Während junge (und alte) Menschen diese Frage letztendlich für sich selbst beantworten müssen, versucht im Kontext Schule auch das Umfeld diese Frage zu beantworten bzw. die Schülerinnen und Schüler mit Begründungen zu motivieren, warum Kopfrechnen trotz Taschenrechner, Termumformungen trotz Photomath, Fremdsprachen trotz DeepL und Texte formulieren trotz ChatGPT gelernt werden sollte.
Da diese Frage nicht immer offen auf dem Tisch liegt und Eltern, Lehrpersonen und die Gesellschaft implizit teilweise andere Antworten auf diese Frage haben, möchte ich mit zehn möglichen Antworten Diskussionen zu dieser Frage auslösen:
Die Antworten sind weder vollständig noch aus meiner Sicht alle sinnvoll. Sie sind auch nicht als abschliessende Aufzählung zu verstehen, sondern als Aufforderung zur Diskussion: Was fehlt? Welche Antworten würden Schüler:innen nie geben? Welche Antworten wünschen wir Erwachsenen von Schülerinnen und Schülern? Wie gehen wir Erwachsenen damit um, wenn Schüler:innen für keine Begründung zugänglich sind?
Es würde mich freuen, wenn Lehrpersonen ihren Schüler:innen diese Frage stellen würden (ohne vorgegebene Antworten) und wenn Schulhausteams diskutieren würden, wie sie auf ihrer Stufe und in ihren Fächern und Themen mit dieser Frage künftig umgehen wollen. Ignorieren der Frage hilft vermutlich nicht.
P.S.: Was man sich sonst noch so für Gedanken zu ChatGPT machen kann, sammeln wir an der PHSZ unter https://mia.phsz.ch/LLMP.S.II: Ja, die Grafik darf für Diskussionen etc. genutzt werden.
Zum Kommentieren ist eine Registration notwendig.Besten Dank, lieber Frank für diese Erwähnung und Einschätzung! In gewisser Hinsicht geht es mir ähnlich, denn ich wusste vor 25 Jahren auch nicht, auf was ich mich da eingelassen habe! Hätte ich das gewusst, hätte ich evtl. nie damit begonnen - einerseits angesichts der vielen Zeit, die ich mit der Entwicklung und Befüllung des Biblionetzes verbracht habe in den letzten 25 Jahren (wohlwissend, dass eine Zeit kommen wird, wo Computer diese Arbeit werden übernehmen können) und andererseits aus Erfurcht, dass es mir vermutlich zu Beginn nicht gelingen würde, eine Datenstruktur zu entwerfen, die ein Vierteljahrhundert Bestand haben und meinen wandelnden Bedürfnissen stand halten könnte. (Das Biblionetz hat übrigens über eine Million Verknüpfungen zwischen den Objekten, aber massiv weniger als eine Million Objekte...). Ab einer gewissen Zeit war (und ist) für mich das Biblionetz auch ein informelles Forschungsprojekt, selbst auszuprobieren, wie denn Werkzeuge des persönlichen Wissensmanagments in einer digitalisierten Welt aussehen könnten.
Die Erfahrung der letzten 25 Jahre hat mir auch gezeigt, dass die Grundstruktur des Biblionetzes genügend robust war, um meinen Bedürfnissen auch heute noch zu genügen (oder liegt das daran, dass ich mich die letzten 25 Jahre nicht weiterentwickelt habe?) Das Biblionetz war für mich deshalb auch ein wichtiges Objekt, das mir den Wert meines Informatikstudiums an der ETH Zürich bewusst gemacht hat: Ich hatte im Studium gelernt, einen gewissen Ausschnitt der Welt zu abstrahieren / modellieren und mit Hilfe von gewissen Automatismen einigermassen effizient im digitalen Raum abzubilden oder aufzubauen. Gerade das Biblionetz zeigt: Es waren nicht die konkreten Softwareprodukte relevant (das Biblionetz läuft unter der Haube seit 25 Jahren mit Microsoft Access...), sondern die Fähigkeit, wesentliche Struktureigenschaften des zu Modellierenden zu erkennen und Grundtechnologien zu kennen, um diese digital umsetzen zu können.
Zusammen mit dem von Frank Vohle beschriebenen RSS-Nerdtum würde ich diese Eigenschaft als computational thinking (Biblionetz:w02206) beschreiben, dem von Seymour Papert (Biblionetz:p00192) erfundenen und von Jeanette Wing (Biblionetz:p09720) bekannt gemachten Begriff, der sich mit "denken wie Informatiker:innen" umschreiben lässt. Kein Wunder - ich bin ja schliesslich Informatiker, also werde ich doch hoffentlich so denken, wie Informatiker:innen(Bei dieser Gelegenheit ist mir wichtig zu betonen, dass sich in meiner Wahrnehmung computational thinking nicht komplett von der Informatik lösen und auf abstraktes Problemlösen etc. reduzieren lässt, sondern dass die aktuellen Potenziale und Begrenzungen von derzeit verfügbarer Informationstechnologie Teil von computational thinking sein müssen).
