Verkürzte Zitate - Folge 137

In letzter Zeit wird häufiger Andreas Schleicher, OECD-Direktor für Bildung und verantwortlich für die PISA-Studien (Biblionetz:w01358) zitiert mit der Aussage, Computer würden in der Schule mehr schaden als nützen. So zitiert z.B. Ralf Lankau (Biblionetz:p13583) in einem Interview mit der "jungen Welt" im November 2017 (Biblionetz:t19892):

Andreas Schleicher, OECD-Direktor für Bildung, formulierte es in einem Interview mit einer australischen Zeitung so: »Wir müssen es als Realität betrachten, dass Technologie in unseren Schulen mehr schadet als nützt.«

Zeit, diesem Zitat nachzugehen. Ein Interview mit dieser Aussage habe ich bisher nicht gefunden, dafür aber einen Artikel im Sydney Morning Herald vom 1. April 2016 mit dem Titel 'The reality is that technology is doing more harm than good in our schools' says education chief

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Aha, das Zitat soll an einem "globalen Education-Forum" gefallen sein. In der Tat hat Andreas Schleicher am Global Education & Skills Forum 2016 die Eröffnungsansprache gehalten. Von dieser Rede sind sowohl die Folien als auch eine https://www.youtube.com/watch?v=YArPNnqf4nQ. Und nun wird es spannend:

Ab 36:48 in der Aufzeichnung spricht Schleicher über die Potenziale der Digitaltechnologie für das Lernen:

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Ab 37:37 fährt er weiter mit "but the reality is this":

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Er beschreibt, dass gemäss PISA-Daten ab einer gewissen ICT-Nutzungsintensität die Schulleistungen geringer werden und man für jedes gelungene Beispiel von ICT-Nutzung in der Schule fünf misslungene Beispiele finde.

Ab 38:02 dann der gesuchte Satz:

The reality is: Technology does more harm than good in our schools today because we have not succeded in integrating well.

Schleicher führt dann aus, dass Technologie noch nicht optimal auf die Bedürfnisse der Schule abgestimmt sei und oft die gewünschte Qualität nicht erreiche. Schleicher beschliesst seine Ausführungen zur Rolle von Technologie in der Bildung mit dem Satz

There is a lot to do to bring these worlds together, the world of technology, the world of education.

Ja, Andreas Schleicher kritisiert den *heutigen Stand der Technologienutzung in der Schule. Er sagt aber nirgends, dass man weniger Technologie in der Schule nutzen müsste, sondern dass die Technologienutzung besser werden muss.*

Zitiert man Schleicher aus dem Kontext gerissen, so ergibt sich der Eindruck, Schleicher als oberster PISA-Verantwortlicher habe ein abschliessendes, negatives Fazit zu ICT in der Bildung gezogen. Liest man jedoch genau, ist es als Aufruf zu verstehen, bessere Wege zu finden, wie Technologie zu Bildungszwecken genutzt werden kann.


 
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Kategorien: IsaBlog

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