Seit Anfang November 2012 ist die ursprünglich für August 2012 angekündigte
Plattform für digitale Schulbücher des Verbands Bildungsmedien in einer ersten Version online. Die Plattform kann entweder online im Browser oder als Programm für Windows und Mac genutzt werden. Die momentane Lösung basiert auf Adobe Flash, so dass die Plattform auf allen iOS-Geräte (iPhone, iPad) nicht genutzt werden kann. Eine Tablet-Version ist angekündigt.
Hier der entsprechende Werbefilm:
Digitale Schulbücher from Verband Bildungsmedien e.V. on Vimeo.
Die Selbstbeschreibung der Plattform lautet:
Digitale Schulbücher ist eine offene Lösung: Das digitale Buchregal enthält die Bücher aller beteiligten Verlage in einem einheitlichen Format. Schulen, Lehrer und Schüler können ihre Bildungsmedien so bequem verwalten, lesen, nutzen.
Das
einheitliche Format besteht derzeit aus Bildern der Originalbuchseiten. Diese Bilder können gebookmarkt, mit Zeichnungen und Notizen versehen werden und sie können Links und Multimediaanhänge enthalten. Es ist jedoch derzeit nicht möglich, Textausschnitte aus den Buchseiten zu extrahieren.
Die angegebene
Offenheit besteht darin, dass die Plattform nicht an eine bestimmte Hardware oder an ein bestimmtes Betriebssystem und nicht an einen bestimmten Lehrmittelverlag (
Biblionetz:w02223) gebunden ist. Umgekehrt bedeutet das derzeit aber auch, dass zur Nutzung der Plattform mindestens zwei Kontos benötigt werden: Eines für die Plattform und je eines für jeden Verlag, bei dem Bücher bezogen werden sollen.
Beim Lesen dieses Postings ist sicher aufgefallen, dass ich beinahe in jedem Satz
"derzeit" schreibe. Mit Absicht. Es scheint mir wichtig zu sehen, dass es sich beim
derzeit Verfügbaren nur um eine erste Version handeln
kann. Die Plattform ist an verschiedenen Orten noch überhaupt nicht ausgereift und erfüllt das
"bequem verwalten, lesen, nutzen" aus der Selbstbeschreibung (noch) nicht wirklich.
Bei der nun einsetzenden Kritik an der Plattform scheint es mir aber wichtig, zwischen kurzfristigen Unzulänglichkeiten und architektonischen Grundproblemen zu unterscheiden. Es wäre das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, wenn man kleinere Usability-Probleme etc. zum Anlass nähme, das Projekt sogleich abzuschreiben. Hier mal eine unvollständige Liste an positiven und negativen Punkten, jeweils als architektonisch oder kurzfristig kategorisiert:
Positives:
- Architektonisch: Nicht an bestimmte Hardware oder Betriebssystem gebunden
- Architektonisch: Nicht an bestimmten Verlag gebunden
- Suchfunktion
- Kurzfristig: Alle 379 digital verfügbaren Bücher des Klett Verlags sind für 12 Monate kostenlos
Negatives:
- Architektonisch: 1:1-Übernahme des Print-Layouts, wird insbesondere bei kleinen Geräten problematisch
- Architektonisch: Derzeit keinerlei Austausch möglich, weder Lehrperson-Lernende noch Lernende untereinander. Die Bücher scheinen als Endprodukt gedacht, nicht als Ausgangsmaterial für die Arbeit im Unterricht.
- Architektonisch: Mehrere Kontos notwendig (Eines für die Plattform, eines pro Verlag)
- Bestellvorgang bei den einzelnen Verlagen sehr unterschiedlich
- Kurzfristig: Plattform merkt sich Logindaten nicht, müssen jedes Mal vollständig eingetippt werden.
- Kurzfristig: Plattform merkt sich weder das aufgeschlagene Buch noch die aufgeschlagene Seite
- Kurzfristig: Nicht für iPad verfügbar.
- Kurzfristig: Auch die Offline Software benötigt immer eine Internetverbindung um die Bücher zu öffnen (also nicht wirklich offline)
- Kurzfristig: Derzeit praktisch nur 1:1-Kopien bestehender Bücher ohne digitale Erweiterungen
Die derzeit gezeigte Lösung ist nicht innovativ im Sinne von überraschend oder technologisch führend. US-amerikanische Firmen wie
inkling oder OER-Initiativen wie
ck12.org sind da schon einiges weiter im Explorieren der Möglichkeiten digitaler Lehr- und Lernmittel. Im Gegenteil macht alles bis zum Blättergeräusch den Eindruck, man wolle das analoge Schulbuch (
Biblionetz:w02314) möglichst 1:1 in die digitale Zeit hinüberretten.
Sieht so die Zukunft von Schulbüchern aus? (
Biblionetz:f00151)
Ich habe meine Bedenken, ob das so funktioniert...
P.S.: Der Verband Bildungsmedien hat die Plattform übrigens nicht selbst entwickelt, sondern
eine bestehende Lösung der Firma Young Digital Planet adaptieren lassen, wie der entsprechenden
Medienmitteilung zu entnehmen ist.
P.S.II: Mit dem sogenannten
schulbuch-o-mat versuchen derzeit zwei Berliner Lehrer eine offene Plattform für lehrplankonforme Schulbücher aufzubauen. Meine entsprechenden Bedenken habe ich auf der
Pinwand des Projekts bereits deponiert.
Andere Berichte zum Thema:
- medienberater: "Ich bin einer der Lehrer, der gerne mit digitalen Medien arbeitet. Und dennoch… ich weiß ein gutes Schulbuch für meinen Unterricht zu schätzen. Ob es aber nun ein (solches) digitales sein muss, weiß ich nicht."
- Damian Duchamps: "Das digitale Schulbuch der deutschen Schulbuchverlage befindet sich momentan in der Version 1.0. Auch den Verlagen wird klar sein, dass das gegenwärtige Angebot noch massiv ausbaufähig ist. Damit ist nicht nur die Anzahl der verfügbaren Titel gemeint, sondern vor allem die Nutzungsmöglichkeit digitaler Schulbücher. Was gegenwärtig massiv eingeschränkt ist und sich zu 99% am gedruckten Buch orientiert, kann sich auf Dauer nicht dem Nutzungspotential digitaler Medien verschließen. Auch die Nutzer entwickeln sich weiter und erwarten mehr. Mögen gegenwärtig vielleicht viele Lehrerinnen und Lehrer mit dem Angebot zufrieden sein, so werden Schülerinnen und Schüler vermutlich eher enttäuscht sein von den schönen neuen digitalen Schulbüchern."
- …
Negativ:
Ob architektonisch oder kurzfristig: nicht alle Schüler/-innen haben eine E-Mail-Adresse. Wer unter 13 ist, hat es auch nicht so leicht, eine zu bekommen. Wenn die zum Zugriff aber erforderlich ist, haben wir ein Problem…
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TorstenOtto - 07 Nov 2012
Danke für den Hinweis!
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BeatDoebeli - 07 Nov 2012
P.S.: Was schon an Paranoia grenzt: Das kostenlose Demobuch (notabene ein zehnseitiger Flyer zur Plattform) lässt sich pro IP-Adresse nur
1x freischalten. Danach kommt die Fehlermeldung:
Es wurde bereits ein Eintrag mit Ihrer IP-Adresse gespeichert.
Stand da mal was von
offen ?
--
BeatDoebeli - 07 Nov 2012
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