Was mich beruflich seit 25 Jahren umtreibt: Wie lässt sich das notwendige computational thinking beschreiben und vermitteln, das zum Verständnis des digitalen Leitmedienwechsels notwendig ist - ohne dass gleich die gesamte Menschheit ein Informatikstudium absolvieren muss? Seit Jahrzehnten reden wir mit unterschiedlichen Begriffen von Digitalisierung. In der Praxis ist es aber sehr oft eine Schreibmaschinendigitalisierung (Biblionetz:w03334), d.h. die echten Potenziale des Digitalen bleiben ungenutzt und der digitale Prozess ist mitunter noch umständlicher und aufwändiger als der analoge Vorgänger (was Kritiker:innen natürlich in ihrer Kritik am Digitalen bestätigt). Hier gefällt mir Franks Verweis auf das Buch Flatland (Biblionetz:b0334) von Edwin Abott sehr gut: Wie oft raufen sich Informatiker:innen die Haare, weil in Projekten die Potenziale der Digitalisierung schlicht nicht gesehen werden und dieses Nichtsehen so grundlegend ist, dass auch niemand auf die Idee kommt, frühzeitig Informatiker:innen beizuziehen und nach ihrer Sichtweise auf die Herausforderung zu fragen. Als Informatiker:in kommt man sich teilweise tatsächlich vor wie jemand aus Abotts Buch, der/die zu erklären versucht, dass der wahrgenommene Kreis eigentlich eine Kugel oder ein Zylinder sei. Ich bin überzeugt davon, dass zum Verständnis der heutigen digitalisierten Welt ein Grundverständnis von Informatik notwendig ist, genau so, wie wir ein Grundverständnis an Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, Wirtschaft etc. benötigen, um die Welt verstehen und gestalten zu können. Dies ist der Grund, warum ich mich für Informatik in der Schule einsetze, das Dagstuhl-Dreieck (Biblionetz:w02886) propagiere oder mit dem DPACK-Modell eine Erweiterung des TPACK-Modells vorschlage, das Technologie eben nicht nur als Anwendungskompetenz betrachtet, sondern unter Digitalitätskompetenz (Biblionetz:w03297) alle drei Dagstuhl-Perspektiven vereint. Denn diese drei Dagstuhl-Perspektiven scheinen mir notwendig zu sein, um künftige Entwicklungen des digitalen Leitmedienwechsels, wie sie sich derzeit exemplarisch grad am von Frank ebenfalls erwähnten ChatGPT (Biblionetz:w03387) zeigen, mindestens im Ansatz einschätzen zu können. Der Flatland-Effekt greift jedoch auch hier: Selbst im Jahr 2023 wird diese Überlegung im Bildungsbereich nicht überall geteilt oder genügend gewichtet (was trotz der anderen grossen aktuellen Herausforderungen langfristig gesehen nicht ganz einzusehen ist). Doch ich habe ja noch Zeit und werde mich auch die kommenden (15, 20, 25?) Jahre als Erklärbär der digitalen Transformation in der Bildung versuchen...Danke dir Beat! Mit Ludwig Fleck wissen wir, dass Denkstile Tatsachen erzeugen. Es gibt aber Denkstile im Plural. Wenn InformatikerInnen z.B. auf PädagogenInnen treffen, dann ist Missverstehen oder Illusion des Verstehens programmiert bzw. nicht unwahrscheinlich :-). Was tun? Denkstiltraining wäre ein Anfang, damit ich überhaupt kapiere, wie der jeweils Andere die Welt modelliert, sagt, was für ihn/sie WESENTLICH ist, vgl. RSS-Feed. Frank
-- FrankVohle - 02 Feb 2023unter anderem deshalb freue ich mich, dass ich seit nunmehr 15 Jahren als Informatiker umzingelt von Pädagog:innen und Psycholog:innen an einer kleinen Pädagogischen Hochschule im täglichen Training das gegenseitige Verstehen üben kann!
Du bist ja auch ein Bildungsinformatiker, Kind zweier Welten, der zwischen den Stühlen schafft. Und von "solchen" brauchen wir mehr.
-- FrankVohle - 02 Feb 2023 Zum Kommentieren ist eine Registration notwendig.