Informatik

Informatik-Biber nun auch in der Schweiz

06 August 2010 | Beat Döbeli Honegger | Informatik
Dieses Jahr finden in der Schweiz noch einige Veranstaltungen zu Informatik und Schule statt, wobei hier wirklich Informatik (Biblionetz:w00459) und nicht ICT oder Anwendungsschulung (Biblionetz:w00460) gemeint ist. Eine Aktivität ist der Informatik-Biber, der im Jahr 2010 zum ersten Mal auch in der Schweiz durchgeführt wird:

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Der Informatik-Biber in der Schweiz

  • ist ein Informatik-Wettbewerb für Kinder und Jugendliche der Klassenstufen 5 bis 12.
  • findet 2010 zum ersten Mal statt und soll anschliessend einmal jährlich im November durchgeführt werden.
  • weckt das Interesse an Informatik durch spannende Aufgaben, die keine Vorkenntnisse erfordern.
  • zeigt jungen Menschen, wie vielseitig und alltagsrelevant Informatik ist.
  • regt zur weiteren Beschäftigung mit Informatik an.
  • setzt sich für mehr Informatikunterricht in der Schule ein.

Die Anmeldung der Schülerinnen und Schüler erfolgt via Klassenlehrer/in und ist erst ab Oktober möglich. Bereits jetzt ist aber die Website http://informatik-biber.ch/ verfügbar...

Wieder einmal möchte ich einen noch nicht ausgegorenen Gedanken, den ich die letzten Tage mit mir herumtrage hier zur Diskussion stellen.

Ich beschäftige mich ja schon länger mit der Frage, welche Bedeutung die Wissenschaft Informatik (Biblionetz:w00458) für die Allgemeinbildung (Biblionetz:w00463) hat und wie sich entsprechende Inhalte gegebenenfalls in die bereits überfrachtete obligatorische Schulzeit packen liessen. Will man heutzutage etwas Neues in die Schule packen, bedeutet dies fast zwangsläufig, dass man etwas anderes streicht. Neue Themen und Inhalte haben es damit schwer, sie haben traditionelle Themen und Inhalte als natürliche Opponenten. Zu diesem Verdrängungskampf kommt dann noch das Drängeln der zahlreichen neuen Themen und Inhalte: Ist jetzt interkultureller Dialog wichtiger als Gesundheitsförderung oder Berufsorientierung ?

In der Vergangenheit habe ich die Themenbereiche Informatik und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) (Biblionetz:w01620) als sich nicht sehr grün seiend erlebt. Gegenseitige Skepsis scheint mir für das Verhältnis noch höflich formuliert.

In den letzten Tagen hatte ich mehrfach an verschiedenen Orten mit dem Thema Systemdenken (Biblionetz:w00104) zu tun und derzeit fasziniert mich der Gedanke, dass Systemdenken ein verbindendes Element von BNE und Informatik sein könnte:

Es geht um das modellierende, vernetzte Denken, um Systeme der Wirklichkeit zu beschreiben, zu simulieren und zu verstehen.

Diese Aussage könnte doch sowohl als Teilziel der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung als auch als Teilziel der Informatik durchgehen, oder?

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Spielt es letztlich eine Rolle, unter welchem Fächerdach Themen wie Rückkoppelung, Wirkungsdiagramme (Biblionetz:w01121) oder Systemarchetypen (Biblionetz:w01562) vermittelt werden? Aber in unserer stark vernetzten, interdependenten Welt sollten diese solche Konzepte doch Bestandteil der Allgemeinbildung sein, oder?

P.S.: Die Diplomarbeit Vermittlung systemwissenschaftlicher Grundkonzepte von Reinhard Wagner (2002) (Biblionetz:b01645) liefert meiner Ansicht nach eine gute (und kostenlos im Netz verfügbare) Einführung ins Thema.

Lieber Beat, im Hamburger Rahmenplan der Oberstufe ist "Modellbildung und Simulation" zum Pflichtthema geworden, gerade unter dem Aspekt. http://www.mint-hamburg.de Viele Grüße, Torsten

-- Main.TorstenOtto - 20 May 2010 Lieber Torsten, danke für den Hinweis! Welche Klassenstufen sind in Hamburg "Oberstufe"?

