30 November 2015 -
Version 1
Ich wurde vor nicht allzu langer Zeit als Digitaler Staubsaugervertreter bezeichnet - und heute bin ich es vielleicht geworden. Ich habe
in einem Vortrag in Schwäbisch Gmünd zwei Beispiele gezeigt, wie man mit gewissen digitalen Gadgets das Interesse an Informatik bereits bei jungen Kindern und vor allem bei Primarschullehrpersonen wecken kann. Und weil ich spätestens seit
MakeyMakeyStattNurTalkyTalky davon überzeugt bin, dass der Funke überspringt, wenn man etwas nicht nur gehört, sondern live gesehen oder gar selbstausprobiert hat, habe ich die Gadgets auch nach Schwäbisch Gmünd mitgenommen. So weit, so gut - das habe ich bereits öfters bei Vorträgen gemacht.
Weil ich aber vermutet hatte, dass ich nach dem Referat gefragt werden könnte, wo man die Gadgets kaufen könne, habe ich auch gleich mehrere Exemplare in den Koffer gepackt, die ich privat mal auf Vorrat gekauft hatte. Und tatsächlich, die Frage kam. Und da habe ich nicht nur drauf hingewiesen, wo man die Gadgets kaufen kann, sondern ich habe auch erwähnt, dass ich einige Exemplare dabei hätte, die ich zum Selbstkostenpreis verkaufen könnte. Und so kam es, dass nach dem Referat sieben Zuhörer ein Gadget bei mir gekauft haben.
Noch während ich am Verkaufen war, habe ich mich gefragt, ob das eine gute Idee gewesen war: Einerseits habe ich sieben Personen eine Freude gemacht und ihnen gewissen Beschaffungsaufwand abgenommen - sie sprachen bereits davon, die Gadgets noch diese Woche in der Familie oder gar im Unterricht ausprobieren zu wollen. Somit: Ein gutes Selbstwirksamkeitsgefühl - Hatte ich doch in meinem Referat darauf hingewiesen, warum und wie man die Gadgets sinnvoll im Unterricht einsetzen kann. Und nun hatte ich auch noch den letzten Schritt vom Drüber reden zum selber machen erleichtert. Und doch blieb ein ungutes Gefühl zurück? Werde ich damit nicht zum Marktfahrer, der seine Gadgets, seien dies nun Gemüseraffeln, Staubsauger oder digitale Gadgets an den Mann und die Frau bringen will?
Verträgt sich die Rolle des wissenschaftlichen Referenten mit der Rolle des Verkäufers? Oder muss ich bei den nächsten Referaten wieder auf die Bestellmöglichkeiten im Internet und den vorhandenen Mindermengenzuschlag hinweisen und dabei verdrängen, dass vermutlich bei einigen der Kaufimpuls wieder verloren geht, bevor sie Zeit finden, im Internet auf die Suche des entsprechenden Gadgets zu gehen?
Keine einfache Frage. Ich glaub, ich muss mal drüber schlafen, was nach mir nach 5.5h Zugfahrt mit den üblichen Verspätungen nicht schwer fallen sollte.
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26 November 2015 -
Version 2
Die Lehrerverbände von Deutschland, Österreich und der Schweiz haben im November 2015 einen
Leitfaden Datensicherheit (
Biblionetz:t18352) publiziert, ähnlich wie sie bereits im September 2013 einen
Leitfaden Social Media (
Biblionetz:t15740) publiziert hatten.
In diesem Leitfaden beschäftigen sich die Lehrerverbände mit allen Aspekten der
Datensicherheit (
Biblionetz:w00715) und des
Datenschutzes (
Biblionetz:w00714) im Umfeld Schule und stellen sieben Forderungen:
- Zeitgemässe schulische IT-Ausstattung
- Schnellen und sicheren Internetzugang in der Schule
- Hard- und Software für Lehrpersonen zur Ausübung ihres Berufsauftrages
- Systematische, passgenaue und kostenlose LehrerInnen-Bildung im digitalen Bereich
- Finanzielle und zeitliche Ressourcen für Weiterbildung und Beratung für digital basiertes Unterrichten
- Klare gesetzliche Grundlagen für den "digitalen" Bildungs- und Erziehungsauftrag
- Ressourcen und Beispiele zur Entwicklung eines schuleigenen Datensicherheitskonzepts
Diesen Forderung ist zuzustimmen und sie sind gerade angesichts des aktuellen
Spardrucks im Bildungswesen (
Biblionetz:w02853) sehr relevant.
