Allgemeinbildung, weil Informatik mit Simulation ein drittes Standbein in die Wissenschaft gebracht hat.
- Biblionetz:a01046 Konzeptwissenargument: Informatikkenntnisse helfen, die Nutzung von ICT besser zu verstehen.
- Biblionetz:a01052 Problemlöseargument: Informatikkenntnisse helfen auch beim Lösen von Problemen ausserhalb der Informatik
- Biblionetz:a01049 Berufswahlargument: Informatikkenntnisse fördern den Berufswahlentscheid in Richtung Informatik-Berufe und -Studiengänge
OK, und in der Wissenschaft gibt es auch nichts mehr zu erforschen. Ist eh alles Physik.
#seufz
wie wärs wenn wir Englisch und Französisch abschaffen - ist ja alles in Griechisch und Latein.
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SylviaKegel - 30 May 2013
Wir sind dabei, uns zu Weltmeistern des 21. Jahrhundert-Analphabetismus herauszubilden.
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LisaRosa - 30 May 2013
Hmm, aber wenn doch in der Informatik nichts mehr läuft, warum
schafft dann Google in seinem Zürcher Forschungs- und Entwicklungsstandort 300 weitere Stellen ? Versteh ich jetzt nicht...
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BeatDoebeli - 30 May 2013
Im Mittelalter meinte der Klerus auch, dass das gemeine Volk nicht unbedingt Lesen & Schreiben können muss. Kann ich doch voll nachvollziehen diese auf Machterhalt orientierte Sichtweise.
Sonst machen einem noch so Leute vom Chaoc Computer Club die schönen, neuen Wahlcomputer madig, weil die sich damit auskennen, und das geht ja mal gar nicht!
[BTW: Die Registrierung und Anmeldung hier ist ein klassischer PITA, wenn ich das mal anmerken darf!]
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JohnDoe42 - 30 May 2013
Der arme Herr Scheuerl muss sich anscheinend jetzt einiges anhören
Hamburger Abendblatt: Informatikstreit: Walter Scheuerl im "Internet-Shitstorm"
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BeatDoebeli - 30 May 2013
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27 May 2013 -
Version 2
Auf meinem Tisch liegen derzeit zwei Bücher jüngeren Datums, die sich mit den aktuellen Herausforderungen der Schule beschäftigen:
- Lucien Criblez, Barbara Müller, Jürgen Oelkers (2011)
Die Volksschule - zwischen Innovationsdruck und Reformkritik
Biblionetz:b05210
Es geht in diesen Büchern um Klassengrösse, Schulharmonisierung, Leistungsorientierung, Kompetenzorientierung, Umgang mit Heterogenität etc. usw.
In keinem der beiden Bücher spielen digitale Medien irgend eine Rolle. In keinem der Bücher ist ein Kapitel oder wenigstens ein Abschnitt dem Leitmedienwechsel, dem Computer oder dem Internet gewidmet. Im einen Buch kommt das Wort
Computer einmal vor. Im einen Buch hat es ein Kapitel zum Thema Lehrmittel, da fällt mehrfach das Wort
multimedial , aber digitale Medien werden immer nur als Zugabe zum gedruckten Schulbuch gesehen. Das gedruckte Schulbuch wird mit keinem Satz auch nur im Ansatz in Frage gestellt.
Diese Erkenntnis hat mich zum Grübeln gebracht. Ich sehe zwei Möglichkeiten:
- Entweder überschätzen die Leitmedienwechsel-Anhänger und technology-enhanced-learning-nerds ihr eigenes Thema ungemein und den Rest der Welt interessiert das Thema nicht mal am Rande
- oder aber die Bildungswelt negiert den Leitmedienwechsel in seiner Grundsätzlichkeit auch nach dreissig Jahren noch immer.
Daneben existieren andere neue Bücher, die vom Wandel und dem Umgang damit berichten:
- Philippe Wampfler (2013)
Facebook, Blogs und Wikis in der Schule Ein Social-Media Leitfaden
Biblionetz:b05216
- Philippe Riederle (2013)
Wer wir sind, und was wir wollen
Ein Digital Native erklärt seine Generation Biblionetz:b05211
Aber diese Bücher werden vermutlich wieder nur von der eigenen Community gelesen...
Das kommt davon, wenn man die Digitalität bestenfalls als neues Mittel zum alten Zweck versteht. Eine "Methode" unter vielen, und dann auch noch eine gefährliche und voraussetzungsvolle. Dies ist v.a. in den deutschsprachigen D-A-CH-Ländern so. Im großen Rest der Welt ist es nicht ganz so schlimm bestellt.