-- Main.BeatDoebeli - 27 May 2010 Die Oberstufe in Deutschland ist die gymnasiale Stufe 11-13 (resp. 12, wo gekappt wurde). Zumindest war das in Nordrheinwestfalen vor 10 Jahren so...

-- Main.MelanieBolz - 31 May 2010

In einer Medienmitteilung von heute, 14.05.2010 verweist die Zürcher Bildungsdirektion auf einen Beschluss des Bildungsrats PDF-Dokument nach welchem mit verschiedenen Massnahmen die Naturwissenschafts- und Technikbildung gefördert werden soll.

Dieser Beschluss basiert zum Teil auf den Empfehlungen einer Expertise zu Naturwissenschaft und Technik in der Allgemeinbildung im Kanton Zürich PDF-Dokument (Biblionetz:b03995) des Zürcher Hochschulinstituts für Schulpädagogik und Fachdidaktik.

Sowohl die Expertise als auch der Bildungsratsbeschluss veranlasst mich zu einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits freut es mich, dass die Bedeutung von Naturwissenschaften und Technik für die Allgemeinbildung pointiert herausgestellt wird:

Obwohl unser Leben von unzähligen technischen Erfindungen geprägt ist, hat es die Technik dennoch bis heute kaum geschafft, als echter Bestandteil der Allgemeinbildung akzeptiert zu werden. Häufig wird technisches Unwissen sogar noch als Beweis echter Bildung betrachtet. Entsprechend kommen technische Themen im Schulsystem der Schweiz, wie in fast allen anderen westlichen Ländern auch, zu kurz.
Ralf Schumacher, Seite 28 der Expertise

Andererseits ist es frustrierend, dass Informatik komplett unberücksichtigt bleibt. In der Expertise kommt der Begriff auf den 124 Seiten ganze drei Mal vor, im Beschluss des Bildungsrats fehlt er ganz. Man scheint die Bedeutung der Wissenschaftsdisziplinen, die zur Industriegesellschaft geführt haben, fördern zu wollen und ignoriert dabei die Wissenschaft, die massgeblich zum Entstehen der Informationsgesellschaft geführt hat.

Simulation prägt unser Leben

08 May 2010 | Beat Döbeli Honegger | Informatik
In den letzten zwei Wochen hat der Ausbruch des Eyjafjalla-Vulkans die Medien, aber auch das Leben vieler Europäerinnen und Europäer geprägt. In einer historisch für Europa bisher einzigartigen Aktion haben alle europäischen Staaten den gesamten Flugverkehr aus Angst vor Problemen mit Aschepartikeln in Triebwerken und auf Flugzeugfenstern gesperrt. Einige Tage war es gespenstisch ruhig am Himmel. Die Fluggesellschaften verloren laut eigenen Angaben hunderte Millionen Franken. Im Nachhinein wird nun diskutiert, ob die Sperre gerechtfertigt war und wenn nicht, wer für den Schaden haften soll.

Mich interessiert hier aber weniger der wirtschaftliche Aspekt. Ein Artikel von Dario Venutti im Tages Anzeiger vom 23.04.2010 unter dem Titel Die Diktatur der Software (Biblionetz:t11556) hat auf einen Aspekt hingewiesen, auf den ich selbst ja auch hätte kommen müssen:

«Wenn ich bei allerbestem Wetter den blauen Himmel sehe, dann müsste die Existenz einer gefährlichen Aschewolke erst verifiziert werden», forderte Werner Knorr, Pilotenchef der Lufthansa, in der «Frankfurter Allgemeinen». Gewiss: Knorr ist ein Interessenvertreter und seine Kritik am Flugverbot deshalb durchsichtig. Trotzdem legt er den Finger auf einen interessanten Punkt: Die Wolke, die den Luftverkehr lahmlegte, bestand nicht aus sichtbarer Asche und Staub, sondern aus virtuellen Daten. Nicht durchgeführte Messungen, ob die vom Vulkan unter dem Eyjafjalla-Gletscher ausgestossenen Partikel tatsächlich Flugzeuge zum Absturz bringen können, führten zum Flugverbot, sondern Computersimulationen. Sie spuckten Informationen aus, gemäss denen eine Gefahr für die Triebwerke bestand.