Problematisch finde ich die relativ starke Ablehnung ausländischer Clouddienste im Leitfaden und zwar aus folgenden Gründen:
- Mit der Favorisierung schuleigener oder staatlicher Lösungen wird einseitig die Gefahr des Datenmissbrauchs fremder Staaten und Unternehmen betont und die Gefahr des Datenmissbrauchs durch eigene Mitarbeitende oder regionale Organisationen beiseite geschoben. Dies scheint mir aus zwei Gründen problematisch:
- Vermutlich höhere Datensicherheit bei kommerziellen Cloud-Dienstleistern: Für kommerzielle Cloud-Dienstleister ist das sichere Betreiben einer Cloud die Hauptbeschäftigung. Alleine durch die Grösse haben diese oft mehr Ressourcen, sich auch um die Sicherheit ihrer Cloud zu kümmern als eine einzelne Schule oder auch ein regionales Datenzentrum. Alleine weil ihr Ruf und damit ihre Existenz davon abhängt, werden Cloudunternehmen viel investieren, um unkontrollierte Datenabflüsse zu verhindern. Die Gefahr, dass Daten unabsichtlich oder durch Hacking geleakt werden, dürfte somit bei grossen kommerziellen Anbietern geringer sein.
- Geographische Nähe erhöht das Interesse an spezifischem Datenmissbrauch: Bei der Motivation eines Datenmissbrauchs muss zwischen allgemeiner Auswertung/Analyse (big data, etc.) und spezifischen Interessen unterschieden werden. Ein Clouddienstleister interessiert sich wenig für die psychologischen Abklärungen der Schülerin X oder der Jahresbeurteilung des Lehrers Y - der interne Systemadministrator oder regionale IT-Verantwortliche viel eher. Ich will damit nicht die Gefahr der umfassenden Profilbildung und systematischen Überwachung Durch kommerzielle Unternehmen und Geheimdienste kleinreden. Pragmatisch gesehen ist für mich der lokale Datenmissbrauch jedoch relevanter als die abstrakte Gefahr aus dem Ausland.
- Die Frage Kommerzielle Cloud oder schuleigene Lösung soll und kann nicht durch jede Schule Einzeln gelöst werden. Ähnlich unsinnig wie detaillierte Weiterbildungen zu den Niederungen des Urheberrechts ("Sie dürfen 5%, aber maximal 10 Seiten…,", letzte Woche erlebt) ist auch die generelle Cloudfrage eine, die einzelne Schulen und Lehrpersonen von ihrem Kernauftrag ablenkt.
- Die Negierung von Clouddiensten ist lebensweltfern. Bereits 2013 habe ich über das schulische Cloud-Dilemma geschrieben: (Kommerzielle) Clouds Clouds spielen in der Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Lehrpersonen eine grosse Rolle. Schulische und staatliche Lösungen schaffen es praktisch nie, an die Funktionalität und vor allem Usability und Systemintegration heranzukommen. Plakativ formuliert mag "BSCW statt Dropbox" den staatlichen Datenschutzauflagen genügen - zeitgemäss ist es jedoch nicht. Genauso wie die Lehrerverbände zu Recht schnelles Internet für die Schulen verlangen - mit ISDN lockt man heute keine Schülerinnen und Schüler mehr vor dem eigenen Handy hervor - dürfen auch die in der Schule genutzten Dienste den ausserhalb der Schule genutzten in Bezug auf Funktionalität und Usability nicht meilenweit hintennach hinken.
- Ebenfalls sehr pragmatisch ist meine Haltung, dass im Drucker liegengebliebene Ausdrucke und offen herumliegende Lehrercomputer vermutlich das grössere Problem darstellen als Clouddienste. Wenn Lehrpersonen ihre Passwörter sooo langsam eintippen, dass Schülerinnen und Schüler maximal zwei Mal zuschauen müssen, dann ist letztlich egal, wo die Daten liegen. Oder vielleicht doch nicht: Kommerzielle Clouddienstleister bieten oft eine Zwei-Faktor-Authentisierung (z.B. Zustellung eines Codes aufs Handy), so dass die Passwörter als alleiniger Zugriffsschutz ihre Bedeutung verlieren.
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06 November 2015 -
Version 1
Vor einem Jahr sorgte die Nachricht für Empörung,
dass Finnland die Handschrift zugunsten des Tastaturschreibens abgeschafft haben soll, jetzt tingelt
Manfred Spitzer (
Biblionetz:p01290) erfolgreich durch die Vortragssääle Deutschlands und verkündet, die USA habe 2013 in 46 Bundesstaaten die Handschrift abgeschafft (z.B.
hier).