Im Gegenteil: Nicht nur in den englischsprachigen und den skandinavischen Ländern, auch in den asiatischen OECD-Ländern ist edu schon länger digital. Für CH möcht ich nicht sprechen: Aber für D ist Historikern aus verschiedenen geschichtlichen Ereignissen bekannt: Immer zu spät, und dann aber die Führung übernehmen wollen …
--
LisaRosa - 29 May 2013
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13 May 2013 -
Version 2
Gestern ist es per Post vom MIT gekommen, heute konnte ich es zum ersten Mal Studierenden zeigen: Mein neuestes Gadget MaKey MaKey
Dabei handelt es sich um ein (Arduino-)Board, das per USB (ohne Treiberinstallation) an jeden beliebigen Computer angeschlossen wird und sich dort als Tastatur und Maus zu erkennen gibt. Am Board selbst kann man mit Krokodilklemmen Drähte anschliessen, die wiederum an beliebige leitfähig Objekte - z.B. Bananen - angeschlosssen werden können. Stellt das Board nun fest, das zwischen einer Krokodilklemme und der Masse Strom fliesst, dann teilt das Board dem Computer mit, dass eine bestimmte Taste gedrückt worden sei. Damit kann man also in beliebigen Programmen (u.a. auch in
Scratch (
Biblionetz:w02030)) das Drücken von Tasten simulieren.
Wem das unverständlich erschien, hier der witzige Werbevideo der beiden MIT-Doktoranden:
Ich habe das heute im Modul Mediendidaktik/Medienpädagogik gezeigt bei der Frage, welche Aspekte digitaler Medien meiner Meinung nach in den
Lehrplan 21 (
Biblionetz:w02172) gehören und wie man Informatik primarschulgerecht und attraktiv vermitteln kann. Die Studentinnen waren begeistert und die letztjährigen Studierenden haben sich beklagt, warum ich ihnen das letztes Jahr noch nicht gezeigt hätte. Ganz einfach - weil es das Produkt noch nicht gab...
!MaKey MaKey im Einsatz an der PH mit sechs Bananen
Doch nun ist es für 50$ und 15$ Versandkosten bestellbar unter
http://makeymakey.com/
Informatik gehört in die Primarschule - aber primarschulgerecht!
(Für Geeks:
Das Board lässt sich auch umprogrammieren).
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28 January 2013 -
Version 2
Endlich ist es soweit: Seit heute ist die
Betaversion der Programmierumgebung Scratch 2.0 unter
http://scratch.mit.edu online!
Scratch 2.0 from ScratchEd on Vimeo.
Die wesentlichsten Neuerungen von Scratch 2.0:
- Player und Editor online als Flash-Programm:
- kein Java-Player mehr, aber auch keine iOS-Kompatibilität
- keine lokale Installation mehr nötig, alles im Browser
- Prozeduren in Form von eigenen Blöcken (Build your own Blocks, BYOB)
- Netzvariablen: Daten lassen sich in der Cloud speichern und gemeinsam nutzen
- Cloning: Objekte können sich selbst klonen
- Bewegungserkennung mit Webcam
- mehr...
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09 April 2013 -
Version 3
Neulich habe ich mich bei Twitter
vertippt (kann ja vorkommen). Kurze Zeit später wurde mein Tippfehler vom
Oberlehrer moniert:
Hmm? Wer nimmt sich denn da die Mühe, meine Tippfehler anzumahnen? Eine kurze Recherche später war mir klar: Das muss ein automatischer Bot sein, 242553 Tweets schreibt niemand einfach so per Hand:
Der Bot scheint ein paar gängige Rechtschreib- und Grammatikfehler programmiert zu haben und reagiert darauf mit unterschiedlichen Einleitungssätzen.
Na dann lieber Bot: Testen wir dich doch mal, wie gut
du die Grammatik der deutschen Sprache beherrscht:
Die
Antwort liess nicht lange auf sich warten:
Damit war klar, der Oberlehrer ist tatsächlich ein Programm und kein Mensch und dieses Programm hat Grenzen bei der Mustererkennung:
Tja, und daraus könnte man doch ein spannendes Schulprojekt mit Informatik und Deutsch machen: Man nimmt den Oberlehrer als Anlass, etwas über Regeln und Muster im Fach Deutsch und im Fach Informatik zu lernen und unter Umständen einen eigenen entsprechenden Bot in Informatik zu programmieren, z.B. mit regulären Ausdrücken.
Coole Idee! Erinnert mich an meinen Versuch, 2003 mit Regulären Ausdrücken eine pseudo-linguistische Wortstammnormalisierung für
Soekia zu implementieren. Dabei lernt man viel über Sprache und Reguläre Ausdrücke!
--
MatthiasDreier - 10 Apr 2013
Super Idee, Beat, ich versuche mal, etwas in diese Richtung zu machen. Ich dachte übrigens schon, der Oberlehrer sei in Pension gegangen, weil er sich bei mir nicht mehr gemeldet hat
--
KurtJakob - 04 May 2013
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