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Es war dies nicht das erste Mal, dass sich Entscheidungsträger auf Modellrechnungen abstützten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vertraute letztes Jahr bei ihren Prognosen zur Schweinegrippe ebenfalls auf Computersimulationen. Die Berechnungen liessen Dramatisches befürchten, sodass die WHO die höchste Warnstufe ausrief. Die Folgen sind bekannt: Die Gesundheitsbehörden aller Länder kauften mehr als 1 Milliarde Dosen Impfstoff. Davon profitierte die Pharmaindustrie, während die Pandemie bisher glimpflich verlief.

Modellbildung und anschliessende Simulation (Biblionetz:w00239) sind nicht nur zu wichtigen Instrumenten der wissenschaftlichen Forschung geworden, sondern prägen auch zunehmend unseren Alltag und unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Damit gehört das Verständnis und die Reflexion über Modellbildung und Simulation zur Allgemeinbildung. Modellbildung und Simulation sind Teilgebiete der Informatik, wobei Simulationen massgeblich durch Informatik möglich wurden.. Womit ich beim Schluss meiner Argumentationskette bin, aber auch beim Grund, warum ich hätte selbst auf diesen Zusammenhang kommen müssen: Die Modellbildung und Simulation der Ascheverteilung und ihre Folgen sind eine Begründung, warum Informatik heute zur Allgemeinbildung gehören und damit in der Schule vermittelt werden sollte.

Dabei sind mindestens zwei Aspekte für die Allgemeinbildung relevant:
  • Ich sollte Potenziale, aber auch Grenzen von Modellbildungen und Simulationen erkennen können (Kybernetik, Systemdenken; lässt sich auch an biologischen und anderen Modellen zeigen).
  • Ich sollte mir Gedanken über ethisch-moralische Probleme gemacht haben: Wer trägt die Verantwortung, wenn aufgrund solcher Modelle und Simulationen Entscheide gefällt werden?

Passend zur Aussage, dass die digitale (simulierte) Welt die reale Welt prägt, hier am Beispiel des Vulkan-Flugverkehr-Groundings zum Schluss noch das Gegenstück: Die reale Welt wird digital abgebildet in Form eines Kurzvideos, welches das Ausbleiben und Wiederaufkeimen der Flugbewegungen über Europa zeigt:

Airspace Rebooted from ItoWorld on Vimeo.

Wenn der Teil wie das Ganze heisst

05 November 2009 | Beat Döbeli Honegger | Informatik
%STARTBLOG% Als Informatiker beschäftigt man sich auch mit der Beschreibung von verschachtelten Strukturen. Neben einfachen Schachtelstrukturen haben Informatiker auch Spass an der Frage, wie denn eine Schachtelstruktur aussieht, die sich selbst als Element enthält etc. Das macht in der theoretischen Informatik Freude und man kann damit viele schöne Stunden verbringen. In der realen Welt sollten Schachtelkonstrukte aber möglichst einfach aufgebaut und beschrieben werden, sofern man möchte, dass Aussenstehende die Strukturen verstehen. Dazu gehört beispielsweise die für mich einleuchtende Regel, dass alle Schachteln eines Konstrukts eindeutige Namen besitzen sollten. Umso mehr staune ich, dass ich in der Bildungslandschaft immer wieder Konstrukten begegne, welche diese Regel verletzen und ich es trotz Informatikausbildung nicht schaffe, mir innert vernünftiger Zeit die Schachtelstruktur aufzuzeichnen. Bereits ein historisches Beispiel ist die Schachtelstruktr, die sich in der Schweiz auf Bundesebene mit ICT in der Schule befasst: Da gibt es einen Bildungsserver namens educa.ch. Auf der Seite Über uns steht da

Der Schweizerische Bildungsserver SBS ist ein Projekt der Genossenschaft educa.ch. Er setzt sich aus der Informationsplattform www.educa.ch und der Community zur Bildung www.educanet2.ch zusammen.

Hmm, bereits mit diesem ersten Satz sind wir mittendrin im Dilemma, das den Informatiker erfreut und den Laien verwirrt: Die Dachschachtel heisst gleich wie eine Unter-Unterschachtel.

