Warum Lehrpläne bei neuen Themen zu Beginn zu viel verlangen (müssen)

Im Rahmen der digitalen Transformation geht es unter anderem auch darum, neue Kompetenzen in den Lehrplänen (Biblionetz:w01274) der verschiedenen Schulstufen zu verankern. Bei entsprechenden Projekten habe ich bereits öfters die Kritik gehört: "Was Sie da vorschlagen, ist viel zu anspruchsvoll! Das begreifen nicht einmal die Lehrpersonen - ja selbst ich als leitender Beamter in der Bildungsadministration verstehe trotz Doktortitel nicht, wovon sie sprechen. Wie sollten das Kinder verstehen?"

Die eine heikle bildungspolitische Aufgabe besteht dann jeweils darin, dem leitenden Beamten zu erklären, dass das vorgeschlagene Thema durchaus erfolgreich schon mit Kindern erprobt worden ist ;-)...

Zum anderen gibt es aber mehrere Gründe, warum es sinnvoll ist, dass bei neuen Themen die Lehrpläne zu Beginn Unerfüllbares verlangen:

  • Stundendotation: Nur wenn der gewünschte/notwendige/erforderliche Umfang mit konkreten Inhalten unterfüttert wird, lässt sich seriös uin die harte Diskussion der Stundendotation einsteigen und argumentieren, warum diese Unterrichtslektionen notwendig sind.
    Würde man stattdessen das derzeit Erreichbare in den Lehrplan schreiben, würden alle argumentieren, dass dafür ja praktisch keine Unterichtszeit notwendig sei.

  • Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen: Nur wenn die künftigen Ziele bekannt sind, kann der Bedarf des Umfangs und des Inhalts von Lehreraus- und Weiterbildung (Biblionetz:w01617) definiert werden.
    Würde man stattdessen das derzeit Erreichbare in den Lehrplan schreiben, so wäre nicht einzusehen, warum entsprechende Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen notwendig ist.

  • Lehrmittelentwicklung: Nur wenn die künftigen Ziele bekannt und als verbindlich definiert sind, werden Lehrmittelverlage (Biblionetz:w02223) den Aufwand zur Entwicklung von Lehrmitteln leisten wollen.

  • Austausch zu den neuen Themen: Erfahrungsgemäss können sich Themenfremde unter dem neuen Thema wenig bis nichts vorstellen und haben somit entweder keine oder falsche diesbezügliche Vorstellungen. Lehrplanziele sind eine erste, meist aber zu abstrakte Möglichkeit um Themenfremden eine Vorstellung über künftige Inhalte zu bieten.

Mit dieser Argumentation soll keineswegs der Entwicklung überfüllter und auf Dauer unerreichbarer Lehrpläne Vorschub geleistet werden. Es soll aber das Verständnis dafür erhöhen, dass zu Beginn ein leichtes Gefühl der Überforderung durchaus sinnvoll und eben auch notwendig ist. Um die Beteiligten nicht zu überfordern und/oder zu verärgern ist es deshalb wichtig darauf hinzuweisen, dass neue Lehrpläne nicht am Tag ihres Inkrafttretens zwingend 100% umsetzbar sind, sondern dass es einer angemessenen Übergangsfrist bedarf.


 
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Kategorien: IsaBlog

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