06 December 2023 -
Version 1
Diese Woche ist die neueste Auflage der Pisa-Studie erschienen (
Biblionetz:w03097). Das grosse öffentliche Interesse richtet sich auf die Lese- und Mathematikkompetenzen der 9. Klässler:innen. Ich habe mich - nicht überraschenderweise - auf die Kapitel der Länderberichte gestürzt, die sich mit dem digitalen Zeugs beschäftigen:
Dabei bin ich u.a. an folgender Passage aus dem Deutschen Länderbericht hängengeblieben:
Darüber hinaus nehmen Schulleitungen in Deutschland die technische und pädagogische Kompetenz der Lehrkräfte für den Einsatz digitaler Geräte mit über 92 Prozent signifikant häufiger als ausreichend wahr als Schulleitungen im OECD-Durchschnitt
(88 %). International wird folglich die technisch-pädagogische Kompetenz der Lehrkräfte von den Schulleitungen überwiegend als ausreichend empfunden.
Das klingt doch erfreulich - oder? Gemäss dieser Einschätzungen wissen Lehrkräfte in der OECD, wie man digitale Medien technisch und pädagogisch einsetzt, grössere Weiterbildungsinitiativen sind damit eigentlich überflüssig, oder?
Ich will ja den Lehrkräften nicht zu nahetreten und ihnen Kompetenzen absprechen, aber diese Einschätzung von Schulleitungen widerspricht sowohl meiner direkten als auch meiner indirekten Erfahrung mit Lehrkräften. Auf die Gefahr hin,
armchair-reasoning zu betreiben, wage ich zu behaupten:
Nein, viele Lehrkräfte wissen weder technisch noch pädagogisch, wie man digitale Medien sinnvoll einsetzen kann. (Daran sind sie meistens nicht selbst schuld).
Wie kommet es denn dazu, dass Schulleitungen in einer PISA-Befragung eine solche Einschätzung abgeben? Ich habe drei Hypothesen:
- H1: Die Schulleitungen haben selbst wenig Ahnung davon, was man eigentlich technisch und pädagogisch bezüglich Digitalisierung als Lehrperson wissen müsste (eine Art Dunning-Kruger-Effekt (Biblionetz:t06119) bezüglich Fremdeinschätzung).
- H2: Die Schulleitungen sind sich bewusst, dass sie wenig davon verstehen und denken sich: "Naja, ich kann ja von den Lehrpersonen nicht mehr verlangen als ich auch selbst weiss. Mehr vom Digitalen zu verstehen als ich ist eine absurde Forderung."
- H3: Die Schulleitungen möchten nicht den Eindruck erwecken, als hätten sie ihre Aufgaben nicht gemacht: "Ich werde ja wohl meine Schule so organisiert haben, dass die Mitarbeitenden kompetent sind, oder?" Löblich und verständlich, aber trotzdem evtl. problematisch.
Schon 2006 habe ich mich
im Blog bezüglich der damaligen PISA-Erhebung gefragt, ob denn Selbsteinschätzungen der eigenen ICT-literacy zuverlässig seien (
Biblionetz:f00124). Nun 2023 muss ich die Frage ausweiten auf
Sind Fremdeinschätzungen der ICT-literacy zuverlässig?
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14 September 2023 -
Version 1
Der erste Versuch eines Techniktagebuch-Eintrags
Herbst 2023, ich habe vor längerem eine Reise mit der Bahn gebucht. Die SBB informiert mich per Mail, dass die Reise bald stattfinden wird und ich doch im Fahrplan prüfen solle, ob noch alles in Ordnung sei:
OK, ich klicke auf den Link und der Fahrplan der SBB sagt mit, dass der Zug wie gebucht fährt:
Doch halt, da ist so ein rotes i. Aus leidvoller früherer Erfahrung weiss ich, dass dies weit mehr als ein harmloses i sein kann. Ich klicke also auf das i und erhalte folgende Information:
Oh, aber sicher will ich mehr Info:
"Es ist mit einer längeren Reisezeit, geänderten Anschlüssen, Verspätungen, Ausfällen und Umleitungen zu rechnen. Der Online-Fahrplan wird nicht angepasst." Hä? Die Webseite sagt mir in etwa:
"Vorsicht, es kann alles schiefgehen, aber wir haben den Fahrplan nicht angepasst." ??