Zitat aus Spitzers Buch
Cyberkrank! (
Biblionetz:b05989)
In den USA wurde im Frühjahr 2013 in 46 Bundesstaaten die Handschrift aus dem Curriculum der Grundschule gestrichen. Klassenziel für das Ende von Klasse 4 ist jetzt, mit zehn Fingern tippen zu können. Wir wissen jedoch aus entsprechenden Studien, dass die Handschrift die Gehirnentwicklung fördert, dass umgekehrt das Tippen in seiner Komplexität dieser Entwicklung keineswegs entspricht und dass Handgeschriebenes im Gedächtnis besser hängenbleibt als auf der Tastatur Getipptes.[396] Wenn also Schulkinder nicht mehr das Schreiben mit der Hand lernen, kommt dies der Beraubung junger Menschen eines wichtigen Werkzeugs zur Steigerung ihrer Merkfähigkeit gleich. Man schadet damit ihrem Bildungsprozess.
Nur - Weder in Finnland noch in den USA wird das Schreiben von Hand abgeschafft:
- In Finnland wurde - wie im Kanton Schwyz - nicht die Handschrift abgeschafft, sondern das Tastaturschreiben dem Schreiben mit der Hand gleichgesetzt ( Details).
- In den USA wurde nicht die Handschrift abgeschafft, sondern das Obligatorium zur Vermittlung der (verbundenen) Schreibschrift aufgehoben. Druckschrift gehört weiterhin zum Schulstoff.
Beim Schreiben von Hand lassen sich
Druckschrift und
Schreibschrift (Schweizerdeutsch:
Schnüerlischrift ) unterscheiden. (Englisch:
block letters und
cursive ).
(Quelle: Wikipedia, Renate Tost)
Die 2012 in den USA verabschiedeten
Common Core Standards enthalten nun kein Obligatorium mehr zur Vermittlung der Schreibschrift. Es steht aber nirgends, dass Kinder nur noch mit der Tastatur schreiben sollen.
Diskussionen zur Bedeutung der Handschrift sind wichtig und kompliziert. In diesem Beitrag ging es mir nur darum festzuhalten, dass die derzeit von Manfred Spitzer verbreitete Aussage, das Schreiben von Hand sei in den USA komplett abgeschafft worden, in dieser Form nicht zutrifft.
Einmal mehr sind wir beim Grundproblem von Manfred Spitzers Aussagen: Sie betreffen wichtige Fragen, die man ernst nehmen und diskutieren sollte. Spitzers polemische und tendenziöse Aussagen sind dabei jedoch nicht hilfreich.
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09 October 2015 -
Version 1
Seit einiger Zeit schwärmt ja auch die edublogger-Szene von
Slack, dem neuen Dienst, der angetreten ist, um die interne Unternehmenskommunikation zu revolutionieren und z.B. das unsinnige Hin- und Hergemaile in einem Unternehmen einzudämmen.
Die Grundidee von Slack ist spannend: Eine Art organisationsinterner Chat mit offenen Kanälen und geschlossenen Teilgruppen sowie privaten 1:1-Diskussionen. Abgelegte Files können entweder in der Timeline des Kanals gefunden oder in einer Kanalübersicht gefunden werden, alle Inhalte in Slack sind volltextdurchsuchbar. Klingt doch praktisch auch für Schulen und Pädagogische Hochschulen - oder? Für jede Fachschaft eine Gruppe zum internen Austausch, offene Kanäle für interdisziplinäre Themen.
Nach ersten Slack-Erfahrungen fehlen mir zwei Features, die dazu führen, dass ich weiterhin mit Mail, Dropbox und Skype arbeiten werde:
- Slack ist bisher nicht offline nutzbar: Ich habe mir den Windows-Client von Slack heruntergeladen und wollte auf meinem Arbeitsweg im Zug in Slack stöbern. Fehlanzeige: Ohne Internetzugang ist der Windows-Slack-Client unbrauchbar: Weder habe ich Zugang zu vergangenen Konverationen und Dateien, noch kann ich etwas Neues in Slack stellen, dass dann verteilt wird, wenn ich wieder Internetzugang habe. Mail, Dropbox und Skype bieten mir diese für mich wichtige Funktionalität. Ohne Offline-Zugriff ist für mich Slack ein No-Go.