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Wir könnten die Komplexität dieses Schachtelkonstrukts noch weiter verfolgen, indem wir beispielsweise die Website der Genossenschaft educa.ch öffnen (http://www.educa.coop):

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Da tut sich ein ganzer Strauss von Verwirrung auf:
  • Das Logo der Website von educa.coop heisst educa.ch
  • Als weitere Bezeichnung kommt hinzu: Schweizer Medieninstitut für Bildung und Kultur
  • Als Schachteltyp haben wir nun Genossenschaft, Institut und Unternehmen zur Auswahl Um die Knobbellust von Interessierten noch etwas anzustacheln:
    • Klickt man auf Unternehmen, dann steht da: "educa.ch - Schweizer Medieninstitut für Bildung und Kultur" ehemals Filminstitut
    • Klickt man auf Aktivitäten, dann steht da als erstes "Die Schweizerische Fachstelle für Informationstechnologien im Bildungswesen (SFIB)"
Aufgabe: Zeichne eine Skizze dieses Schachtelkonstrukts.

Solche Aufgaben sollte man üben, d.h. man braucht weitere Schachtelkonstrukte. Ein aktuelles Beispiel liefert die ETH mit EducETH. Am vergangenen Freitag, den 23.10.2009 wurde das Kompetenzzentrum EducETH gegründet, welches unter anderem den bestehenden, gleichnamigen Unterrichtsmaterialserver EducETH umfasst. Dazu die Leiterin von EducETH:

Wir haben den bewährten Namen des Bildungsservers als Markenzeichen genommen, um unsere erweiterten Aktivitäten zu bezeichnen. Der ursprüngliche Bildungsserver, von dem Lehrkräfte Unterrichtsmaterialien herunterladen können, bleibt erhalten, wird nun aber erweitert. Um Missverständnisse zu vermeiden, haben wir uns entschieden, das ganze Angebot «EducETH» zu nennen. (Quelle: Interview in ethlife)

Aha, dahinter steckt also System: Was ich als verwirrend empfinde wird von den InitiantInnen als Massnahme zur Vermeidung von Missverständnissen bezeichnet. So, damit das Zeichnen einer Schachtelskizze nicht zu einfach wird, hier ein paar Angaben:

Was umfasst das neue «EducETH»? An der ETH gibt es das Life Science Learning Center und das Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht ABZ der Informatikprofessoren Juraj Hromkovic und Hans Hinterberger. Diese wollten wir zusammenfassen und bündeln, weil die ETH eine lange Tradition der Lehrerbildung hat. Schliesslich kam die Idee, ein neues Dach zu schaffen, das den bereits bekannten Namen erhält. Was ändert sich? An den bisherigen Zentren ändert sich nichts. Neu kommt jedoch das MINT-Lernzentrum hinzu, wofür Andreas Vaterlaus, Urs Kirchgraber und ich verantwortlich sind. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Dabei steht die Lehrerbildung im Mittelpunkt. Unsere Idee ist, den Unterricht für die schwierigen Fächer wie Chemie und Physik so zu verbessern, dass er lernwirksamer wird. Dabei geht es auch um eine bessere Verbindung zum Mathematikunterricht. Im Bildungsserver «EducETH» werden die Informationen aller drei Lernzentren zusammenlaufen. (Quelle: Elsbeth Stern im Interview in ethlife)

Klingt verständlich. Auf der Seite EducETH-Projekte fehlt aber das Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht ABZ, dafür kommt auf der Startseite des MINT-Zentrums die neue Schachtelbezeichnung Kompetenzzentrum "Lernen und Lehren in Technik, Naturwissenschaften und Mathematik":

Das MINT-Lernzentrum ist Teil des Kompetenzzentrums "Lernen und Lehren in Technik, Naturwissenschaften und Mathematik".

Ist das jetzt gleichbedeutend mit EducETH (das Kompetenzzentrum (TM)) ? Ich bin wieder überfordert....

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Wie bei educa/SFIB freue ich mich auch bei EducETH über Hinweise auf vollständige, aber verständliche Schachteldiagramme (auch Organigramme gennant)!


Es geht noch doller: Bezogen auf Kunst gibt es "Skulptur" und "Plastik" jeweils als Oberbegriff - und zwar jeweils für "Skulptur" und "Plastik". Skulptur meint eigentlich das Ergebnis eines subtraktiven Verfahrens und Plastik das eines additiven Verfahrens. Aber außerdem werden eben beide Begriffe (teils eher umgangssprachlich) als Oberbegriffe für dreidimensionale Arbeiten verwendet. Das ist ein bisschen wie eine Rekursion ohne Abbruchkriterium... -- Main.MarcFritzsche - 03 Nov 2009

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