Aber sicher will ich weitere Informationen und klicke auf Bahn.de. Als Antwort erhalte ich eine Webseite mit allen, ja ALLEN aktuellen Bahnstörungen in Deutschland:
Als Schweizer bin ich nicht nur von der schieren Menge überfordert, sondern mangels Geografiekenntnissen auch nicht in der Lage herauszufinden, welche dieser Störungesmeldungen denn meine Verbindung betreffen könnte. Also beschliesse ich, meine Verbindung im Fahrplan der Deutschen Bahn abzurufen:
Uns schwupps, die Störung, vor der mich die SBB gewarnt hatte, ist verschwunden
(Ich weiss allerdings noch nicht, ob ich mich darüber freuen soll - Fortsetzung folgt.)
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25 July 2023 -
Version 2
Die Veröffentlichung von ChatGPT Ende November 2022 hat nicht nur das Konzept von
machine learning (
Biblionetz:w02863) ins gesellschaftliche Bewusstsein katapultiert (auch wenn nicht von machine learning sondern von
künstlicher Intelligenz gesprochen wird).
Neben vielem anderen hat ChatGPT auch die alte Diskussion wieder aufflammen lassen, ob denn Computer denken und gar Bewusstsein haben könnten. Auch wenn das für mich zu den drängendsten Fragen gehört, die wir uns im Zusammenhang mit ChatGPT & Co. stellen müssen, sind es doch spannende philosophische Fragen, die mich an meine Studienzeit zurückerinnern.
Einerseits hatte ich im Informatikstudium an der ETH Zürich (1990-1996) Lehrveranstaltungen zu Expertensystemen und neuronalen Netzwerken, andererseits habe ich privat mit grossem Interesse Bücher zum Thema Künstliche Intelligenz gelesen, auch wenn dies damals noch nicht sehr alltagsrelevant, sondern mehr futuristisch erschien. Es ist somit kein Zufall, dass sich die ersten Fragen im Biblionetz mit solchen Fragen in der Schnittmenge von Informatik und Philosophie beschäftigen:
Ein paar Jahre nach dem Studium habe auch ich eine Art KI-Winterschlaf erlebt und das Thema ist aus meinem Fokus meines Interesses weitgehend verschwunden (sichtbar an den nur noch spärlichen Einträgen im Biblionetz (orange Balken)):
Jetzt mit dem Wiederaufflammen der allgemeinen öffentlichen Diskussion habe ich mich an frühere Lektüren zurückerinnert. Ich hätte damals nie gedacht, welche Beachtung die Informatik allgemein und nun die Fragen rund um KI dereinst je erreichen würden. Aktuell überbieten sich die Massenmedien und Neuerscheinungen mit einem KI-Hype sondergleichen. Um mich wieder für das Thema fit zu machen, habe ich mir deshalb vorgenommen, ältere Publikationen (erneut) zu lesen, die ohne Schnappatmung erläutern, was künftig wie möglich sein könnte. Ich verpasse zwar damit die neusten technischen Tricks, aber dafür erhoffe ich mir grössere Klarheit bei den grundlegenden Fragen.
Weil ja Sommerferien anstehen und ich mich auch wieder einmal vom bei mir heute üblichen schriftlichen Kurzfutter lösen wollte, habe ich das dickste verfügbare Buch (831 Seiten) aus dem Gestell geklaubt:
Bauplan für eine Seele (
Biblionetz:b01593) von Dietrich Dörner:
Dietrich Dörner ist emeritierter Professur für Psychologie und allgmeiner bekannt als Autor des Buches
Logik des Misslingens (
Biblionetz:b00219). Ich finde es spannend, eine Beschreibung der Möglichkeiten nicht von Informatiker:innen sondern aus der Sicht der Psychologie zu lesen. Dörner schreibt in der Einleitung, dass er das Buch unter anderem geschrieben hat um zu zeigen, dass die Psychologie eine Wissenschaft sei mit falsifizierbaren Modellen:
Wollen wir aber unser Seelenleben nicht als ein Gefüge von Wenn-dann-Aussagen ansehen, kommen wir hinsichtlich der Psychologie in eine schwierige Lage. Wir müßten dann nämlich akzeptieren, daß die Psychologie als Wissenschaft allenfalls teilweise möglich ist. Könnten wir nachweisen, daß sich manche psychische Prozesse nicht «maschinell», also aus einem - wie auch immer komplizierten - Gefüge von Wenn-dann-Aussagen, herleiten ließen, stünden wir vor einem Problem: Wir könnten diese Prozesse nicht erklären und somit auch keine Theorien für sie konstruieren. Damit aber würde sich die menschliche Seele dem wissensschaftlichen 2ugriff entziehen, und die Psychologie wäre eigentlich gar keine Psychologie, keine Seelenwissenschaft, sondern allenfalls Seelenkunde, eine Beschreibung dessen, was hier und da, dann und wann vorkäme.