- Slack ist auf interne Kommunikation ausgerichtet: Im Webclient und im iOS-Client kann ich gleichzeitg nur in einem Slack-Team eingeloggt sein. Mit Organisationsexternen kann ich nur kommunizieren, wenn ich dafür ein eigenes Team einrichte oder wenn ich sie als Externe in die Organisation einbinde. Diese Organisationszentrierung funktioniert aber bei meinen Tätigkeiten oft nicht. Meine Communiities, mit denen ich kommuniziere, beschränken sich nicht auf meine Pädagogische Hochschule. Da gibt es Gremien, Vereine, Arbeitsgruppen etc. die aus lauter Leuten aus unterschiedlichen Organisationen zusammengesetzt sind. Bei Mail, Skype und Dropbox muss ich auch nicht den Kontext wechseln, wenn ich mit jemandem ausserhalb der eigenen Organisation Daten austauschen will.
Attraktiv bei Slack ist seine Offenheit: Es lassen sich sowohl zahlreiche andere Dienste einbinden als auch dank Slack-API eigene Erweiterungen schreiben.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Slack die Teamarbeit in einem Unternehmen effizienter macht. Für meine eigene Arbeit bin ich da noch skeptisch.
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02 October 2015 -
Version 1
Dieser Tage ist das Buch
Digitaler Burnout (
Biblionetz:b06041) des deutschen Informatik-Professors
Alexander Markowetz erschienen.
Ich bin noch nicht dazu gekommen, das Buch wirklich zu lesen. Aber meine Aufmerksamkeit hat es auf jeden Fall erregt, denn auf den ersten Blick klingt der Titel sehr nach
Spitzer-Polemik. Tatsächlich wird
Manfred Spitzer (
Biblionetz:p01290) im Kapitel
Smart Kids (
Biblionetz:t18221) auch zitiert - aber nicht so, wie vielleicht zu erwarten wäre:
Die Smartphone-Nutzung unserer Kinder übersteigt damit sogar noch unser eigenes schädliches Nutzerverhalten sie sind weit stärker als wir Erwachsene vom Digitalen Burnout und den beschriebenen negativen Begleiterscheinungen einer ausufernden Handynutzung bedroht.
Dennoch ist es keine Lösung, ihnen die Geräte einfach wegzunehmen.
Psychiatrieprofessor Manfred Spitzer hat sicherlich grundsätzlich recht, wenn er sagt, dass Kinder im Kleinkindalter noch nicht lernen müssen, mit Smartphone und Tablet umzugehen, um später in der digitalen Lebenswelt bestehen zu können und produktiv zu sein. Jedoch ist es schlicht unmöglich, im Zeitalter der Digitalisierung aufzuwachsen, ohne mit digitalen Geräten in Berührung zu kommen. Eltern, Verwandte und Freunde besitzen diese Geräte und benutzen sie auf Schritt und Tritt. Das weckt Begehrlichkeiten bei Kindern und Jugendlichen sie wollen eben dazugehören.
Es ist ähnlich wie mit den teuren Turnschuhen in den Neunzigern, ohne die Kinder nicht als cool galten. Smartphones sind auf dem heutigen Schulhof jedoch weit mehr als ein Statussymbol: Sie sind der Draht zur Welt und das Zentrum des Soziallebens eines Klassenverbandes oder Freundeskreises. Eine soziale Teilhabe ist unseren Kindern ohne sie nicht mehr möglich: Freundschaften, der neueste Klatsch aus der Clique, Hausaufgaben, das Balzverhalten oder Liebeskummer alles lässt sich per Smartphone regeln.
[...]
Unseren Kindern die Smartphone-Nutzung einfach zu untersagen, wäre daher so, als würde man sie ihrem Freundeskreis entreißen, ja, es wäre gerade so, als würde man ihnen die Nabelschnur zum Leben kappen.
Ja. Ja. Ja. Ja, digitale Geräte können zu selbstschädigendem Nutzungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen führen. Ja, deshalb dürfen wir Kinder und Jugendliche nicht damit alleine lassen. Ja, das Smartphone ist zu einem
Kulturzugangsgerät (
siehe Lisa Rosa) geworden, dass wir nicht einfach aus der Kindheit und Jugend verbannen dürfen.
Dieses Buch lohnt sich, weiter gelesen zu werden, denn im Gegensatz zu Spitzers bisherigen (und vermutlich auch kommenden) Büchern verbreitet es nicht einfach schwarz-weiss Polemik die niemandem weiterhilft, sondern beschreibt die Problematik differenziert und gibt auch differenzierte Empfehlungen ab. Meine Empfehlung hat das Buch.
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