Dörner beschreibt in seinem Buch die Funktionsweise einer Dampfmaschine namens PSI, erläutert, welche Funktionen eine solche Maschine zum
Überleben benötigt und wie sich dies mit Dampfneuronen bewerkstelligen lässt.
Das Buch scheint nur physisch publiziert worden zu sein, was nicht nur angesichts des Projekts
"Ferienlektüre" bei über 800 Seiten nicht optimal scheint, sondern auch zum Zitieren und automatisierten Erfassen eher mühsam ist. Vielleicht muss ich das Buch antiquarisch ein zweites Mal kaufen und danach einscannen.
Wem 830 Seiten vielleicht doch etwas zu viel sind: Es gibt eine Kurzfassung von 39 Seiten unter
Das Leben von Ψ (
Biblionetz:t30418) online frei verfügbar und bei Archive.org ist die
Aufzeichnung eines Vortrags aus dem Jahr 2000 (
Biblionetz:t30419) verfügbar:
Eine alternative, ähnlich ausgerichtete Lektüre ist das Buch
Mentopolis /
The Society of Mind (
Biblionetz:b01496) von Marvin Minsky, erschienen bereits 1985:
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24 June 2023 -
Version 3
Dies ist vorerst nur lautes Denken und evtl. nicht zu Ende gedacht.
Die Digitalisierung nimmt uns kognitive Routinearbeiten ab: Alles was ich mit Regeln beschreiben kann, lässt sich automatisieren. Soweit so bekannt. Uns Menschen bleiben somit diejenigen Arbeiten, bei denen es keine simplen Regeln gibt, die man einfach befolgen kann - sprich: Wir müssen Dinge klären und Entscheiden. Wenn dies zutrifft, steigt unsere Entscheidungsdichte (Anzahl Entscheide pro Zeiteinheit).
Als
Entscheidungsmüdigkeit (englisch: decision fatigue) wird von einigen Expert:innen das Phänomen beschrieben, dass uns Entscheide müde machen und es uns nach mehreren Entscheiden immer schwerer fällt, gute Entscheide zu fällen. (
Biblionetz:w03441,
Wikipedia:Decision_fatigue). Ob es diese Entscheidungsmüdigkeit allerdings tatsächlich gibt, ist nicht unumstritten.
Sollte es das Phänomen der Entscheidungsmüdigkeit tatsächlich geben, so wäre es sinnvoll, wenn wir angesichts der Digitalisierung unsere Wochenarbeitszeit reduzieren bzw. Teilzeit (
Biblionetz:w03363) arbeiten würden.
Kommentare:
Oder die Entscheidungsdichte senken. Vlt. zugunsten der Qualität der Entscheidungen und Zufriedenheit der Beschäftigten?
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WikiGuest - 01 Jul 2023
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24 June 2023 -
Version 1
Dies ist vorerst nur lautes Denken und evtl. nicht zu Ende gedacht.
Die Digitalisierung (
Biblionetz:w01513) (derzeit erkennbar und heiss diskutiert am Phänomen Textgeneratoren (
Biblionetz:w02833)) erhöht das kognitive Anspruchsniveau für berufliche Tätigkeiten. Sehr salopp formuliert: Ich muss etwas besser können als ChatGPT & Co., sonst werde ich nicht angestellt werden.
Wenn nun die kognitive Leistung von Computern zunimmt (exemplarisch sichtbar an der verbesserten Prüfungsleistung von GPT 4
im Vergleich zu GPT 3.5 (
Biblionetz:a01518)), dann benötige ich eine längere Ausbildung, um dieses Niveau ebenfalls zu erreichen (ausser die Ausbildung kann durch Digitalisierung im gleichen Ausmass effizienter werden).
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